Synchronschwimm-DM in München:Nixe in der Nische

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Marlene Bojer, Symbolfigur der SG Stadtwerke, kämpft bei der Synchronschwimm-DM im Münchner Nordbad auch gegen Vorurteile

Von Sebastian Winter, München

Ein sehr nostalgisches Café am Schweizer Platz in Fürstenried-West. Nicht die hübscheste Ecke Münchens, aber Marlene Bojer ist ja auch nicht hier, um über Stadtplanung zu sprechen. Die 23-Jährige bestellt ein Tafelwasser, in einer halben Stunde beginnt wenige hundert Meter entfernt das Training in der Schwimmhalle des ansässigen Schulzentrums. Zehn Tage sind es da noch bis zur deutschen Synchronschwimm-Meisterschaft im Münchner Nordbad, die an diesem Wochenende stattfinden wird. Bojer, Favoritin im Solo, gilt derzeit als beste Deutsche in ihrem Sport. Bei den German Open wurde sie kürzlich Vierte im Solo, mit 79,3 Punkten. 80 Punkte sind die Schallmauer, die Bojer durchbrechen will. Vielleicht schon im Nordbad.

Man merkt der SG-Stadtwerke-Athletin die Anspannung ein wenig an, mit dem Erfolg wachsen auch die Ansprüche. Wenn sie Gold gewinnt bei den Heim-Titelkämpfen, ist sie zugleich für die Weltmeisterschaft in Kasan qualifiziert. Das ist Bojers erstes großes Ziel. Olympia ist das zweite, auch wenn sie dort nur im Duett antreten kann, weil es bei den Spielen keinen Solo-Wettkampf gibt. Ihr drittes Ziel: Helfen, dass Synchronschwimmen endlich ernst genommen wird.

Marlene Bojer, Symbolfigur der SG Stadtwerke, kämpft bei der Synchronschwimm-DM im Münchner Nordbad auch gegen Vorurteile. (Foto: Claus Schunk)

Bojer, blonde Haare, schwarze Lederjacke, Perlen am Ohr, sagt, wenn es mal wieder um die klassischen Stereotype geht: "Diese Sachen ärgern mich sehr." Sie meint die Kommentare, wenn mal wieder das Klischee bemüht wird von den Frauen mit Blümchen-Badekappen, die Wassergymnastik machen. Oder wenn ihre Studienkollegen fragen, warum sie so viel trainiere für einen derart simplen Sport. Warum sie sich das überhaupt antue. Bojer hat eine klare Antwort: "Ich habe Spaß am Wettkampf, an Erfolgen, zu sehen, was ich alles kann. Und es gibt nichts Besseres, als mit seinen Freunden zu trainieren." Mit Franziska Ambros zum Beispiel, Bojers Duett-Partnerin für lange Zeit. Ambros, die bei der deutschen Meisterschaft in der Gruppe startet, konzentriert sich mittlerweile auf ihr Studium, sie verfolgt ihre Synchronschwimm-Karriere nicht mehr mit allerletzter Konsequenz. Bojer schon, das heißt auch: Opfer bringen.

Derzeit werden etwa 70 Mädchen bei der SG von acht Trainern zu Synchronschwimmerinnen ausgebildet. Die Leistungsgruppe um Bojer übt jeden Tag, rund 25 Stunden pro Woche. Schwimmtraining, Tanztraining, Turnen, Ballett - und Krafttraining. Denn hinter der Anmut, die gute Synchronschwimmerinnen ausstrahlen, steckt Knochenarbeit. Bis zu 20 Sekunden sind Bojer und die anderen bei Darbietungen am Stück unter Wasser, ständige Atemnot ist ihr Begleiter. Bojer schafft bei Streckentauch-Übungen im Becken 80 Meter - der beste Apnoetaucher Deutschlands kommt auf 136.

"Diese Sachen ärgern mich": Die Münchner Synchronschwimmerin Marlene Bojer möchte, dass ihr Sport ernst genommen wird. (Foto: Claus Schunk)

Dazu muss sie sich in Pflicht und Kür extrem schnell und zugleich synchron und elegant zur Musik und ihren Partnerinnen bewegen. Bojer gelingt das unter Höchstspannung. Und sie lächelt noch für die Kampfrichter, obwohl ihr Puls rast. Bojer hat noch eine andere Fähigkeit, die keine andere in Deutschland so beherrscht. Sie katapultiert sich bis zu den Oberschenkeln aus dem Wasser, eine immense Kraftanstrengung, die aber gute Noten verspricht. "Man kann das alles mit einem Sprint in der Leichtathletik vergleichen, nur ohne Atmung", sagt Bojer.

Sie ist in Neuhausen aufgewachsen, ihre Mutter nahm sie oft mit an den Pilsensee, doch im Wasser hatte Bojer Angst, unterzugehen. Eine Freundin nahm sie dann zu den Isarnixen mit, dem Münchner Traditionsverein in diesem Sport. Der ungarische Regisseur Géza von Cziffra gab den 1903 unter Kritik gegründeten Isarnixen (damals war Synchronschwimmen nur Männern vorbehalten) ihren Namen, als er sie 1951 für seinen Revuefilm "Die verschleierte Maja" engagierte. Zwischen 1957 und 1989 gewannen sie dann 90 deutsche Meistertitel, stellten drei Olympiateilnehmerinnen und in Christine Lang 1982 eine Europameisterin.

Danach tauchten die Isarnixen ab, auch wegen des Abschieds der Erfolgstrainerin Olly Serwonsky. Der Eintritt in die SG im Jahr 2007 erwies sich als Segen. Seither blühen die Isarnixen wieder auf, unterstützt von der Stadt, dem Olympiastützpunkt und einem engagierten Übungsleiterteam um Bundestrainerin Doris Ramadan und Organisationsleiterin Barbara Liegl. Einen Platz in der neuen Eliteschule des Sports in Milbertshofen dürften die Synchronschwimmerinnen aller Voraussicht nach bekommen. Von der DM, deren Etat von knapp 10 000 Euro die Stadt zur Hälfte übernimmt, soll nun zusätzliche Strahlkraft ausgehen.

Marlene Bojer ist zur Symbolfigur dieses Aufstiegs geworden, den Talente wie Bojers Duett-Partnerin Justine Seibert begleiten. "Marlene ist extrem beweglich, hat Gefühl für Wasser und schöne Beine", sagt Liegl. Schöne Beine sind offenbar noch immer ein wichtiges Kriterium für die Juroren. Aber Bojer hat Liegl zufolge vor allem den Willen, sich durchzusetzen: "Wir hatten immer wieder Mädchen mit vergleichbaren körperlichen Voraussetzungen, die es aber psychisch nicht geschafft haben." Marlenes Großvater Hans Bojer war übrigens jahrelang Bäderchef in München. Die DM 2009, die ebenfalls in München stattfand, wäre ohne ihn gar nicht möglich gewesen, sagt Liegl.

Bojer wohnt mittlerweile in Laim, studiert Druck- und Medientechnik an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München, was sich gut mit dem Sport verbinden lässt. Und doch zeigt sich an ihrem Beispiel auch, wie schwierig es Synchronschwimmerinnen in Deutschland haben. Als B-Kader-Athletin bekommt Bojer nur 200 Euro im Monat von der Deutschen Sporthilfe, viel ist das nicht für die Beste ihres Fachs, zumal sie sich selbst um die Finanzierung von Wettkampfanzügen, Schwimmbrillen, Nasenklammern und Badekappen kümmern muss. Und mit der Zusammenarbeit auf nationaler Ebene ist das so eine Sache, denn München und der Nord-Konkurrent Flensburg begegnen sich mit kühler Distanz, was auch die Harmonie in der Nationalmannschaft mitunter erschwert.

Barbara Liegl ist das in diesen Tagen egal, sie hat inzwischen einen mit ziemlich bombastischer Musik unterlegten Werbefilm für die DM ins Netz gestellt, auch das Online-Ticketing funktioniert jetzt nach ein paar Schwierigkeiten.

Apropos Musik: Im Fürstenrieder Schulschwimmbad verbindet Liegl ihr Handy mit der Musikanlage, Bejoncé singt Halo, die Gruppe studiert neben dem Becken ihre DM-Choreographie ein. "Früher", sagt Marlene Bojer, "haben wir noch auf Elvis getanzt". Synchronschwimmen hat sich emanzipiert, auch musikalisch. Nur in den Köpfen noch nicht ganz.

© SZ vom 27.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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