Remis im Derby:Am Rande der Verzweiflung

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Erst 0:2, dann 2:2: Heimstetten rettet in einem aufregenden und intensiven Duell gegen Pipinsried wenigstens einen Punkt.

Von Matthias Schmid, Kirchheim

Die Uhr zeigte am Samstagnachmittag schon 13.59 Uhr an, als ein besorgter Zuschauer in Heimstetten den Schiedsrichter fragte: "Habt ihr die in der Kabine eingesperrt?" Der Unparteiische Thomas Ehrnsperger lächelte und schüttelte sein Haupt. Aber auch er wunderte sich, warum die Spieler des Regionalligisten SV Heimstetten so lange auf sich warten ließen, während sich der Gegner schon ein paar Meter weiter am vereinbarten Treffpunkt auf dem Rasen eingefunden hatte, um gemeinsam mit seinem Kontrahenten einlaufen zu können. War es die Angst Heimstettens vor dem Auftritt, der sie lähmte? Oder aber dauerte die motivierende Ansprache von Cheftrainer Christoph Schmitt nach zuletzt neun Spielen ohne Sieg diesmal einfach länger.

So oder so, sie fanden den Weg aus dem Souterrain des Klubhauses dann doch, aber nicht wenige der Zuschauer hätten sich in der ersten Hälfte gewünscht, dass das Spiel nie angepfiffen worden wäre. Denn was sie sahen, war ein Debakel, das hinterher sogar Schmitt so beschrieb: "Da waren wir weg vom Schuss."

Dass er nach einem aufregenden und unterhaltsamen Spiel dennoch keine Niederlage erklären musste, lag daran, dass Heimstetten in der zweiten Hälfte und einem 0:2-Rückstand doch noch irgendwie mitspielte und ausgleichen konnte, weshalb sich das 2:2 anfühlte, "als hätten wir das Spiel gewonnen", wie es SVH-Stürmer Orhan Akkurt ausdrückte, der den Ausgleich geköpfelt hatte. Aber so richtig konnte Schmitt mit dieser Einschätzung nicht leben, denn nachdem seine Mannschaft binnen einer Minute den Rückstand kurz nach der Pause aufgeholt hatte, "erhoffte ich mir mehr", gab er zu. "Wir hatten ja noch fast 45 Minuten Zeit, um die Partie für uns zu entscheiden."

Ziemlich schräge Partie: Heimstettens Moritz Hannemann (weißes Trikot) gewinnt das Kopfballduell gegen seinen Pipinsrieder Gegenspieler. Ansonsten sehen die Zuschauer zwei völlig unterschiedliche Halbzeiten. (Foto: Claus Schunk)

Es war in der Tat ein komisches Spiel, was die Zuschauer erlebten. In der ersten Hälfte war es sogar ein grotesk einseitiges Spiel, Pipinsried dominierte, es sah phasenweise fast zu leicht aus, wie sich die Gäste durchs Mittelfeld kombinieren konnten, weil Heimstetten nach dem 0:1-Rückstand nicht mehr am Spiel teilnahm. Sie scheuten die Zweikämpfe, als ob ihnen jemand verboten hätte, die schönen weißen Trikots schmutzig zu machen. "Die Körpersprache war schon verheerend", musste Schmitt zugeben. Was ihn fast noch mehr sorgte, war die Tatsache, dass seine Spieler nicht miteinander kommunizierten. Da war niemand, der den Mund aufmachte und einmal lauter wurde. "Das ist auch eine Typfrage", hat der 33-Jährige erkannt.

Vor allem das erste Tor der Pipinsrieder war dafür bezeichnend, der Ball rollte unbeachtet hinten rechts in die Hälfte von Heimstetten, niemand interessierte sich für ihn, als hätte ein Schildchen mit der Aufschrift dran geklebt: Vorsicht, Gift. Es wäre ein Leichtes für Paul Thomik gewesen, ihn zu einem Mitspieler weiterzuspielen, aber aus welchen Gründen auch immer ließ er den Ball weiterrollen, bis ihn sich Marian Knecht schnappte, in den Strafraum dribbelte und nach innen zu Kasim Rabihic passte, der ihn nur noch über die Linie bugsieren musste (9.). "Niemand hat in dieser Szene Paul etwas zugerufen", kritisierte Schmitt. Keine zehn Minuten später war es dann Knecht, der ungedeckt aus kurzer Distanz zum 2:0 einschoss. "Wir hatten Heimstetten am Rande der Verzweiflung", sagte Manfred Bender, der sich seit ein paar Wochen das Pipinsrieder Traineramt mit Spielertrainer Fabian Hürzeler teilt. Bender, 52, wusste bei der Nachbetrachtung nicht so recht, ob er sich über das 2:2 grämen, weil seine Mannschaft den schon sicher geglaubten Sieg noch verspielte, oder aber einfach glücklich sein sollte, weil sich der Eindruck verfestigt hatte, dass unter ihm die Mannschaft viel selbstbewusster, wuchtiger und vor allem auch erfolgreicher auftritt. Bender entschied sich für die zweite Variante. "Wir haben in der ersten Hälfte die bisher stärkste Leistung in dieser Saison gezeigt und die gute Entwicklung in meiner Ära fortgesetzt", hob der langjährige Erstligaspieler hervor.

Natürlich ärgerte sich Bender darüber, dass Markus Achatz die Riesenchance zum 3:0 (37.) vergeben hatte, aber er war gleichzeitig auch froh, dass seine Mannschaft nach dem 2:2-Ausgleich nicht völlig die Orientierung verlor. Denn die ersten Minuten nach der Pause sah Bender einen "kollektiven Tiefschlaf." Zunächst zirkelte der gerade eingewechselte Marcel Ebeling den Ball aus 17 Metern ins Tor, aus dem Stand wohlgemerkt. Es war ein Kunstschuss, eine Mischung aus feinem Schlenzer und satten Vollspann, wie ihn nur wenige Spieler in der Regionalliga draufhaben. "Ich habe nicht viel überlegt", sagte der 27-Jährige. Und nicht einmal 60 Sekunden später köpfelte Akkurt den Ausgleich für Heimstetten. "Wir hätten danach das Spiel für uns entscheiden müssen, weil wir das Momentum auf unserer Seite hatten", fand Ebeling. Doch der technisch hochveranlagte Spieler gab zu, dass sie sich dann versteckt hätten, auch sich selbst bezog er in die Kritik mit ein. Bei sich ließ er aber mildernde Umstände gelten, da er nach einer fast zweimonatigen Verletzungspause (doppelter Bänderriss plus Knöchelquetschung) zurückgekehrt sei. "Meine Beine werde ich am nächsten Tag spüren", gab er zu. Die Zuschauer waren ob seiner Fußballkunst aber hochbeglückt. "Das ist unser Star", raunte einer seinem Nachbarn zu.

Heimstettens Trainer Schmitt bewertete die Rückkehr Ebelings allerdings nüchterner: Erst lobte er dass er das "sensationell gut gemacht hat", aber eben nur zehn, 15 Minuten lang, wie er anschließend monierte. Ebeling sei ein Zocker, ein Kicker, der nur Fußball spielen möchte. "Ihm ist es dabei egal, wie es steht." Das ist einerseits eine bewundernswerte Eigenschaft, andererseits reicht es halt nicht, um vielleicht höher zu spielen und seiner Mannschaft allein zum Sieg zu verhelfen. "Er muss noch an seiner Fitness arbeiten", merke Schmitt am Ende noch an. Auch damit Heimstetten endlich mal wieder Spiele gewinnt.

© SZ vom 22.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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