Sebastian Magenheim war frustriert am vergangenen Samstagabend, aber er ist niemand, der diesen Frust in sich hineinfrisst wie manch andere Sportler. "Böse verloren. Haben uns nicht gut präsentiert. Hinsetzen und nachdenken ist angesagt", teilte er Interessierten auf seiner Facebook-Seite im Stakkato-Ton mit. Der Eintrag bezog sich auf die wirklich herbe 41:100-Niederlage seines Klubs, des USC München, gegen den deutschen Meister Lahn-Dill. Der USC ist gerade wieder in die Rollstuhlbasketball-Bundesliga aufgestiegen, und Magenheim, der nach Jahren im Ausland und bei anderen Bundesligaklubs wieder zurückgekehrt ist in seine Heimatstadt, ist ihre Identifikationsfigur - neben Kapitän Ben Döring, Center Suad Sutic, Kim Robins und Kaspars Turks.
Gegen Lahn-Dill zeigte nur Magenheim Normalform, der 27-Jährige erzielte 17 der 41 Münchner Punkte und wurde auf Seiten des USC zum Spieler des Tages gekürt. Doch auch ihn wurmte es gewaltig, dass seine Mannschaft so deutlich ihre Grenzen aufgezeigt bekam; zumal sie die ersten beiden Saisonspiele gegen Zwickau und Hamburg noch gewonnen hatte - die Münchner sind nun guter Fünfter in der Zehnerliga. Magenheims Ansprüche sind höher.
Der Forward hat an Paralympics, Welt- und Europameisterschaften teilgenommen, erst vor wenigen Wochen haben sich die deutschen Rollstuhl-Basketballer mit Magenheim als EM-Dritter für die Spiele der Behinderten in Rio qualifiziert. 2010 war er einer der besten zehn Korbjäger der Bundesliga, 2014 und 2015 wurde er mit Frankfurt und Thüringen jeweils Zweiter im Meisterschaftsfinale. Bei seiner Rückkehr nach München sagte er: "Der USC ist mein Heimatverein, und ich habe die Möglichkeit, hier etwas mit aufzubauen."
Seit seiner Geburt, berichtet Magenheim in seinem Blog, den er für ein großes deutsches Automobilunternehmen schreibt, hat er eine Rückenmarkserkrankung, hüftabwärts haben sich dadurch nicht alle Muskeln und Sehnen entwickelt. Magenheim konnte laufen, aber nicht so wie andere, "ich hatte einen schwankenden Gang. In der Schule hänselten mich die Anderen, sie sagten ich gehe wie eine Ente und habe einen ,Watschelgang'". Er schaute sich ihre Bewegungen an, ihren Laufstil, und lernte. Ein Klassenkamerad nahm den damals Zwölfjährigen dann zu den Rollstuhl-Basketballern des USC München mit. "Er hat bei uns in der Kindergruppe angefangen und sich richtig gut entwickelt", sagt der USC-Vorsitzende Wolfgang Schäfer, der Magenheim schon damals kannte. "Mittlerweile ist er ein fahrerisch bärenstarker Spieler, schnell und wendig mit dem Rollstuhl, sehr gut austrainiert, der den Ball auch führen kann." Und werfen, wie das Spiel gegen Lahn-Dill zeigt.
Doch Magenheim, der sein Studium "Management sozialer Innovationen" an der Hochschule München beendet hat und nun den Master machen möchte, ist auch ein ehrgeiziger Querdenker, der nicht immer die einfachsten Wege wählt. "Er ist ein Typ, der sehr viel will. Manchmal überspannt er den Bogen etwas, dann will er Dinge mit Gewalt erreichen, bei denen es sinnvoller wäre, einen Gang zurückzuschalten", beschreibt ihn der USC-Vorsitzende Schäfer. Aber wer sein Leben lang Sätze hört wie "du kannst das nicht, du schaffst das nicht", wie Magenheim in seinem Blog schreibt, der entwickelt wohl automatisch einen solchen Antrieb.
Ohne diesen hätte Magenheim, der vom USC eine Aufwandsentschädigung für sein Erstliga-Engagement erhält, wohl kaum eine solche Karriere auf das Parkett gelegt. Und ohne ihn würde er vermutlich auch seine nächsten Ziele aus den Augen verlieren: Die Paralympics - und irgendwann die Meisterschaft: "Ich möchte mit dem USC wieder in den Finalspielen der Liga stehen, so wie es einst war", sagt Magenheim. Allerdings braucht er dazu nun etwas, das ihm nicht unbedingt in die Wiege gelegt wurde: Geduld.