Serie "Alte Meister":Rauten im Herzen

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Vom FC Bayern zum Hamburger SV: Ludwig Trifellner hat in 40 Jahren als Torwart, Trainer und Talentspäher die entferntesten Pole bereist. Sein nächstes Abenteuer: Scout bei Werder Bremen

Von Stefan Galler, München

Das Erlebnis sei einzigartig. Wenn im Volksparkstadion Lotto King Karl zur großen HSV-Hymne ansetzt, "läuft es mir kalt den Rücken runter", sagt Ludwig Trifellner. Man müsse dann einfach mitsingen, das gehe gar nicht anders. Nun ist Trifellner alles andere als ein Nordlicht. Geboren in Niederbayern, folgte als Jugendlicher der Umzug nach München. Schließlich kam er beim FC Bayern unter, zunächst als Feldspieler der dritten Mannschaft, später als Torwart der Amateure und Stellvertreter von Manfred Müller und Walter Junghans bei den Profis.

Trifellners Affinität für den Hamburger Sportverein hat andere Gründe: Elf Jahre lang war er als Scout für den Bundesligisten tätig. Erst im Juli trennte man sich, "in beiderseitigem Einvernehmen", wie Trifellner sagt. Man habe unterschiedliche Vorstellungen, wie es mit dem Scouting weitergehen soll, dennoch bleibe er dem Klub und seinem Spezi, Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer, freundschaftlich verbunden: "Wenn du über viele Jahre alles miterlebst in einem Verein, alle Höhen und Tiefen, dann ist es ganz normal, dass du dich richtig identifizierst", sagt Trifellner. Er, der seit mehr als 25 Jahren Mitglied bei den Bayern ist, trägt die HSV-Raute im Herzen.

Die Liebe des 58-Jährigen zum Fußball ist viel zu groß für einen einzigen Verein, das spürt man bei vielen seiner Aussagen. "Wenn ich eines Tages aufwache und nicht an Fußball denke und mich darauf freue, ein Spiel anzuschauen, dann mag ich aufhören", hat er einmal in einem Fernsehporträt gesagt. Doch es dürfte noch lange dauern, bis dieser Zustand bei Ludwig Trifellner einsetzt.

Erst seit wenigen Wochen hat er wieder einen Job als Scout - wieder bei einem Traditionsverein aus dem Norden, nämlich bei Werder Bremen. Trifellner soll wie beim HSV den Bereich der U17 bis zum Lizenzspielerbereich für Österreich, Schweiz und Süddeutschland im Blick halten. Womit sein Tagesablauf auch weiterhin fast ausschließlich aus Fußball bestehen dürfte. Der ehemalige Torwart ist seit 14 Jahren im Bayerischen Fußball-Verband (BFV) aktiv, zunächst vor allem in der Ausbildung von Torwarttrainern, seit geraumer Zeit auch als Prüfer von Absolventen der B-Lizenz und Abnehmer von Eignungsprüfungen. Zwei bis drei Mal die Woche kommt er in die Sportschule Oberhaching, entwickelt Konzepte für die Schulung der Übungsleiter. "Wir in Bayern waren die ersten, die eine spezielle Ausbildung für Torwarttrainer ins Leben gerufen haben, das war vor elf Jahren." Der DFB habe erst vor drei, vier Jahren nachgezogen. Gemeinsam mit Thomas Roy, der später für zwei Jahre im Auftrag des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) auf den Philippinen arbeitete, mit dem heutigen Garchinger Cheftrainer Daniel Weber und mit Harry Huber, ehemals aktiv bei Bayern, 1860 und Burghausen, legte Trifellner den Grundstein für diesen Ausbildungszweig. Dass sich der Experte für den Platz zwischen den Pfosten nicht nur in jenem Bereich auskennt, in dem er selbst einst aktiv war, zeigt sich schon daran, dass er auch Sichtungen für die Nominierung der Regionalauswahlen abhält.

Im Jahr 1985 mit Manfred Binner und Trainer Peter Grosser (von links) bei der SpVgg Unterhaching. (Foto: Imago)

Für Trifellner ist es freilich nicht nur wichtig, dass junge Spieler fachlich geschult werden. Er hält die Begleitung der Talente im wirtschaftlichen und persönlichen Bereich für ebenso wichtig. Deshalb bietet er eine entsprechende Hilfe bei der Karriereplanung an. Weniger als klassischer Spieleragent, vielmehr versucht er, Jugendliche an geeignete Berater zu vermitteln. "Es bleiben so viele Jungs auf der Strecke, etwa weil sie mit dem Trainer nicht zurecht kommen, schulische oder sonstige Probleme haben. Denen stehe ich zur Seite und versuche herauszufinden, wem man den jeweiligen jungen Spieler an die Hand geben kann." Trifellner kennt zahlreiche Agenten und weiß durch seine langjährige Erfahrung zu unterscheiden zwischen den "90 Prozent, die nur Blödsinn erzählen, und ein paar seriösen". Dabei schließt er mit den Talenten oder deren Eltern selbst keinen Vertrag. "Es ist eher ein Gentlemen's Agreement." Erst beim ersten Profivertrag werde eine Prämie fällig. Sollte es damit nichts werden, fließt für ihn auch kein Geld.

Ob einer das Zeug zu höheren Weihen besitzt, dafür hat Trifellner einen Blick. Beileibe nicht alles hängt von den fußballerischen Voraussetzungen ab, sagt der gebürtige Niederbayer: "Charakter frisst Talent, sage ich immer", sagt Trifellner und nennt ein Beispiel: "Wenn ich einen Treffpunkt am nächsten Morgen um acht Uhr in Aue ausmache, da fährt der charakterstarke Spieler sofort los. Derjenige, der nur über Talent verfügt, fragt mich, ob es nicht auch um zwölf reicht." Kriterien, die er auch in seiner Arbeit als Talentspäher anwendet. Als Trifellner das Scouting bei der SpVgg Greuther Fürth aufbaute, lernte er Dietmar Beiersdorfer kennen, der 2002 Sportchef in Hamburg wurde. "Er rief mich an und holte mich in ein kleines Team, um auch beim HSV eine Scouting-Abteilung zu gründen." Unter anderem war auch der langjährige Bundesligaprofi Harald Spörl dabei, mit dem Trifellner längst eine enge Freundschaft pflegt. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: Mehr als 40 Millionen Euro Transferüberschuss erwirtschaftete der Verein in den ersten Jahren. Beiersdorfer erhielt von der Boulevardpresse den Spitznamen "Dukaten-Didi". "Spieler wie de Jong oder Boulahrouz haben wir billig geholt und teuer verkauft", sagt Trifellner.

Später, als Bernd Hoffmann das Ruder beim HSV übernahm und Frank Arnesen Sportlicher Leiter wurde, habe er sich mit seinen Vorschlägen nicht recht durchsetzen können, berichtet Trifellner: "Arnesen hat viele Leute geholt, die er selbst von seiner Tätigkeit bei Chelsea kannte." So seien einige potenzielle Transfers nicht zustande gekommen: Fabian Johnson, die Bender-Zwillinge, Christian Träsch, ja sogar Mats Hummels - sie alle kannte Trifellner von klein auf, sie alle empfahl er den Hanseaten. Doch keiner wurde geholt. "Das Problem über viele Jahre war die fehlende Kontinuität. Ich habe in 14 Jahren 15 Trainer erlebt, vier Vorstände, jeweils fünf Manager und Leiter des Nachwuchsleistungszentrums." Mittlerweile ist Beiersdorfer als Vorstandsvorsitzender zurück - und entließ diese Woche Trainer Bruno Labbadia.

Für Trifellner gibt es aber auch noch den Fußball abseits von Bundesliga und BFV: Er ist Sportchef beim Landesligisten SB Chiemgau Traunstein, trainiert auch dort die Keeper. "So bin ich wenigstens einmal die Woche in Bewegung", sagt er. Der ehemalige Jugendtrainer des FC Bayern, Rainer Hörgl, hatte ihn als Interimscoach geholt, ist mittlerweile aus zeitlichen Gründen aber als Abteilungsleiter zurückgetreten. Auch Hörgl ist als Spielerberater tätig.

Über mangelnde Beschäftigung muss sich Trifellner nicht beschweren. Jedes Jahr ist er rund 60 000 Kilometer unterwegs, zwischen Norddeutschland, Traunstein, Oberhaching und Kufstein, wo er mit seiner Lebensgefährtin wohnt. Dorthin hatte es ihn 2005 verschlagen, als er beim örtlichen FC für zweieinhalb Jahre Sportlicher Leiter wurde. Damals ließ er sich von Dieter Schönberger nach Tirol locken, einem seiner Schüler aus vergangenen Zeiten beim SV Lohhof. Dort, beim kleinen Klub aus Unterschleißheim im Landkreis München, feierte der Niederbayer seine größten Erfolge als Trainer: 1999 wurde er mit einer weitgehend unterschätzten Mannschaft Bayernliga-Meister. Auch wenn die folgende Regionalligasaison zum Vergessen war und Trifellner nach einer frustrierenden Niederlagenserie seinen Posten räumen musste, ist dieser Triumph für ihn unvergessen. "Wir treffen uns nach wie vor", sagt er und betet seine Mannschaft herunter: "Heckl, Rosenwirth, Haußmann, Schnell, Oßwald, Kalichmann, Himsl, Anderl, Reichel und natürlich Stefan Leitl." Bis auf Letzteren fahren sie alle jedes Jahr zu einem Ü 40-Turnier in Tirol und haben dort ihren Spaß. "Der Stefan wird aber auch bald dabei sein. Wenn er endlich 40 ist."

Letzter Teil. Bisher erschienen: Wolfgang Schwamberger (24.9.), Helmut Stahl (22.9.), Monika Gawenus (15.9.), Horst Schwanke (10.9.), Daniel Brode (7.9.), Sebastian Gimbel (3.9.), Karl-Heinz Schulz (31.8.), Norbert Wagner (27.8.), Gerd Coldewey (25.8.), Norbert Demmel (19.8.), Gerd Biendl (18.8.), Carlo Thränhardt (9.8.), Rudi Vogt (6.8.), Michael Hahn (4.8.), Monika Schäfer (30.7.), Kurt Szilier (28.7.), Andrea Eisenhut (23.7.)

© SZ vom 29.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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