Schwimmerin Victoria Kothny:Kaltstart

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Die 15-Jährige konnte ihren SZ-Talentiade-Preis nicht persönlich in Empfang nehmen. Die Schwimmerin aus Dachau ist für sechs Monate nach Australien gezogen - ein Schritt, dessen Tragweite sie erst jetzt realisiert

Von Sebastian Winter, Dachau

Victoria Kothny hat Heimweh. Großes Heimweh. Wie soll es auch anders sein bei einer 15-Jährigen, die sich aus Dachau mal eben aufgemacht hat ans andere Ende der Welt. Die das Elternhaus verlassen hat, die Freunde, das gewohnte Umfeld. Mit der Aussicht, erst an Weihnachten wieder zurückzukehren. Es liegt in der Natur von großen Abenteuern, dass sie oft auch furchtbar einsame Momente mit sich bringen. Vor allem, wenn zwischen Kothny und ihrer Heimat 16 025 Kilometer und 27 Flugstunden liegen.

Victoria Kothny hat das Abenteuer Australien gesucht, die Leistungsschwimmerin hat ein Stipendium dort bekommen. Aber sie fand es auch furchtbar schade, nicht dabei sein zu können, als sie am Mittwochabend von der Süddeutschen Zeitung mit einem Talentiade-Preis ausgezeichnet wurde, weil sie eben so großartig schwimmt. Ihr Trainer Elvir Mangavic hat sie vertreten. Ihrem Münchner Verein SC Prinz Eugen, dessen Schwimmer in jüngster Vergangenheit wegen des Umbaus ihres Bades in der Sentastraße auf das gesamte Stadtgebiet ausweichen müssen, kommen die 1500 Euro Preisgeld zugute. Mangavic war gerührt, er schwärmte auf der Bühne von seiner Schülerin: "Das ist ein großer Diamant im Wasser, sie hat eine tolle Entwicklung genommen."

Seit November 2012 trainiert Kothny beim SC Prinz Eugen, im vergangenen April hat sie bei der deutschen Meisterschaft über 200 Meter Rücken das B-Finale erreicht. Mangavic sieht sie schon in den großen Fußstapfen von Franziska van Almsick und Alexandra Wenk, er könnte sich sogar vorstellen, dass sie noch die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Rio schafft. Auch wenn das ein sehr ambitioniertes Ziel ist.

Um noch besser zu werden, lebt Victoria Kothny seit einer Woche im Mountain Creek Mooloolaba Swimming Club an Australiens Ostküste. Sunshine Coast heißt dieser Abschnitt 100 Kilometer nördlich von Brisbane auch, der Klub liegt versteckt direkt hinter einer von künstlichen Lagunen und Sandstränden gesäumten Küste. Kothny geht dort zur Schule und nutzt das Stipendium. Den Kontakt hat übrigens ihre Schwester Katharina, die vor fünf Jahren in Brisbane war, hergestellt.

Das alles hört sich traumhaft an, nach einem entspannten Leben im Urlaubsparadies, doch Kothnys Eltern, die ebenfalls bei der Preisverleihung im Münchner SZ-Hochhaus sind, berichten von ihrer Einsamkeit: "Die ersten Tage hatte sie schwer zu kämpfen. Die Zeitumstellung, das Heimweh, es war auch nicht einfach für sie, Kontakte zu knüpfen. Und das Training hat sie fast erschlagen", sagt ihre Mutter. Denn Victoria Kothny übt mit vielen Freiwasser-Schwimmern, die viel größere Umfänge schwimmen, sieben Kilometer pro Training. Kothny absolviert eigentlich maximal fünf. Hinzu kommt, dass in Australien im Becken andersherum geschwommen wird, die Leinen sind nicht rechts neben den Schwimmern, sondern links von ihnen. Wie beim Linksverkehr auf der Straße, den es in Australien gibt.

An all das muss sich die 15-Jährige gewöhnen, die Reise nach Australien entpuppt sich für sie als Sprung ins kalte Wasser. Und dieses Talent ist auch ein Beispiel dafür, welche Energie es kosten kann, seine sportlichen Ziele zu verfolgen. Zumal in einer der trainingsintensivsten Sportarten überhaupt. "Aber sie hat eine tolle Motivation", sagt ihr Trainer Mangavic.

Und sie hat ihrem kleinen Verein Prinz Eugen, der nur eine Handvoll Schwimmtalente hat, dafür sehr aussichtsreiche, nun einen großen Gefallen getan. Mangavic möchte das Geld in Trainingslager investieren, die oft sehr teuer, aber auch enorm wichtig für die Entwicklung seines Schwimmnachwuchses sind. "Und Prinz Eugen ist eine Quelle für gute Talente", sagt er stolz. Pascal Winter, Peter Lehmann und Max Nowosad hat er trainiert, Schwimmer, die es in die deutsche Spitze geschafft haben, sein jüngstes Talent heißt Amelie Zachenhuber, sie ist erst zehn. Und eben Victoria Kothny.

Sie möchte einmal Pilotin werden, auf dem Hinflug hat sie schon mal so lange Zeit über den Wolken verbracht wie nie zuvor. Bald kommt ihre Schwester zu Besuch, die eine Urlaubreise nach Australien plant, es ist ein Anker für Kothny, der das Heimweh lindert.

Es dürfte bald weniger werden, wie das so ist bei solchen Abenteuern. Mit jedem Armzug im Mountain Creek Mooloolaba Swimming Club dürfte sie mehr Sicherheit gewinnen. Und mit jeder neuen Erfahrung: Am Mittwoch hat das Mädchen die ersten Kängurus gesehen, auf ihrem Schulweg, mitten in der Stadt. Sie schickte ihren Eltern ein Bild davon. In diesem Moment war Victoria Kothny sehr glücklich, 16 025 Kilometer entfernt von daheim zu sein.

© SZ vom 17.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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