Munich Indoor:Einsam im Gewusel

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800 Leichtathleten treten beim Munich Indoor an, auch Katharina Trost, deren Start tags zuvor noch auf der Kippe stand. Die 23-Jährige läuft mit großem Abstand zum Sieg über 800 Meter.

Von Andreas Liebmann, München

Sie haben akribisch nachgerechnet bei der LG Stadtwerke München: 161 Startschüsse seien am vergangenen Samstag in der Werner-von-Linde-Halle Richtung Hallendach abgefeuert worden, das teilte die Leichtathletik-Gemeinschaft mit. Fehlstarts nicht inbegriffen. Mit der aktuellen Debatte über Feinstaubbelastung hatte diese Zählung allerdings nichts zu tun, auch nicht mit jener Art der nervlichen Belastung, von der Geschäftsführer Christian Gadenne berichtete. "Ich habe mich immer noch nicht an diese Startschüsse gewöhnt", gestand er, obwohl sein Quereinstieg aus dem Basketball nun doch schon einige Jahre her ist. "Ich erschrecke da jedes Mal wieder." Nein, die 161 sollte eigentlich nur eines aussagen: Voll war es wieder in der Halle im Olympiapark.

798 Teilnehmer wurden am Samstag beim Munich Indoor quer durch die Disziplinen und Altersklassen durchs Programm geschleust - eine Massenveranstaltung, deren Dimension wesentlich damit zu tun hat, dass es in Bayern kaum Leichtathletik-Hallen gibt. "Das Meeting wurde hervorragend angenommen", bilanzierte Veranstaltungsleiter Reinhard Maier. "Offensichtlich suchen die Vereine um diese Zeit nach Wettkampfmöglichkeiten." Was kein großes Wunder ist, schließlich muss man sich ja irgendwo etwas Wettkampfhärte vor den anstehenden deutschen Meisterschaften und der Hallen-Europameisterschaft aneignen. Entsprechend gut war das Meeting auch qualitativ besetzt.

Katharina Trost von der LG Stadtwerke ist es dann trotzdem gelungen, in all dem Gewusel ein bisschen einsam zu wirken. Zwei Minuten und 3,83 Sekunden nach dem Startschuss ihres 800-Meter-Laufs überschritt die 23-Jährige die Ziellinie, und unmittelbar hinter ihr kam - lange nichts. Anfangs hatten ihre Trainer überlegt, als Tempomacherin ihre Trainingskollegin Mareen Kalis mitzuschicken, dann aber beschlossen sie, Trost zur taktischen Übung alleine ihr Glück versuchen zu lassen. Daraus wurde eine neue persönliche Bestzeit, die beste deutsche 800-Meter-Hallenzeit des Jahres, und beinahe hätte Trost damit sogar die Norm für die Halleneuropameisterschaft in Glasgow Anfang März geschafft. Es fehlten ihr nur diese 83 Hundertstelsekunden.

Vier Jahre jünger und eine Hundertstelsekunde schneller: Münchens Fabian Olbert (rechts) bezwingt den Augsburger Aleksander Askovic (in weiß), sein Teamkollege Florian Knerlein (Zweiter von links) wird Dritter. (Foto: Claus Schunk)

"Damit hätte ich nicht gerechnet, dass ich das ganz allein so hinkriege", sagte sie später - die knapp verpasste EM-Norm interessiert sie allerdings weniger. Katharina Trost studiert Grundschullehramt, sie steht kurz vor dem Staatsexamen, für eine Hallen-EM ist da gerade kein Platz. "Es stand zwar schon überall zu lesen, dass ich da hin will", sagt sie, "aber das stimmt gar nicht." Viel lieber würde sie in diesem Jahr mit all ihren Prüfungen fertig werden, um sich im kommenden Olympiajahr ganz auf den Sport konzentrieren zu können.

Fast hätte Trost ein Déjà-vu gehabt. Auch vor einem Jahr hatte sie eine Hallenbestzeit abgeliefert, dann war sie kurz vor den deutschen Meisterschaften an einem grippalen Infekt erkrankt. "Damals hat es uns alle erwischt", erinnerte sie sich. Angefangen hatte ihre Trainingskollegin Christina Hering, die dann aber rechtzeitig fit wurde. Und diesmal? Fehlte Hering erkältet, und am Freitag war dann auch Katharina Trost mit Halsschmerzen aufgewacht. "Ich habe noch überlegt, ob ich überhaupt laufen soll", erzählte sie, nach viel Vitamin C und Rote-Beete-Saft habe sie sich dann aber fit genug gefühlt. Nun muss sie noch weitere zwei Wochen gesund bleiben, dann finden in Leipzig die deutschen Hallenmeisterschaften statt - und es könnte zum vereinsinternen Duell mit Titelverteidigerin Christina Hering kommen. Sofern sich Trost überhaupt für die 800-Meter-Strecke entscheidet, denn auch über 1500 Meter war sie in der Vorwoche nur knapp an der EM-Norm vorbeigelaufen. "Ich weiß es noch nicht", sagt sie, aber nach ihrem vierten Rang im Freien vom vergangenen Sommer habe sie mit den 800 Metern schon noch "eine Rechnung offen".

Ganz und gar nicht einsam wirkte am Samstag Fabian Olbert beim Überschreiten der Ziellinie. Das wäre auch etwas viel verlangt gewesen, er hatte vom Startschuss an ja nur 6,81 Sekunden benötigt. 60 Meter sind eben schnell vorüber, vor allem wenn man sie in der aktuellen Form von Fabian Olbert läuft. Der zweitplatzierte Aleksandar Askovic von der LG Augsburg folgte nur eine Hundertstelsekunde später; auf Rang drei und nur neun Hundertstel zurück kam der Münchner Florian Knerlein ins Ziel. "Überragend" fand Münchens Geschäftsführer Gadenne den Ausgang dieses Rennens. Dazu muss man vielleicht wissen, dass Askovic, 21, der bayerische Hallenmeister ist. Olbert hat ihn nun bereits zum zweiten Mal bezwungen. Dabei ist er vier, Knerlein sogar fünf Jahre jünger als der Augsburger. Mit diesen beiden, da ist sich Gadenne sicher, werden die Münchner in Zukunft "noch viel Spaß haben", nicht zuletzt in drei Wochen bei den deutschen U-20-Meisterschaften.

Es gab natürlich allerhand Münchner Siege, die Gastgeber waren in vielen Disziplinen überproportional gut vertreten. Beachtlich fiel etwa der souveräne Erfolg von Samuel Blake aus, der über 1500 Meter in 3:47,10 Minuten gut 20 Sekunden Vorsprung auf die Verfolger herauslief, fast so viel wie Trost über 800 Meter. Und auch Lucas Mihota, 19, war aus Münchner Sicht eine Erwähnung wert. 13 Zentimeter Vorsprung hatte er vor der Konkurrenz: Der U-18-Europameister von 2016 im Hochsprung (einer jener Disziplinen also, die mangels Startschüssen in der Münchner Startschussstatistik nicht mitgezählt wurden) war kurz vor Weihnachten auf dem Weg zum Kraftraum umgeknickt. Am Samstag überwand er 2,12 Meter im zweiten Versuch und zeigte mit seinem Sieg, dass er die Folgen seiner Sprunggelenksverletzung offenbar überwunden hat.

Den vielleicht größten Sprung - zumindest sprichwörtlich - hat der Kugelstoßer Christian Zimmermann hingelegt. Der startet zwar nicht für die LG Stadtwerke, sondern für den Kirchheimer SC, nichtsdestotrotz freute sich auch Gadenne mit dem 2,13-Meter-Mann. Der hatte nämlich erst eine Woche zuvor nach einer Umstellung auf eine Drehstoßtechnik seinen ersten 19-Meter-Stoß geschafft, 19,35 Meter, womit er bayerischer Meister wurde. Am Samstag zeigte der 24-Jährige dann, dass diese Verbesserung kein Ausrutscher war. Gleich fünf seiner sechs Versuche in München gingen über die 19-Meter-Marke, der weiteste sogar auf 19,75 Meter, 40 Zentimeter weiter als seine bisherige Bestmarke und neuer bayerischer Rekord. "Ziel erreicht", sagte er. Damit bleibt Zimmermann die deutsche Nummer zwei in der aktuellen Jahreswertung, was ihm einige Hoffnung für die anstehende deutsche Meisterschaft geben sollte. Weitere 40 Zentimeter Steigerung, und er hätte sogar die EM-Norm. "Noch nicht das allerwahrscheinlichste, aber möglich", urteilt er. Er würde an einer EM übrigens teilnehmen.

© SZ vom 05.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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