Paralympics III:"Hauptsache, ich nehme so ein rundes Teil mit nach Hause"

Lesezeit: 3 min

Binnen drei Jahren ist die fast blinde Münchner Biathletin Clara Klug, 23, in die Weltspitze vorgedrungen.

Von Sebastian Winter, München

Clara Klug musste zuletzt viel waschen. Vor drei Wochen hat sie ihre Kleidung für die Paralympics in Pyeongchang bekommen, die an diesem Freitag beginnen. Teile für die Eröffnungs- und Schlussfeier, Teile für das deutsche Haus, für Sponsorentreffen, für Medientermine. Viele Teile. Jacken, Hosen, Pullis, Shirts. "Schließlich habe ich meine Eltern eingespannt, ich hätte das sonst kaum geschafft", sagt Klug.

Die 23-jährige Münchnerin hatte Respekt vor dem Flug, dem Jetlag, sie ist keine, der Reisestrapazen nichts ausmachen. Inzwischen ist sie aber gut in Südkorea gelandet, als Teil des kleinen deutschen Teams, das bis 18. März um Medaillen und natürlich auch um Aufmerksamkeit kämpft. Klugs Puls steigt nun vor dem ersten Wettkampf ihrer Paralympics-Premiere am Samstag: "Ich schwanke zwischen Vorfreude und unfassbarer Nervosität", hatte sie vor dem Abflug am vergangenen Sonntag noch gesagt: "Ich bin generell ein Nerverl, habe Respekt vor der Kulisse, der Pressearbeit. Am meisten vor mir selber."

Clara Klug ist fast blind und Biathletin, sie startet in Pyeongchang über 6, 10 und 12,5 Kilometer. Jeweils drei Tage liegen zwischen ihren Rennen, genug Zeit also, sich ordentlich zu regenerieren. Klug hat schöne Erinnerungen an ihre erste Reise nach Südkorea. Fast exakt vor einem Jahr hat sie in Pyeongchang den Sprint und damit ihren ersten Weltcup gewonnen, die aktuelle Strecke ist fast identisch mit jener von damals. Es war die bislang beste Saison für die junge Frau, die nur Wochen vor ihrem Weltcupsieg zweimal Silber und einmal Bronze bei der Heim-Weltmeisterschaft in Finsterau gewonnen hatte. Jede Menge zweite und dritte Plätze kamen in der Saison 2016/17 hinzu. Am Ende war sie Gesamtweltcup-Zweite. Ihre Ansprüche sind nun entsprechend gestiegen, nach nur drei Jahren im internationalen Geschäft. "Mein Ziel ist ein Podiumsplatz", sagt Klug: "Die Farbe ist mir wurst, Hauptsache, ich nehme so ein rundes Teil mit nach Hause."

Klug, Abiturnote 1,2, Computerlinguistik-Studentin in München, bewegt sich im Alltag mit einem Blindenstock. Auf der Loipe lässt sie sich von ihrem Begleitläufer Martin Härtl leiten. Härtl ist seit einem Kletterunfall, bei dem er sich beide Füße und eine Hand zertrümmerte, selbst gehandicapt. Er stand kurz vor einem Start bei den Paralympics 2010 in Vancouver, wurde aber nicht zugelassen: Seine Behinderung sei zu schwach, sagten die Funktionäre.

Zwei Jahre später wurde Härtl, inzwischen bayerischer Landestrainer, aufmerksam auf Klug. Just zu einem Zeitpunkt, an dem die Athletin des PSV München - gerade nicht ganz austrainiert von einem USA-Austausch heimgekehrt - wegen fehlender Perspektiven aufhören wollte mit Leistungssport. Großes Vertrauen entstand zwischen beiden, und mit dem Vertrauen wuchsen auch die Erfolge. Das Vertrauen ist die Basis, Klug muss sich zu einhundert Prozent auf ihren Begleitläufer verlassen können. Er gibt ihr Anweisungen vor Anstiegen, schnellen Abfahrten oder Kurven, sie kann sich dann kurz an seinem Stock festhalten, auch am Schießstand hilft er ihr: "Ich bin auch da sehr stark auf Martin angewiesen, dass er mich richtig auf der Matte positioniert." Damit Klug mit ihrem elektronischen Gewehr auch auf die richtigen Scheiben zielt. Sagen darf Härtl dann übrigens laut Reglement nichts mehr.

Durch ein Tonsignal kann Klug, die wie ihre Konkurrentinnen mit dunkler Sonnenbrille startet, per Kopfhörer die zehn Meter entfernten Zielscheiben anvisieren. Je höher der Ton, desto besser. Trifft sie, hört sie zwei hohe Töne, trifft sie nicht, ertönt ein tiefes Signal. Kampfrichter und Zuschauer sehen dann auf der Zielscheibe entweder ein grünes oder ein rotes Licht.

Clara Klug, deren Vorbilder die zwölfmalige Paralympics-Siegerin Verena Bentele und Olympiasiegerin Laura Dahlmeier, mit der sie fast einmal auf der Loipe beim Sprinttraining zusammengestoßen wäre, sind, sieht allenfalls Umrisse, und die auch nur mit dem linken Auge. Sie kann Menschen von Bäumen unterscheiden, das schon. "Rechtlich gesehen bin ich aber blind", sagt Klug. Mit fünf Prozent Sehstärke ist sie zur Welt gekommen, hervorgerufen durch eine Erbkrankheit mit progressiver Verlauf. Mittlerweile liegt sie unter einem Prozent. In München kommt sie trotz dieser Einschränkung gut zurecht, lesen kann sie mit einer speziellen Vorlesesoftware auf dem Smartphone.

Jetzt liegt ihr Fokus auf den drei Paralympics-Rennen in der Klasse der Sehbehinderten. Als fast blinde Athletin erhält sie im Vergleich zu besser sehenden Konkurrentinnen einen Zeitbonus, "für mich läuft die Uhr also langsamer", sagt Klug.

Neben ihr haben vor allem Osteuropäerinnen Podestchancen. Von ihnen sind aber wegen des Ausschlusses vieler russischer Athleten nicht alle dabei. Mikhalina Lysova, die unter Manipulationsverdacht stehende dreimalige Paralympics-Siegerin von Sotschi, gehörte auch zu den Gesperrten. Das Internationale Paralympische Komitee (IPC) hat ihr nun aber, entgegen seiner Linie, nur "nachweislich saubere" russische Sportler zuzulassen, doch grünes Licht gegeben. "Leider gab und gibt es da keine klare Linie vom IPC", sagt Klug, die seit 2017 im A-Kader ist. Das bedeutet, dass sie mittels App exakt eintragen muss, wo sie sich gerade aufhält. "Die Einschränkungen nehmen wir hin für einen sauberen Sport. Das wird aber zunichte gemacht durch staatlich gefördertes Doping wie in Russland", sagt Klug: "Und dann fragt man sich: Was mache ich hier eigentlich?"

Sie ist auf der Jagd nach Edelmetall. Und blickt sorgenvoll auf den Wetterbericht: Clara Klug liebt die Kälte, für die nächsten Tage ist frühlingshaft mildes Wetter angekündigt. Aber auch auf den Wärmeeinbruch hat sie sich vorbereitet - und extra noch die Ärmel ihres Rennanzuges kürzen lassen.

© SZ vom 09.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: