Roller Derby:Beim Rempeln sind alle gleich

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Wenn der Jammer auf das Pack trifft: Die Munich Rolling Rebels (blaue Trikots) bei ihrem Sieg gegen Bear City Berlin. (Foto: Bruno Ponce)

Sie nennen sich "Wuchtzwerg" oder "Prügel Paula": Frauen, die einstecken können, aber auch austeilen - im Roller Derby.

Von Teresa Bummel, München

Man könnte es fast übersehen, das graue Gebäude, in dem die Munich Rolling Rebels mehrmals wöchentlich trainieren. Allerdings ist das Poltern und Quietschen schwer zu überhören, das umso markanter aus der unscheinbaren Turnhalle in der Isarvorstadt dringt, je näher man ihr kommt. Drinnen zischt mehr als ein Dutzend Menschen in kreisrunden Bahnen durch den Raum - auf Rollschuhen der altmodischen Art. Das Ganze erinnert an Aufwärmübungen beim Eiskunstlauf - nur ohne hübsche Kleidchen, Glitzer und Haarsprayfrisur. Stattdessen sieht man Tanktops, Gelenkschoner, Helme und Zahnschutz. Robuste Vier-Rollen-Skates statt blütenweiße Schlittschuhe.

"Manche sind total stolz auf ihre blauen Flecken", sagt "Bumble Beast" Katja, die Neue

Die vielen Frauen und sehr wenigen Männer, die hier ihre Runden drehen, üben eine Sportart fernab aller Mädchenklischees aus: Roller Derby. Das Training vor dem ersten Heimspiel dieser Bundesligasaison beginnt damit, dass zwei separate "Packs" (Rudel) mit jeweils vier Spielerinnen eine individuelle Formation bilden. Sie halten sich gegenseitig fest, formen eine menschliche Mauer. Zwei Spielerinnen, die so genannten "Jammer", stehen hinter einer Linie, die Helme mit einer Haube und einem Stern darauf markiert. Alle zehn Akteure auf dem "Track", also auf der Spielbahn, verharren tief geduckt in Angriffsposition. Ein Pfiff. Beide Jammer stürzen sich in schönster Rugby-Manier auf die "Packs" und versuchen mit aller Kraft, sich wie Räumpanzer durch den Spielerverhau hindurch zu schieben. Dabei ist es verboten, beispielsweise den Kopf als Rammbock oder die Hände als Schlagwerkzeuge zu instrumentalisieren. Wer sich diesen Vorschriften widersetzt, muss in die sogenannte "Penaltybox" und je nach Schwere des Verstoßes mindestens 30 Sekunden pausieren. Wenn ein Jammer das Pack des Gegners durchquert hat, fährt er schnellstmöglich eine Runde auf dem ovalen Track, um sich erneut durch die gegnerischen Spieler, die "Blocker", hindurch zu arbeiten, die ebendies zu verhindern versuchen. Für jeden überrundeten Blocker gibt es einen Punkt.

Zwei Minuten dauert ein "Jam", also ein Modul des insgesamt 60-minütigen Spiels, das in zwei Halbzeiten à 30 Minuten unterteilt ist. Der Jammer, der es als erster durch das gegnerische Pack geschafft hat, hat das Privileg, den Jam durch deutliches Berühren der Hüften frühzeitig abzubrechen. Regeln gibt es viele. Das mache den Sport taktisch so anspruchsvoll, findet Anna, die statt eines bürgerlichen Nachnamens den Derby-Namen "Frau Lehrerin" trägt. Vor dem Anpfiff wird jede Spielerin mit einem selbst gewählten Pseudonym vorgestellt und frenetisch bejubelt: "Catzilla", "Wuchtzwerg" oder auch "Frightengail". Dieser Brauch stammt noch aus dem vorigen Jahrhundert, aus jener Phase des Sports, als Roller Derby noch primär eine Showveranstaltung war, eine wüste Rauferei, ähnlich wie Wrestling. "Frau Lehrerin" also sitzt heute in der Penalty Box und empfängt die eines Fouls bezichtigten Spielerinnen. Auf dem Track geht es hart zu. Angst vor Stürzen, Verletzungen oder abgebrochenen Fingernägeln sollte man hier nicht haben. "Manche sind sogar total stolz auf ihre blauen Flecken", lacht Neuling Katja. Als wollten sie sagen: Ja, wir Frauen haben auch mächtig Kraft. Geht nach Hause mit eurem altertümlichen Geschlechterrollendenken!

Gegen Berlin gelingt ein "Jahrhundertsieg". Nun geht es gegen die Ruhrpott Roller Girls

Vielleicht erklärt sich dadurch die geringe Zahl der Männer beim Roller Derby. Für viele ist es schlicht ein "Emanzensport", ein Klischee, das wie ein Warnhinweis an den Aktiven klebt. Aus ihrer Sicht verkörpern die Spielerinnen aber viel mehr das Bild der modernen Frau: stark, durchsetzungsfähig, in der Lage, einstecken, aber auch gezielt austeilen zu können.

Außerdem arbeitet man eng mit dem anderen Geschlecht zusammen. Schiedsrichter und andere Offizielle sind nämlich sehr oft Männer. Beim Feierabendbier in der Stammkneipe der Rebels sind jedenfalls alle gleich: Jammer, Schiris, Blocker. Mann oder Frau, völlig egal. Denn - mal ehrlich - wen interessiert so etwas schon nach ein paar Runden Rempeln und Rollen?

Kurz vor dem ersten Heimspiel der Saison ist es schwül-heiß in der Halle. Die Zuschauerränge sind an diesem Tag fast voll besetzt. Die Luft ist dünn und mit Energie geladen, es geht gegen den härtesten Gegner seit Langem. Die Gegner von "Bear City Berlin" bringen viel Erstligaerfahrung mit, ein Sieg über sie wäre eine Sensation. Das A-Team der Rebels ist Bundesliganeuling, erst kürzlich marschierte es von der dritten Liga nach ganz oben durch.

Beim Aufwärmen dröhnt Motivationsmusik durch die Halle. Unterhaltung, Verpflegung und Moderation haben die Spielerinnen selbst organisiert. Es gibt verschiedene Gruppen, die sich um all jene Dinge kümmern, die es in einem Sportverein zu regeln gibt, erklärt Michaela, alias "Prügel-Paula", die im Pressekomitee sitzt. "Wir sind eine große Familie", sagt "Bumble Beast" Katja.

Das Spiel beginnt und bald kristallisiert sich eine Überlegenheit der Rebels heraus, an die sich in der Halbzeitpause noch niemand so recht zu glauben traut. Doch der Vorsprung auf die Berliner wächst weiter, bis er uneinholbar ist - und als der Schlusspfiff ertönt, steht es tatsächlich 249:167 für München. "Ein Jahrhundertsieg!", ruft "Taminator". Der Stolz ist dem Team anzusehen, der Wunsch nach weiteren Siegen ebenfalls. Doch diese sind nach dem 191:161-Auftaktsieg gegen Köln und der Überraschung gegen Berlin ausgeblieben. In Hamburg gegen die "Harbor Girls" und in Dresden gegen die "Pioneers" gingen die Münchenerinnen leer aus.

Der Fokus liegt nun auf dem Heimspiel an diesem Samstag gegen die "Ruhrpott Roller Girls" (16 Uhr, Sporthalle an der Eversbuschstr. 124). Fast auf den Tag genau einen Monat nach dem Überraschungssieg gegen Berlin wollen die Rebels ihren Heimvorteil nutzen - und vielleicht wieder ein bisschen Geschichte schreiben.

© SZ vom 01.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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