RSV Steinhöring bei Hallenrad-WM:Familien-Oberhaupt

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"Innerlich haben wir gedacht: Wir schaffen das nicht": Steinhörings Vierer erkämpfte sich dann aber Gold. (Foto: Oliver Stoll; O. Stolle)

Der Kunstrad-Vierer des RSV Steinhöring wird zum fünften Mal binnen sechs Jahren Weltmeister. Die ziemlich leeren Tribünen zeigen zugleich, dass noch viel Entwicklungshilfe nötig ist - nicht nur im Gastgeberland Malaysia

Von Andreas Liebmann, Johor Bahru/München

Die Sporthalle war etwa so riesig, wie ihr Name lang war: Perbandaran Pasir Gudang Indoor Stadium. Doch die meisten Tribünen blieben leer. Schon bei der Eröffnung der Hallenrad-Weltmeisterschaften in Johor Bahru, Malaysia, hatte das seltsam ausgesehen: Unten standen die Athleten aufgereiht hinter ihren Fahnen, ihnen gegenüber eine Bühne voller Funktionäre. Auf den Sitzen rundherum: niemand. Dennoch liefen Katharina Gülich nun Freudentränen über die Wangen. Eine Last sei von ihr abgefallen, sagte die 25-Jährige. Gerade war sie mit dem Kunstrad-Vierer des RSV Steinhöring zum fünften Mal Weltmeisterin geworden.

Dabei ist Gülich derartige Erfolge ja gewöhnt. Sie hat schon in Stuttgart, Kagoshima, Aschaffenburg und Basel triumphiert, die Besetzung war fast jedes Mal eine andere. Nun fuhren Christine Posch, 23, Ramona Ressel, 20, und Michaela Schweiger, 22, an ihrer Seite, für Ressel und Schweiger war es das WM-Debüt. Im Jahr zuvor, als beide neu in die erfolgsverwöhnte Formation stießen, hatte es nicht für eine WM-Qualifikation gereicht, bis dahin hatte das Team aus dem Landkreis Ebersberg viermal in Serie gewonnen. Nun wieder.

Am Freitag hatten die deutschen Kunstradfahrer bereits im Zweier ihre Dominanz gezeigt. Die Brüder Bugner aus Klein-Winternheim verteidigten ihren Titel zum zweiten Mal, dahinter jubelten Stefanie Dietrich und Robert Schmidt vom RSV Schleißheim über Silber. National hatten sich die 17- und der 19-Jährige, die seit sechs Jahren gemeinsam fahren, nur äußerst knapp durchgesetzt, was allemal als riesiger Erfolg galt in ihrem ersten Jahr bei den Erwachsenen. International war Rang zwei weniger überraschend. Die zweitschwierigste Kür hatten sie eingereicht und trotz eines etwas wackligen Vorrundenauftritts zweimal beinahe fehlerlos durchgezogen. "Es ist eben eine WM und keine bayerische Meisterschaft", erklärte die Sportliche Leiterin Doris Schmidt die Nervosität, die allerdings die meisten Fahrer befallen hatte. Ganz leer waren die Tribünen natürlich nicht. Das Ehepaar Schmidt samt Opa war angereist, um den Sohn und Enkel Robert anzufeuern, auch Stefanie Dietrich hatte Unterstützung aus der Familie, und die meisten Nationen hatten kleine Fanklubs mitgebracht. "Es war eben nur etwas familiär", sagte Doris Schmidt. Nächstes Jahr findet die WM in Stuttgart statt, "da wird die Halle dann wieder toben." Für Dietrich/Schmidt war die beschauliche Atmosphäre vielleicht sogar ein Vorteil, so waren ihre Nerven leichter im Griff zu behalten; bei ihrer ersten Teilnahme hatten sie sich ohnehin noch wenig Druck gemacht.

Bei Katharina Gülich war das anders, sie habe unbedingt den Titel nach Deutschland zurückholen wollen. Auch die beiden Debütantinnen im Team hatten bereits vor etwa drei Jahren das Ziel, in Malaysia Gold zu erobern, weil das eine Art Tradition ist in der kleinen Gemeinde Steinhöring: dass mindestens einmal im Jahr eine RSV-Formation mit einem großen Titel heimkommt und im Ort gefeiert wird. All das ist ein Verdienst der 74-jährigen Trainerin Irmtraut Wirth, die neben ihrer Arbeit im Verein auch immer noch anderen Nationen Entwicklungshilfe gibt, etwa der Slowakei, deren Vierer in Johor Bahru Dritter wurde.

Malaysia ist noch viel mehr ein Kunstrad-Entwicklungsland, so ließ sich auch die geringe Zahl einheimischer Zuschauer erklären - zumal der Veranstaltungsort vier Wochen zuvor geändert worden war, von Malakka nahe Kuala Lumpur ins vier Autostunden entfernte Johor Bahru, am südlichsten Zipfel der Halbinsel, nur durch eine Wasserstraße von Singapur getrennt.

Einige der ohnehin wenigen Kunstrad-Nationen hatten die weite Anreise gescheut, die Vierer-Konkurrenz bestand gar nur aus vier Teams. Das deutsche hatte das zweitschwierigste Programm eingereicht, die Schweiz hatte mehr riskiert. Doch Steinhöring meisterte alle Schwierigkeiten, obwohl die Aufregung groß gewesen sei, wie Gülich verriet. Einmal, bei einer Doppeltorfahrt, musste sie sich kurz abstützen, das gab Abzug. Es blieben 202,81 Punkte. Zu wenig, fürchteten sie, "innerlich haben wir da gedacht: Wir schaffen es nicht". Nun also hieß es warten, eine gefühlte "Ewigkeit" lang. Der Druck lastete auf den nervös wirkenden Schweizerinnen, die ihm anfangs standhielten: Nach zwei von fünf Minuten führten sie noch mit 217 Punkten. Dann kamen erste Wackler. Mehrere Abstiege folgten. Es ging dahin. Auf den Stühlen der Führenden begann das RSV-Quartett zu jubeln. Am Ende blieben nur 165,04 Punkte. Also ab zur Dopingprobe. Und feiern.

Es ist heiß in Malaysia, 35 Grad. Dietrich/Schmidt sind am Dienstag heimgekehrt, die Steinhöringerinnen sind noch weiter nach Singapur gefahren und nach Kuala Lumpur. Am ersten Advent werden sie zurückerwartet. Daheim liegt Schnee. Ob es wieder einen Autokorso durchs Dorf geben wird? Gülich lacht. "Ich hoffe nicht."

© SZ vom 25.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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