Rollstuhlbasketball:Das zweite Leben

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„Ich bin nicht hier, weil ich Glück hatte“: Sein Weg nach Europa führte Ziv Eliyahu zu den Iguanas. (Foto: Claus Schunk)

Binnen weniger Jahre hat sich Ziv Eliyahu im Rollstuhlbasketball von der untersten in die erste Liga Israels gekämpft. Seit diesem Sommer spielt er für die Münchner Iguanas. Jenen Tag, an dem er durch eine Mine fast sein Bein verlor, begreift der 28-Jährige als Chance.

Von Thomas Jensen

Eine Lösung auf diese Frage zu errechnen, ist wohl unmöglich. Selbst Stochastik-Gelehrte dürften daran verzweifeln. Darum meint es Ziv Eliyahu auch eher rhetorisch, wenn er fragt: "Wer kann sich das vorstellen? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich jetzt hier sitze, in einem Café in München, und Rollstuhlbasketballspieler bin?" Der Israeli ist Center bei den Münchner Iguanas. Auch er selbst wäre zumindest die ersten 21 Jahre seines Lebens nie auf solch eine Idee gekommen.

Nicht nur, weil er aus seiner Familie immer am wenigsten mit Basketball zu tun hatte: "Meine Brüder und mein Papa sind alle über 1,90 Meter. Für mich mit meinen 1,86 war das darum eher peinlich. Ich war immer mehr der Musiker bei uns daheim." Auch nicht, weil er Rollstuhlbasketball als Kind eher seltsam und einschüchternd fand - sein Opa, ein Veteran des ersten arabisch-israelischen Krieges, hatte ihn und seine Brüder manchmal mitgenommen, um bei Spielen zuzuschauen. Sondern vor allem, weil er sich mit 19 für die israelische Armee verpflichtete. Allerdings nicht mit der Motivation, zu kämpfen, das ist ihm wichtig zu betonen. "Jedes Mal, wenn ich mich schwach gefühlt habe, habe ich mich daran erinnert, warum ich hier bin: um zu beschützen. Familie, Freunde und auch deren Familien." Davon ist er immer noch überzeugt. Könnte er die Zeit zurückspulen, würde er wieder Soldat werden. Selbst auf die Gefahr hin, dass sich so ein Tag wie 2012 noch einmal ereignen würde.

Eliyahu, der aus der kleinen Gemeinde Yuvalim im Norden Israels kommt, war mit einem Einsatzteam im Grenzgebiet des Gazastreifens unterwegs. Mit mehreren Kameraden befand er sich im hinteren Teil des Fahrzeugs, als eine nahe gelegene Mine explodierte. An die folgenden Momente kann sich der 28-Jährige genau erinnern: "Es ist ähnlich wie in den Filmen. Erst hört man ein Piepen, dann hört man gar nichts mehr. Und sehen kann man auch nicht, weil alles voller Rauch ist."

Hätte man, während er das erzählt, das Café in der Nähe des Sendlinger Tors betreten, wäre man nicht auf die Idee gekommen, worüber der große kräftige Mann gerade spricht. Es ist ein Abend Ende November, im Radio läuft schon Happy Xmas (War is Over) von John Lennon. Wie passend. Der Krieg scheint ewig weit entfernt von der Münchner Wirklichkeit zu sein. Ganz ruhig, fast bedächtig erzählt Eliyahu. "Jetzt im Nachhinein fühlt es sich an, als ob ich zwei Sekunden nach der Mine schon im Krankenhaus war, alles ging so schnell." Er sei davon überzeugt gewesen, dass er sein rechtes Bein verloren habe, dass es ab sei, wie er sagt. War es nicht. Da die Nerven sehr stark geschädigt sind, kann er es aber kaum mehr bewegen und kaum fühlen. Schmerzen hat er trotzdem häufig, eine Art Phantomschmerz. Um Knochen und Bein zu stabilisieren, wurde ein Titanstück eingesetzt, das vom Knie bis zum Knöchel reicht. Allerdings kann er inzwischen auch wieder stehen und gehen, dank einer speziellen Schiene.

Davon zu erzählen, geht ihm trotz aller Gelassenheit nahe. Er spricht jetzt etwas gedämpft. Trotzdem versucht er offen damit umzugehen: "Ich habe entdeckt, dass man Ängste am besten besiegt, wenn man sich ihnen stellt. Und ich habe gelernt, dass ich zwei Möglichkeiten habe: Den Unfall als schlimmsten Tag meines Lebens zu bezeichnen, oder ihn als Chance zu nehmen, mein Leben zu überdenken, aus Fehlern zu lernen und daran zu wachsen."

Neben dem Sport begann er noch zu studieren und half bei einer Umweltorganisation

Eliyahu überdachte sein Leben nicht nur, er stürzte sich nach der Reha geradezu hinein. Zum Rollstuhlbasketball fand er, als die israelische Nationalmannschaft ihm und anderen Veteranen den Sport vorstellte. Außerdem begann er zu studieren, Politik und Nachhaltigkeit, bis zum Master. Zusätzlich arbeitete er für eine gemeinnützige Umweltorganisation in der Öffentlichkeitsarbeit. Alles auf einmal.

"Das war manchmal schon kompliziert. Ich bin um sechs aufgestanden und um elf heimgekommen. Der Stress war oft überwältigend." Doch der Einsatz zahlte sich aus, bald spielte er sich von der untersten in die erste Liga. Schließlich wurde er Center bei Beit Halochem Tel Aviv. Dort fasste er das Ziel, nach Europa zu gehen, wo die Ligen stärker seien. Schließlich beendete er seine Arbeit bei der Umweltorganisation, um sich ganz dem Sport zu widmen.

Diesen Sommer, fünfeinhalb Jahre nachdem er begonnen hatte mit Rollstuhlbasketball, hat er es geschafft. Er zog mit seiner Frau Claudia nach München, um für die RBB Iguanas in der Bundesliga zu spielen. Inzwischen läuft die Rückrunde. Warum er das erreicht hat, ist Eliyahu klar: "Ich bin nicht hier, weil ich Glück hatte. Ich habe hart gearbeitet und mir das Recht verdient." Sportlich fühlt er sich gut aufgehoben. In seiner Heimat liefen Spiele oft am Center vorbei, in Deutschland ist das System anders, da ist seine Rolle unter dem Korb wichtiger. Allerdings wird er deshalb auch besser verteidigt. "Es nach Europa zu schaffen, war der erste Schritt. Nur wenn die Iguanas nach der Saison mit mir weitermachen wollen, habe ich gut genug gespielt", sagt er. Am Samstag (16.30 Uhr) empfangen die Iguanas den BSC Zwickau.

Eliyahu denkt jedoch noch viel weiter, über diese und nächste Saison hinaus: "Ich habe jetzt schon so viel dazugelernt und kann es nicht erwarten, irgendwann nach Israel zurückzukehren." Den Rollstuhlbasketball in seinem Heimatland voranzubringen, ist sein großer Traum. Jetzt, da er über die Zukunft, Ziele und Visionen spricht, sprudelt es aus ihm heraus, sein Tatendrang ist ihm anzuhören. Um Wahrscheinlichkeiten kümmert er sich nicht. Er hat gelernt, dass es auf anderes ankommt.

© SZ vom 07.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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