Pferdesport:Hufeiserne Tradition

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Etwa 15 000 Besucher hat der Dallmayr-Renntag in Riem zuletzt angezogen. In diesem Jahr ziehen Pferde und Reiter wohl einsam ihre Runden. (Foto: Philippe Ruiz/Imago)

Der Münchener Rennverein hält nun doch an seinem Gruppe-1-Galopprennen im Juli fest, auch ohne Publikum. Dessen Fehlen trifft auch den Nachbarn Daglfing hart.

Von Andreas Liebmann

Ob es tatsächlich die größte Kaffeeparty der Welt war? Das ist schwierig zu überprüfen. Mit diesem Slogan jedenfalls war der Gruppe-1-Galopprenntag um den Großen Dallmayr-Preis in Riem in den vergangenen Jahren stets beworben worden, und Zuschauerzahlen um die 15 000 ließen das Motto zumindest nicht realitätsfern wirken (selbst wenn sich möglicherweise mal der eine oder andere Nichtkaffeetrinker dreist in die Menge gemischt haben sollte, nur um Pferdesport zu sehen). Klar ist jedenfalls seit Wochen, dass die große Kaffeeparty in diesem Jahr pandemiebedingt ausfallen muss. Inzwischen ist allerdings ebenso klar: Der Gruppe-1-Renntag soll trotzdem stattfinden.

Im Frühjahr hatte das ganz anders geklungen, denn weder der Münchener Rennverein (MRV) noch der namensgebende Sponsor um den MRV-Ehrenpräsidenten Wolfgang Wille hatten einen Sinn in der Veranstaltung ohne Publikum gesehen. Inzwischen, so erklärt das der für die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins zuständige Sascha Multerer, habe die Verantwortlichen vor allem ein Argument zum Umdenken bewogen und damit dazu, am bayerischen Zuchtrennen der europäischen Topkategorie festzuhalten: "Eine unterbrochene Tradition ist keine Tradition mehr." Und so wird am Sonntag, 26. Juli, im wichtigsten von zehn Rennen ein hochkarätiges Starterfeld auch mit einigen Münchner Pferden erwartet, die um 77 500 Euro Preisgeld laufen.

Die Dotierung ist nur halb so hoch wie üblich, das Starterfeld wird trotzdem hochklassig

Dies war ein weiteres nicht unerhebliches Argument: Dass es den Veranstaltern wegen der Umstände erlaubt wurde, wie in diesem Fall nur die Hälfte der ursprünglichen Dotierung anzusetzen. Neben dem Beitrag des Sponsors gibt es zur Kostendeckung Zuschüsse vom Direktorium für Vollblutzucht und Rennen, auch MRV-Präsident Dietrich von Boetticher hat laut Multerer angekündigt, im Zweifelsfall finanziell mitzuhelfen. Und so werde man nun eben versuchen, etwas von der ursprünglichen Idee eines Kaffeekränzchens von der Rennbahn nach Hause zu transferieren, mithilfe eines Online-Rahmenprogramms.

Geplant wird das Großereignis bislang ganz ohne Zuschauer. Multerer ist hier über den Stand der Verordnungen immer besonders genau im Bilde, weil er zugleich als Rennsekretär für die Veranstaltungen der benachbarten Trabrennbahn in Daglfing zuständig ist - eine Konstellation, die ihn eigentlich an den Rand einer Persönlichkeitsspaltung treiben müsste. Denn nicht nur in normalen Kaffeepartyjahren driften die Möglichkeiten der traditionsreichen Vereine weit auseinander, und das Coronavirus hat sie nun keineswegs gleicher gemacht. So kämen die Galopprennvereine zurzeit auch ohne Bahnpublikum ganz gut über die Runden, sagt Multerer, was auch aufwendigen Fernsehproduktionen des Verbands Deutscher Galopp und einer Online-Aktion namens "Wetten, dass..?" zu verdanken sei, die die Aufmerksamkeit im Bereich der Pferdewetten noch etwas stärker auf den Galopp richteten - und damit weg vom Trabrennsport.

Der Münchner Trabrenn- und Zuchtverein (MTZV) in Daglfing dagegen, der die letzte Münchner Sportveranstaltung vor dem Lockdown und die erste nach dessen Ende ausgetragen hat, trage einerseits aktuell "die Hauptlast" daran, den Rennbetrieb im Süden Deutschlands aufrechtzuerhalten, indem er allein nach der Pause schon fünf Renntage veranstaltet hat; andererseits leide er trotz weitgehenden Verzichts auf höhere Dotationen besonders unter dem Ausschluss des Publikums.

Den Flohmarkt in Daglfing dürfen Tausende besuchen - ein Kuriosum mit Erklärungsbedarf

Die Rechnung dazu geht so: Etwa 30:70 liege im deutschen Trabrennsport das Verhältnis zwischen Bahn- und Außenwetten, in Daglfing habe es im Vorjahr sogar 44:56 betragen. Die Außenwetten sind seit der Krise unverändert, der Bahnanteil aber, der einen Umsatz zwischen 30 000 und 40 000 Euro erbracht habe, ist natürlich weg - und damit bis zu 11 000 Euro pro Renntag, die dem Verein davon bisher blieben. "Wir wären dringend auf Publikum angewiesen", sagt Multerer angesichts dieses Defizits, das den Wegfall der Gastronomie noch nicht mal mit einrechnet. Zudem treibt ihn die Befürchtung um, dass mit der Dauer des Fernbleibens ein Entwöhnungseffekt beim Stammpublikum einsetzt, quasi die Erkenntnis, dass man ein Wochenende auch ohne Rennbahnbesuch ganz gut über die Runden bringen kann. "Dann müssten wir nach den Beschränkungen wieder bei null anfangen", fürchtet der Rennsekretär. Auch deshalb hatte der MTZV vor den Rennen am vergangenen Sonntag bei den Behörden nachgehakt, ob man nicht doch ein paar Zuschauer einlassen dürfe - vergeblich.

Immerhin Besitzer dürfen inzwischen wieder aufs Gelände, ansonsten sei die Vorgabe eindeutig: Auch nach der aktuellsten bayerischen Infektionsschutzverordnung bleiben Zuschauer bei Sportveranstaltungen verboten. So muss der MTZV einerseits damit klarkommen, dass etwa in Berlin-Mariendorf zur gleichen Zeit 500 Aktive und 500 Zuschauer genehmigt waren, und andererseits, dass das Daglfinger Rennbahngelände sehr wohl von bis zu 3000 Besuchern aufgesucht werden darf - zum wöchentlichen Flohmarkt. Ein Kuriosum, das ihn bei Mitgliedern in Erklärungsnot bringe, das aber damit zu tun habe, dass es bei Märkten um Daseinsvorsorge geht, bei Sportveranstaltungen nicht - und die Rahmenvorgaben ja nicht nur für weitläufige Rennbahnen, sondern auch enge Hallen gelten. "Mich treibt kein Unverständnis, sondern die Ungeduld", betont Multerer deshalb. Alles sei ja immer noch besser, als gar keine Rennen austragen zu dürfen.

Die nächsten vier Termine in Daglfing, am 14. Juli, am 4., 18. und 25. August, sind allesamt Dienstage, die vom französischen Wettanbieter PMU alimentiert sind und zu denen ohnehin nicht viel Publikum erwartet worden wäre. Danach, so die Hoffnung, könnte die Lage eine andere sein. Ob sie vielleicht sogar schon zum dritten Renntag in Riem eine andere ist und dann doch ein paar hundert Menschen das Gruppe-1-Rennen an der Bahn verfolgen dürfen, ist völlig offen. Für die größte Kaffeeparty der Welt würde es ganz sicher nicht reichen. Nicht mal der Corona-Welt.

© SZ vom 09.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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