Schiedsrichter-Projekt:Betreutes Pfeifen

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Im Gleichschritt: Maximilian Hafeneder (rechts) leitet das Spiel, Thomas Sonnleitner schaut ihm dabei über die Schulter und gibt Ratschläge. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Projekt Tandem: Um Schiedsrichter-Neulingen beim Einstieg zu helfen, laufen erfahrene Kollegen mit ihnen gemeinsam auf

Von Jan Geißler, Geretsried

Der Gästetrainer schreit herum, zwei Spieler geraten aneinander, plötzlich fangen auch noch die Eltern an, sich einzumischen. Alles eskaliert, weil einige wenige glauben, eine Fehlentscheidung erkannt zu haben. Ein Horrorszenario für jeden Schiedsrichter. Maximilian Hafeneder hat genau das erlebt, dann aber die richtige Entscheidung gefällt: Spielabbruch. Ob er genauso entschieden hätte, wenn er komplett auf sich alleine gestellt gewesen wäre? Schwer zu sagen. Maximilian Hafeneder ist erst 15 Jahre alt, und die beschriebene Szene ereignete sich während seines ersten Einsatzes als Schiedsrichter. Glücklicherweise handelte es sich dabei um ein sogenanntes Tandemspiel; ein erfahrener Referee griff ein.

Seit März 2015 geht der Bayerische Fußball-Verband (BFV) neue Wege, um seinen Schiedsrichter-Nachwuchs an die selbständige Leitung eines Spiels heranzuführen. Die Idee hatte damals Thomas Sonnleitner, selbst jahrelang Bezirksliga-Schiedsrichter und Lehrwart der Schiedsrichtergruppe Bad Tölz. Da der Neulingskurs bis dato - von einem Praxistag abgesehen - nur aus Theoriestunden bestand, nahmen die meisten die Pfeife erstmals bei ihrem Debüt in den Mund. "Viele haben dann einfach zu leise gepfiffen", nennt Sonnleitner einen typischen Anfängerfehler und ergänzt direkt einen weiteren: "Häufig haben auch die Laufwege nicht gestimmt, wodurch sie dann viel zu weit vom Geschehen entfernt standen." Dem Betreuer am Spielfeldrand, der während der ersten Partie ein Auge auf den unerfahrenen Nachwuchs hatte, sei dies freilich alles aufgefallen, eingreifen konnte er aber meist erst in der Halbzeit oder nach dem Spiel. Sonnleitner hält das für wenig zielführend, weil die Neulinge bis dahin häufig schon der Kritik und dem Unmut von Mannschaften und Zuschauern ausgesetzt waren. Zudem erinnerten sich die meisten zur Pause schon gar nicht mehr an die jeweilige Spielszene, in der sie vermeintlich einen Fehler begangen hatten. Das muss auch anders gehen, dachte sich Sonnleitner, und wurde beim BFV mit der Projekt-Idee "Tandem" vorstellig: Statt eines Betreuers außerhalb des Feldes wird jedem Nachwuchsschiedsrichter, zumindest während des ersten Einsatzes, ein erfahrener Partner an die Seite gestellt. Ein Vorbild quasi, das die erste Hälfte leitet und dem Neuling die Abläufe vormacht und erklärt. Nach dem Seitenwechsel dann der Rollentausch: Der Debütant, der bisher als Beobachter unterwegs war, übernimmt die Leitung der Partie, wird aber weiterhin von seinem Tandem-Partner begleitet. Die Idee gefiel, schon wenig später war das Pilotprojekt geboren.

Das war vor gut einem Jahr. Inzwischen wurde das Projekt auf ganz Bayern ausgeweitet und soll mittelfristig auch deutschlandweit zur Anwendung kommen. "In der Region Bad Tölz dürfte es im ersten Jahr 20 bis 25 Tandemspiele gegeben haben", schätzt Sonnleitner, der mit dem bisherigen Verlauf sehr zufrieden ist. Im Vergleich zu den vorherigen Jahren fällt auf, dass 2015 deutlich mehr Nachwuchskräfte dabei blieben und die Karriere als Schiedsrichter nicht schon nach kürzester Zeit wieder beendeten. Normalerweise hätten zu dieser Jahreszeit schon wieder 50 Prozent aller Neulinge aufgehört, erzählt Sonnleitner, vom aktuellen Kurs hingegen seien noch alle dabei. Angesichts des großen Aufwandes, der hinter der Ausbildung des Nachwuchses steckt, sind diese Zahlen für den Bad Tölzer Lehrwart umso schöner. Insgesamt besteht das Lehrteam aus etwa zehn Ehrenamtlichen. "Wir wollen mit dem Nachwuchs arbeiten", betont Sonnleitner, wohlwissend, dass noch immer vieles an älteren Schiedsrichtern hängt, die am Wochenende auch mal vier, fünf Spiele leiten müssen.

Ganz so weit ist Maximilian Hafeneder noch nicht, wenngleich er seinen Job als Schiedsrichter inzwischen schon recht abgeklärt ausübt. Nachdem sein Debüt noch ein abruptes Ende fand, entschied er sich für ein zweites Tandemspiel. Aufregung? "Deutlich weniger als bei meinem ersten Einsatz", sagt Hafeneder, "es hat zwei, drei Minuten gedauert, dann hatte ich reingefunden". Nach ein paar Hinweisen von Sonnleitner, dem erfahrenen Part des Tandems, hätte er die Spielleitung am liebsten direkt übernommen. Und so wurde die Halbzeitpause, eigentlich zur Nachbesprechung der ersten Hälfte angedacht, mehr zur Erholung im Schatten genutzt. Maximilian Hafeneder hatte Spaß, und das Projekt somit genau das erreicht, was es sollte: dem Nachwuchs die Furcht vor der Spielleitung zu nehmen. Längst sind auch die Verbände anderer Bundesländer auf die neue Lehrmethode aufmerksam geworden. Der nordrhein-westfälische sowie der brandenburgische Fußballverband hätten sich schon nach dem Projekt erkundigt.

Hafeneder ist froh, dass das Prinzip Tandem ins Leben gerufen wurde. Eigentlich hütet der 15-Jährige in der C-Jugend des TuS Holzkirchen das Tor, wegen einer Auflockerung der Wachstumsfuge im Sprunggelenk ist er aktuell jedoch zum Zuschauen verdammt. So ist es also letztlich einem unglücklichen Zufall zu verdanken, dass er zum Schiedsrichterwesen fand: "Meine Eltern und ich haben in der Zeitung von dem Neulingskurs gelesen", erzählt Hafeneder, der sich damals dachte, wenn er schon nicht mitspielen könne, dann sorge er doch wenigstens dafür, dass die anderen spielen könnten. Die Theorieprüfung bestand er sogar als Kursbester. Inzwischen hat er auch seinen ersten Einsatz ohne Hilfe hinter sich. Ein Jugendspiel. Für Maximilian Hafeneder überhaupt kein Problem, alles lief reibungslos. Wieso auch nicht, schließlich hatte er davor bereits zweimal die Pfeife im Mund gehabt.

© SZ vom 15.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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