Münchens Olympiastützpunkt-Leiter :"Zeit, etwas wegzuschaffen"

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Klaus Sarsky, seit mehr als 30 Jahren Laufbahnberater, erzählt von seinem Handwerkszeug, traurigen Sprinttalenten und eingemotteten Hantelstangen.

Interview von Sebastian Winter

Klaus Sarsky, 60, verheiratet, eine Tochter, ist seit Anfang dieses Jahres kommissarischer Leiter des Olympiastützpunkts Bayern (OSP) im Münchner Olympiapark. Er ist für Spitzensportler in ganz Bayern seit 1989 auch als Laufbahnberater zuständig, von Oberstdorf über Kempten, Augsburg, München, Nürnberg bis nach Ruhpolding und Berchtesgaden. Im Interview beschreibt der Diplom-Soziologe die Auswirkungen der Corona-Krise auf den OSP, Laufbahnberatung in unsicheren Zeiten und auf was Spitzensportler nun achten sollten.

SZ: Herr Sarsky, der Olympiastützpunkt Bayern in München ist ohne Athleten kaum vorstellbar. Wie ist die Situation bei Ihnen im Olympiapark?

Klaus Sarsky: Der Kraftraum ist zu, die Werner-von-Linde-Halle gesperrt, die Physiotherapie haben wir auch eingestellt - Stichwort social distancing. Von knapp 1000 Leistungs- und Spitzensportlern, die wir in Bayern betreuen, sind rund ein Viertel im Großraum München angesiedelt. Erfahrungsgemäß gehen bei uns täglich im Schnitt 70 bis 80 Athleten ein und aus. Die sind jetzt alle nicht da. Das ist für uns hier schon ein komisches Gefühl.

Ist es die bislang schlimmste Situation?

Ich bin schon lange dabei, und es gab früher Grundsatz-Diskussionen über Sinn und Unsinn eines Olympiastützpunkts. Das war damals nicht erfreulich. Auch nicht die fast genauso alte Diskussion, ob man ein einzelnes Regionalzentrum als eigenen Olympiastützpunkt von München abtrennt. Aber dieser Shutdown, durch den die Sportler als unser Herz und unsere Geschäftsgrundlage nicht mehr da sind, das ist einzigartig.

Was machen die Athleten jetzt?

Sie organisieren sich selbst. Ob das nun Skispringer wie Severin Freund, Andi Wellinger oder Karl Geiger sind, andere Wintersportler wie Abfahrer Thomas Dreßen oder Kombinierer Johannes Rydzek, die Biathletinnen, die Bobfahrer. Oder die Leichtathleten, die Schützen, wie Monika Karsch oder Christian Reitz, beides Olympiamedaillen-Gewinner. Auch die Kanuten in Augsburg mit Hannes Aigner und Ricarda Funk, et cetera. In den Anfängen der Corona-Krise haben wir den Münchnern auch mal eine Hantelstange mit nach Hause gegeben. Aber wir sind zurückhaltender geworden. Mittelfristig wollen wir unter Auflagen ja wieder Training anbieten. Wenn aber Sportler in Quarantäne müssen, kommen wir nicht mehr an diese Arbeitsgeräte heran. Ich habe gleich noch einen Laufbahn-Beratungstermin mit einer jungen Radfahrerin, die hat es in ihrer Disziplin noch relativ gut. In anderen Bereichen, wie den Mannschaftssportarten, wird's dagegen schon schwieriger mit Training.

Hilfe zur Selbsthilfe: Gerade in der Corona-Krise stocken viele Karrieren von Spitzensportlern, die ihre Ziele für dieses Jahr verloren haben - ob Olympia oder eine Jugend-DM. Auch dafür ist die Laufbahnberatung da. (Foto: Kay Nietfield/dpa)

Sie sind seit mehr als 30 Jahren Laufbahnberater. Was besprechen Sie mit der jungen Radfahrerin?

Es gibt ja diesen netten Spruch: "Von der Wiege zur Bahre." So weit sind wir hier natürlich nicht, aber die Beratung fängt bei der Schule an und geht bis zum Karriereende. Bei 16- oder 17-Jährigen ist oft ein Thema, ob sie in eine Eliteschule des Sports oder auf ein Sportinternat wechseln sollen, also ans Gymnasium München-Nord, die Bertolt-Brecht-Schule in Nürnberg oder für den Wintersport nach Berchtesgaden oder Oberstdorf. Ganz alltägliche Fragen stellen sich außerdem: Gibt es Probleme in der Schule? Muss man Nachhilfe organisieren oder mit der Schulleitung reden, damit die Jugendlichen vom Unterricht freigestellt werden? Bei manchmal 30 bis 40 Fehltagen pro Jahr ist das nicht ganz einfach. Und dann geht es ein, zwei Jahre vor Schulschluss darum: Wie geht es weiter?

Welches Handwerkszeug haben Sie?

Die Klassiker: Arbeitsbögen, Berufseignungstests, Tests zur Führungs- und Leistungsmotivation und zum Empathieverhalten, das Beratungsgespräch. Da ist der persönliche Kontakt besser, aber bislang klappt es auch über das (Video-)Telefon.

Das alles leistet doch auch die Berufsberatung bei der Arbeitsagentur.

Klar, aber einem Leistungssportler, der gerne einen Ausbildungsplatz haben will, sagt der Berufsberater: "Ja wie, neben dem Regelurlaub von 30 Tagen sind Sie dann nochmal 40 Tage weg? Das haut so aber nicht hin." Das ist eine klassische Problematik. Später geht es dann um die Frage, will ich ein (Fern-)Studium machen, wo und wie kann ich beides mit dem Leistungssport verbinden? Oder doch eine Ausbildung bei einer Sportfördergruppe der Polizei, beim Zoll oder bei der Bundeswehr? Über all das informieren wir. Und wir begleiten auch diejenigen noch, deren Karriere langsam ausklingt. Sei es mit Firmenkontakten oder bei Bewerbungen.

Gibt es denn typische Berufswünsche?

Das ist total unterschiedlich. Der eine möchte viel Geld verdienen: Es gibt den 16-Jährigen, der Manager werden will, aber ganz massive Probleme mit seinem Realschulabschluss hat. Da muss man Wünsche und Ressourcen abgleichen. Ein anderer sagt, ihm reiche ein Nine-to-five-Job, er möchte mehr Zeit für seine Familie. Wieder andere sind sehr strukturiert, mit hochkarätigen Wünschen wie einem Medizin- oder Jurastudium. Da versuchen wir, Lösungen mit unseren 18 Partnerhochschulen in Bayern zu finden. Auch zeitlich asynchrone, das heißt, dass die Sportler beispielsweise erst mehrere Jahre ihren Schwerpunkt im Sport haben und danach den Fokus auf dem Studium. "Mittelalte" Sportler weisen wir oft darauf hin, dass mit 30 in der Regel Schluss ist und sie dann noch 30 Jahre Berufsleben vor sich haben. Karl Geiger beispielsweise, der Skispringer, hat gerade mit einer ordentlichen Streckung seinen Bachelor in Energie- und Umwelttechnik an der FH Kempten gemacht, einer unserer Partnerhochschulen.

Viele Athleten dürften in der jetzigen Corona-Situation Zukunftsängste haben.

Für sie ist das natürlich eine saublöde Situation. Durch ihren Sport war eine gewisse Struktur da, sie haben fünf- bis achtmal pro Woche oder noch öfter trainiert. Das geht nicht mehr. Die Ziele fehlen zum Teil, ob Olympia, deutsche Meisterschaften oder die Junioren-EM. Der Wettkampfkalender ist komplett durcheinander, und manche fragen sich, was mit ihrem Kaderstatus passiert. Das sind starke Einschnitte für die Sportler, die die einen leichter wegstecken als die anderen. Als unsere Werner-von-Linde-Halle zugemacht hat, gab es einen jungen Nachwuchssprinter, der völlig aufgelöst war und mit der Situation überhaupt nicht umgehen konnte.

Gibt es Tränen auch bei gestandenen Sportlern? Enden nun gar Karrieren?

Die ganz großen Dramen gab es noch nicht, sie können aber noch kommen. Auch die absolute Existenznot ist bei uns noch nicht aufgetaucht. Es gibt Athleten, die stecken das leichter weg, die sagen sich, ich bin ja erst 22,23 und habe noch zwei oder gar drei Olympiazyklen vor mir. Manch älterer Sportler, der Tokio 2020 als letzte Chance angesehen hat, fragt sich nun andererseits, ob er noch ein Jahr weitermacht oder die bittere Pille schluckt und zurücktritt, um in den Beruf zu starten.

Was ist Ihr Ratschlag als Laufbahnberater für die Athleten in dieser Situation?

Auch wenn das herzlos klingen mag: Man muss das Positive im Negativem sehen. Das versuchen wir Laufbahnberater auch Sportlern zu vermitteln, die aufgrund eines Kreuzbandrisses oder einer anderen schweren Verletzung zu einer langen Trainings- und Wettkampfpause gezwungen sind. Jetzt ist die Zeit, in der sie sich vermehrt um Schule, Ausbildung oder das Studiensemester kümmern und dort etwas wegschaffen können. Wir haben vorletzte Woche einen Newsletter an die Sportler geschickt, auch mit der Bitte, sich in dieser "staden" Zeit mit dem Thema Duale Karriere auseinanderzusetzen. Der Rücklauf ist sehr positiv, erste Gespräche laufen.

Fühlen Sie sich mehr als Berater oder Psychologe in solchen Gesprächen?

Puh, gute Frage. Ich bin Soziologe, die Kollegin Psychologin, der Kollege Pädagoge. Wir versuchen, alle Aspekte abzudecken. Bei den einen Athleten muss man mehr Psychologe sein, bei anderen eher Informationsgeber. Der beraterische Ansatz lautet: "Hilf mir, es selbst zu tun." Wir sind zwar die "Schlauen", geben Infos, zeigen Vor- und Nachteile auf. Ideal ist es dann aber, wenn der Athlet seine Lösungen selbst entwickelt. Es nutzen übrigens längst nicht alle Athleten diese Laufbahnberatung. Es ist mitunter erschreckend, wenn mal wieder ein Kommentar kommt wie dieser: "Ach, so etwas macht ihr auch?" Das ist schade, wenn es an Unwissenheit scheitert.

© SZ vom 14.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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