Nachwuchsleiter der SpVgg Unterhaching:"Es muss immer menschlich zugehen"

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Mario Himsl, der neue Leiter des Nachwuchsleistungs­zentrums in Unterhaching, über die Förderung von Fußballtalenten und die Defizite im deutschen System.

Interview von Stefan Galler

Mitte der Neunzigerjahre war Mario Himsl schon einmal für die SpVgg Unterhaching tätig. Damals kickte er in der zweiten Mannschaft, wurde vom damaligen Chefcoach Lorenz-Günther Köstner allerdings auch immer wieder zu den Trainingseinheiten der Zweitligaprofis eingeladen. Ein Grund dafür, dass sich Himsl, 46, dem Verein immer noch verbunden fühlt. Seit damals hat der gebürtige Niederbayer viele Stationen hinter sich gebracht: Er wurde als Aktiver Bayernligameister mit dem SV Lohhof, trainierte die Bundeswehr-Nationalmannschaft, absolvierte die Ausbildung zum Fußballlehrer 2010 als Jahrgangsbester, war Co-Trainer von Christian Ziege und Ewald Lienen bei Arminia Bielefeld, A-Jugendcoach und Sportlicher Leiter bei Greuther Fürth und bei Jahn Regensburg. Dann zog er sich aus dem operativen Geschäft zurück, kümmerte sich zuletzt drei Jahre lang für die belgische Firma Double Pass im Auftrag von DFB und DFL um die Zertifizierung der Nachwuchsleistungszentren (NLZ) in Deutschland. Nun ist Himsl also zurück bei der SpVgg Unterhaching, und zwar als NLZ-Leiter.

Herr Himsl, warum sind Sie nach über 20 Jahren zur SpVgg zurückgekehrt?

Mario Himsl: Ich war im Frühjahr für Double Pass hier, um das Unterhachinger Nachwuchsleistungszentrum unter die Lupe zu nehmen. Nach dem viertägigen Besuch gab es, das ist so üblich, eine Nachbesprechung mit den Verantwortlichen. In diesem Gespräch im Biergarten vor dem Stadion haben mir Manni Schwabl (Präsident, d.Red.) und Claus Schromm (Cheftrainer, d.Red.) ihre zukünftigen Planungen erklärt. Dass sie auf Regionalität setzen, auf Bodenständigkeit und auf Durchlässigkeit zwischen Jugend- und Profibereich und dies noch viel mehr forcieren wollen. Dann haben wir uns noch einmal vertagt und ein paar Wochen später, als sich das mit dem Börsengang konkretisierte, ging alles ganz schnell.

Jetzt leiten Sie das Ausbildungszentrum.

Ja, echt eine tolle Geschichte. Es war mein Ziel, wieder eine leitende Position im Nachwuchsfußball zu bekommen. Das ist wie ein Sechser im Lotto. Nachdem ich in den letzten Jahren so viel unterwegs war, brauche ich jetzt nur zwölf Minuten mit dem Auto und 18 Minuten mit dem Fahrrad, um zur Arbeit zu kommen.

Wie lief die Trennung von Double Pass ab?

Die Vereinbarung zwischen dem Unternehmen und DFB/DFL ist im Sommer ausgelaufen, weil man die Zertifizierung von jetzt an neu ausrichten will. Hier wird künftig auf mehr Eigenverantwortung der Vereine gesetzt, ein Auditor, der von Klub zu Klub reist, ist nicht mehr nötig. Double Pass arbeitet mit vielen Vereinen zusammen, auch im Ausland. Da hätte ich weitermachen können. Aber ich wäre halt weiterhin sehr viel unterwegs gewesen. Auch ein Grund dafür, mich für Haching zu entscheiden, allerdings stelle ich noch auf freiberuflicher Basis Auslandsprojekte in Dänemark und Ungarn bis Jahresende fertig.

Und dann nur noch Haching. Die Chemie zwischen Ihnen und dem Duo Schwabl/Schromm scheint zu stimmen.

Das war für mich das alles Entscheidende! Je öfter wir uns über den Jugendfußball unterhalten haben, desto mehr gemeinsame Ansichten haben wir entdeckt. Ich war bei sehr vielen Vereinen, habe überall die Ausbildung der Nachwuchsspieler genau analysiert. Und ich kann sagen, dass Haching einer der wenigen Vereine ist, die ihre Spieler so ausbilden, wie ich mir das vorstelle. Unterhaching geht hier wirklich mit Top-Beispiel voran. Ich bin jemand, der will, dass sich einheimische Fußballer bei einem Klub in ihrer Region weiterbilden. Und genau das ist bei der SpVgg der Fall. Dass sie damit einiges richtig machen, sieht man schon alleine daran, wie viele Eigengewächse hier in der ersten Mannschaft spielen.

Mario Himsl, 46, Vater von zwei Söhnen, mischt neben seiner Tätigkeit bei der SpVgg auch beratend beim Landesligisten Kirchheimer SC mit. Himsl wohnt in Kirchheim und ist eng mit einigen Verantwortlichen befreundet. (Foto: SpVgg/oh)

Von den Stammspielern haben unter anderem Torwart Nico Mantl, Markus Schwabl, Lucas Hufnagel und Luca Marseiler schon in der Jugend in Haching gespielt. Viele andere sind in München aufgewachsen.

Das liegt an der erstklassigen Verzahnung zwischen Klubführung, Trainerstab, erster Mannschaft und Nachwuchs. So habe ich das in den drei Jahren, in denen ich in der Zertifizierung tätig war, nirgends sonst gesehen.

Sie loben Ihren neuen Arbeitgeber überschwänglich. Zählen Sie doch mal auf, was andere deutsche Profivereine aus Ihrer Sicht falsch machen.

Es geht nicht um falsch, doch ich sehe unsere Arbeit in der Ausbildung teilweise kritisch. Wir müssen uns schon fragen, ob wir mit dem in den letzten Jahren eingeschlagenen Weg richtig liegen. Die Rahmenbedingungen haben sich durch mehr Personal und eine teilweise überragende Infrastruktur extrem verbessert. So wird den Spielern zwar viel abgenommen, die Selbstständigkeit kommt aber dadurch viel zu kurz. Für mich haben auch das viele Geld und andere externe Faktoren einen hemmenden Einfluss auf die Spieler, was die Entwicklung zum Profi teilweise extrem erschwert. Ich bin kein Freund davon, wenn in Jugendteams jedes Jahr acht bis neun Spieler einfach ausgetauscht werden, weil sie angeblich die Leistung nicht bringen. Dabei muss man immer auch sehen, dass das Kinder sind, die noch mitten in ihrer Entwicklung stecken. Ehrlichkeit ist zwar wichtig, aber es muss immer menschlich zugehen. Auch dafür steht der Unterhachinger Weg.

Also ist das Erfolgsgeheimnis, keinen Druck auf die Kinder auszuüben?

In einem NLZ gibt es immer Druck. Es ist nun einmal Leistungssport, aber entwickeln kannst du dich eigentlich nur, wenn du dich auch wohlfühlst. Und außerdem wollen die Kids sowieso gewinnen, da ist Druck von außen gar nicht nötig. Unser Ziel muss es sein, die jungen Fußballer auf Negativerlebnisse vorzubereiten; nicht aber, ihnen Negativerlebnisse zu bereiten. Ich bin der Meinung, wir müssten in Deutschland viel mehr absolute Topspieler hervorbringen können. Wir haben im Moment um die 25 sehr gute Spieler, aber es müssten mit unseren Möglichkeiten über 100 sein. Von der fußballerischen Klasse eines Havertz, Gnabry oder Sané, die in jedem Spiel den Unterschied ausmachen können, haben wir definitiv zu wenig.

Wie kann man talentierte Spieler besser fördern?

Ganz wichtig ist, dass den Spielern Vertrauen entgegengebracht wird. Andererseits ist es aber auch notwendig, über die Spieler Bescheid zu wissen, über die familiären Verhältnisse, aber auch über den Leistungsstand in der Schule. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass ein junger Fußballer in einem Lernfach wie zum Beispiel Biologie, wo es um Fleiß geht, eine Fünf im Zeugnis hat. Je besser man einen Spieler kennt, umso gezielter kann man ihn fördern. Und später, wenn die dann Jungprofis oder auf dem Sprung dazu sind, muss man sie aber immer weiter fördern und betreuen.

Idealvorstellung: Karim Adeyemi (links) wurde in Haching ausgebildet und dann nach Salzburg verkauft. Auch deshalb setzt man bei der SpVgg weiter auf Talente. (Foto: Claus Schunk)

Wie soll das Training aussehen?

Es gibt kein Erfolgsrezept. Aber ich möchte José Mourinho zitieren: Wenn ich Klavierspielen lernen will, muss ich es spielen und darf nicht drumherum laufen. Der Ball sollte also immer dabei sein.

Welche Rolle spielt die Persönlichkeit eines Fußballers für seine Karriere?

Kicken können die Kinder in den Nachwuchsleistungszentren alle, aber die Persönlichkeit muss mitwachsen. Ich verstehe Manni Schwabl, wenn er sagt, Rollkoffer können sie dann benutzen, wenn sie in der Champions League spielen.

Die Talente müssen also keine Angst vor dem neuen NLZ-Leiter haben. Wie sieht es mit den Trainern aus?

Niemand muss Angst haben. Ich bin nicht da, um unsere Trainer zu beurteilen, das habe ich als Auditor auch nicht gemacht. Ich bin da, um sie maximal zu fördern. Ich setze auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und bin heiß darauf, mit allen ins Gespräch zu kommen. Wie ich bereits erleben durfte, sind unsere Trainer alle Tag und Nacht für den Verein und ihre Jungs da. Sie sind alle sehr gerne Fußballtrainer und beschäftigen sich leidenschaftlich mit Kindern. Wichtig ist, die Trainer auch aus- und fortzubilden. Das gewährleistet das bestmögliche Training für unsere Talente.

Die U 17 der SpVgg spielt in der Bundesliga, die U 19 in der Bayernliga. Welche Ziele haben Sie für die ältesten Jahrgänge?

Wir wollen uns mit der U 17 in der Bundesliga weiter etablieren. Aber es ist sehr eng, wenn man nicht aufpasst, ist man schnell in der Tabelle hinten drin. Deshalb müssen wir sehen, dass wir nach der Niederlage in Augsburg im ersten Heimspiel am Samstag gegen Karlsruhe punkten. Bei der U 19 sind wir hin- und hergerissen. Sollen wir da den höchsten Wert darauf legen, aufzusteigen, nur um jedes Jahr Überlebenskampf zu haben? Ich werde mich dazu mit Trainer Robert Lechleiter und den Verantwortlichen sehr eng austauschen.

© SZ vom 17.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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