Pferdesport:Der Fuchs jagt die Meute

Lesezeit: 3 min

Hü, hock! Kevin Woodburn auf Arlington Girl. Die Jubelpose ist noch nicht so geschmeidig wie früher. (Foto: imago/Galoppfoto)

In den Neunzigern war Kevin Woodburn einer der besten Jockeys in Deutschland - und einer der umstrittensten. Mit 60 Jahren wagt er nun ein Comeback. Mit Erfolg.

Von Raphael Weiss, München

Kevin Woodburn ist auf dem Weg zum Start. Seit sieben Wochen ist er nicht mehr geritten, die Bandscheibe macht Probleme. Der Rücken unter seinem rot-goldenen Dress krümmt sich deutlich stärker, als der seiner im Schnitt 25 Jahre jüngeren Herausforderer. Es ist das Rennen vor dem Großen Dallmayr-Preis. Für die 16 500 Zuschauer auf der Riemer Galopprennbahn die Ouvertüre für die große Show, die früher einmal Woodburns Zuhause war.

1500 Siege holte der Engländer in den Achtzigern und Neunzigern in Deutschland, zweimal war er Derby-Sieger, einmal deutscher Jockey-Champion. Mittlerweile ist er 60 Jahre alt, hatte zwei Bandscheibenvorfälle und beendete 2002 wegen der ständigen Schmerzen seine Karriere. Jetzt sitzt er wieder im Sattel, und die grünen Startboxen fliegen auf. Sieben Pferde preschen auf die erste Kurve zu, mit einigem Abstand folgt ein achtes: Arlington Girl, mit Woodburn auf dem Rücken. Die Stute wird an letzter Position bleiben - bis zur Zielgeraden.

Anfang des Jahres fasste Woodburn den Entschluss, wieder Rennen zu reiten, weil er es vermisst hatte. Er ging zum Münchner Trainer Karoly Kerekes, der früher selbst ein erfolgreicher Jockey war. Woodburn hat für ihn mittlerweile fünf Rennen gewonnen. Am Anfang belächelten ihn seine Konkurrenten noch: "Die Jungen kannten mich gar nicht mehr. Andere haben Handyvideos von meinen Stürzen herumgezeigt", erzählt Woodburn und fügt nach einer kurzen Pause an: "Mittlerweile haben sie wieder Respekt."

Woodburn hat kein Handy, keine E-Mail-Adresse, findet, dass die neue Jockey-Generation nicht die Qualität besitzt wie seine damals. Er kommt aus einer anderen Zeit. Einer Zeit, in der es in Ulverston, seinem Geburtsort im Norden Englands, nur drei Fernsehprogramme gab: "Auf zwei davon liefen Pferderennen, die haben mich fasziniert." Mit 14 begann er die Ausbildung zum Jockey. Vier Jahre später kam er wegen einer Stellenausschreibung in einer Zeitung nach Deutschland.

Es dauerte sieben Jahre, bis Woodburn als Jockey Fuß fasste. Am Anfang seiner Karriere musste er oft die Trainer wechseln: "Es gab oft Streit. Wenn ich eine schlechte Taktik bekommen habe, habe ich im Rennen meinen Kopf durchgesetzt und danach die Trainer öffentlich gelobt", erzählt Woodburn. Sein großer Durchbruch kam 1989. Auf Mondrian gewann er in diesem Jahr sieben große Rennen, unter anderem das Derby in Hamburg-Horn, erzielte mit 1,9 Millionen Mark den höchsten Gewinn aller Jockeys, sein Fuchshengst wurde "Galopper de Jahres". Woodburn war bekannt als ausgebuffter Taktikfuchs, als einer, der das Rennen lesen konnte und sich nicht scheute, Risiken einzugehen. "Ich war verdammt gut und verdammt ehrgeizig", sagt er selbst.

Exemplarisch sein Sieg beim "Silbernen Band" 1994: "4000 Meter Strecke, Regen hatte den Boden völlig aufgeweicht", erzählt Woodburn. Vor allen Dingen die Innenbahn war in schlechtem Zustand. Also ließ er seine Stute Tsarina das gesamte Rennen außen laufen, pro Runde rund 200 Meter extra. Die Stute kam mit 16 Längen Vorsprung ins Ziel. Nach dem Sieg stellte er sich auf den Rücken des Pferdes, seine typische Jubelpose. Das Publikum applaudierte ihm minutenlang stehend. "Dieses Rennen werde ich nie vergessen. Die Zuschauer auch nicht. Die wussten, dass sie etwas Besonderes erlebt hatten."

Woodburn eckte häufig an. Seine Art kam in der Galopper-Szene nicht immer gut an. Spricht er über seine Lieblingspferde, redet er nicht über Mondrian. Er mag Pferde mit eigenem Charakter, die andere bereits aufgegeben haben, die "ganz bekloppten", wie er sagt.

Auf der Zielgeraden der Riemer Galopprennbahn nutzen die Pferde die ganze Breite des Geläufs. Angetrieben von seinem englischen Jockey beginnt Arlington Girl, das Feld von hinten aufzurollen. 200 Meter vor Schluss hat sie eine gute Ausgangsposition und greift an. Arlington Girl explodiert förmlich. Nach einem unwiderstehlichen Finish gewinnt sie das mit 10 000 Euro dotiere Rennen. Woodburn winkt vor der Haupttribüne in die jubelnde Menge, reckt die Faust in die Luft und schickt sich an, auf den Rücken seines Pferdes zu steigen - ohne Erfolg. Der 60-Jährige kann seine 53 Kilo Körpergewicht nicht mehr ganz nach oben hieven.

"Solche taktischen Siege sind die schönsten", sagt er später. Trainer Kerekes glaubt, dass Woodburn noch einige Jahre weiter reiten kann. Sein nächstes Rennen findet Ende August bei der Großen Woche in Baden-Baden statt, wieder mit Arlington Girl. Bis dahin hat er genug Zeit, um seine Jubelpose zu üben.

© SZ vom 12.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: