SZ-Serie: Alte Meister:Ochsen-Tour

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Sebastian Gimbel, 42, ist der älteste aktive Spieler der Munich Cowboys. Der Football-Europameister von 2001 kommt trotz kaputter Knochen nicht weg von seinem Sport - und sorgt sich um dessen Zukunft

Von Christoph Leischwitz

Schon der Spitzname ist sowas von Achtziger: Tubbs. Es herrschte eben Aufbruchsstimmung damals, Maueröffnung und Kabelfernsehen, es wuchs zusammen, was zusammen gehörte. Eine mögliche Schnittmenge: Ein Footballspieler aus Leipzig, der nach einem Cop aus "Miami Vice" benannt ist, kommt nach München. Heute ist Sebastian Gimbel, Sohn eines Nigerianers und einer Deutschen, gebürtiger Sachse, der älteste aktive Spieler der Munich Cowboys. Und mit 42 Jahren doppelt so alt wie manch Gegenspieler, der versucht, an ihm vorbeizukommen, dem erfahrenen Defense Lineman. Aber immer noch einer der Besten, der zurzeit schmerzlich vermisst wird.

Gimbel ist einer von jenen, die sich selbst als "old school" bezeichnen, der seinen geschundenen Körper noch hinüber retten konnte in das neue, athletischere Football-Zeitalter. Neben dem Platz gibt es noch viele wie ihn, auch in München. Mit Gunther Renner etwa wurde Gimbel 2001 Football-Europameister. Anekdoten gibt es zuhauf. 1999 etwa spielte er in einem Team mit Manfred Nerlinger, dem zweifachen Gewichtheber-Weltmeister. In seinem ersten Spiel für die Cowboys erzielte Nerlinger, der direkt neben Gimbel in der Reihe spielte, einen Touchdown, als Abwehrspieler. "Wir haben ihm dann noch zugerufen, lauf Manni lauf", erzählt Gimbel und lacht. Ein "Pfundsmensch" sei das gewesen. Ihm selbst ist ein Touchdown nach Ballverlust der gegnerischen Offensive bisher verwehrt geblieben.

Sebastian Gimbel beim Spiel der Cowboys gegen die Stuttgart Scorpions. (Foto: Johannes Simon)

Der heutige Cowboys-Präsident Werner Maier war damals auch schon dabei. "Er kam nach unserem Meisterjahr 1993", sagt Maier über Gimbel, "und er war stark wie ein Ochse". Er kam als deutscher Jugend- und Juniorenmeister im Judo, der jetzt das Erlernte anwenden wollte. Und das am besten woanders.

Eigentlich wollte Gimbel nicht lange bleiben. Der Plan war: zwölf verschiedene Football-Teams in zwölf Jahren, jedes Jahr in einer anderen Stadt leben und spielen, Deutschland kennenlernen. Gleich bei der ersten Station blieb er hängen, weil er dann eine Münchner Freundin hatte. In den vergangenen Jahren hat es viele gute Spieler gegeben, die die Cowboys verlassen haben, nach Ingolstadt oder nach Kempten. Deshalb sagt er heute: "Ich fühle mich als Teil der Cowboys. Warum gehen so viele Eigengewächse von einem funktionierenden Team woanders hin?"

Gimbel sitzt in einem Biergarten in der Rosenheimer Straße, das Vorgänger-Lokal "Zic Zac" war einst Sponsor der Cowboys und nach den Spieltagen Anlaufstation. Rund 120 Kilo Muskeln, der Mann ist fit wie eh und je. Und das, obwohl er im Februar eine Knie-Operation hatte. Gimbel konnte den Cowboys lange nicht helfen. "Er fehlt uns sehr", sagte Präsident Maier. Erst Mitte August, im wichtigen Spiel gegen die Marburg Mercenaries spielte Gimbel wieder. Er half mit, einen Sieg gegen den Abstieg einzufahren, es war erst der zweite Erfolg im zehnten Spiel. Nun sind die Cowboys vor ihrem letzten Heimspiel gegen die Rhein-Neckar Bandits an diesem Samstag (16 Uhr, Dantestadion) Drittletzter der Bundesliga-Südstaffel.

Geglättete Menisken, Spritzen gegen den Knorpelschaden, beschwerliche Reha: "Wenn ich an den Beinen verletzt bin, dann trainiere ich halt den Oberkörper", sagt Gimbel trocken. Er ruht in sich selbst und ist trotzdem ziemlich laut: Zum Aufwärmen vor dem Spiel betreibt er Tai Chi, auf dem Platz brüllt er seine erschöpften Mitspieler an, so dass sie über die Erschöpfungsgrenze hinaus gehen.

Auch ohne Football und die Vorbereitung darauf hat er einen rastlosen Tagesablauf: Nachtschicht als Disponent im Nahverkehr, Radfahren, Krafttraining, dann ins Büro. Der gelernte Gießereimechaniker betreibt heute unter seinem Namen eine Finanzberatungsfirma, unter der Woche schläft er im Schnitt drei bis vier Stunden pro Tag, "wenn Zeit dafür ist" sagt er. Der Typ gestresster Manager ist Gimbel aber nicht, er redet ruhig, langsam, gestikuliert wenig, er sagt, er habe sich das alles ja so ausgesucht. In der Arbeitswelt ist er so was von 21. Jahrhundert, "old school" ist Gimbel nur beim Football. Er hat deshalb auch manchmal wenig Verständnis dafür, dass die jüngere Generation so viel seltener zum Training erscheint.

Nein, Trainer zu werden, das sei nichts für ihn. Er spricht von "Einstellungssache". Soll heißen: Zwischen seiner Einstellung zum Sport und jener der nachfolgenden Generation ist irgendetwas passiert. Für viele ist Football zweitrangig. Es würde ja auch kaum noch jemand von Leipzig nach München ziehen, um Football zu spielen. Heute würde das eher so laufen: Einen Job in München finden und dann fragen, ob der ansässige Footballklub Bedarf hat. Und dann würden sie auf Tubbs treffen.

Vielleicht war das Leipzig Anfang der Neunziger sogar noch ein bisschen mehr "old school" als München, auch wenn man das damals natürlich nicht so nannte. Es gab ja auch keine Fitnessstudios, sondern "Kellerhallen". Dort standen Holzbänke, auf denen man Gewichte drücken konnte, mehr nicht. Wem im Winter kalt war, der hatte eben zu wenig trainiert. Und wer 100 Kilo drücken konnte, durfte rüber auf die andere Bank, die mit der Polsterung. Ein Sport-Biotop mit klaren Hierarchien, artverwandt zu den Hierarchien im Football. "Football ist Diktatur", zitiert Gimbel den erfolgreichen deutschen Trainer Shuan Fatah. Ein Diktator sei er selbst sicher nicht. "Aber ich hab's auch nicht gern, wenn mir jemand zwanzig Mal widersprechen würde." Und das werde ja ständig gemacht. Zehn Runden warmlaufen - warum?

Früher war nicht alles besser. Es gab in der Offensive und in der Defensive meistens eine Stammelf, alle anderen kamen nur selten aufs Feld. "So haben sich viele Talente gar nicht erst entwickelt und den Verein wieder verlassen", glaubt Gimbel. Zugleich könnte das lange Zeit eine Evolution verhindert haben, weil ein bestimmter Spielertypus stets den Vorrang hatte. Jener nämlich, "der begeistert war, wenn's mal richtig gescheppert hat", sagt Gimbel, und der auch über Verletzungen hinweg spielte, weil man Angst hatte, den Stammplatz zu verlieren. Ein Stück weit kann Gimbel es ja auch akzeptieren, dass die alten Zeiten vorbei sind, immerhin spielt er selbst ja noch. "Wir leben eben in einem neuen Jahrtausend", sagt er. Football in München dürfe nicht mit der alten Generation aussterben. Doch ihm ist anzumerken, dass er sich Sorgen macht um seinen Sport. Dass er vielleicht nicht mehr zum Lebensstil der Jugendlichen passen könnte.

Sebastian Gimbel weiß nicht, wie lange sein Knie noch braucht. "Früher dachte ich, ich bin unzerstörbar", sagt Gimbel, das Älterwerden zeige sich daran, dass man länger zum Regenerieren brauche. Für die Cowboys geht es am Samstag sportlich um nichts mehr, der Klassenerhalt ist mittlerweile sicher. Aber bei Gimbel weiß man nie, ob er nicht doch die Backen zusammenkneift, wie er das nennt. "Ich bin ja auch ein Verrückter", sagt er.

Bisher erschienen: Karl-Heinz Schulz (31.8.), Norbert Wagner (27.8.), Gerd Coldewey (25.8.), Norbert Demmel (19.8.), Gerd Biendl (18.8.), Carlo Thränhardt (9.8.), Rudi Vogt (6.8.), Michael Hahn (4.8.), Monika Schäfer (30.7.), Kurt Szilier (28.7.), Andrea Eisenhut (23.7.)

© SZ vom 03.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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