Roopsingh-Bais-Weg:Ein Korb für den Diktator

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Die Brüder Dhyan Chand und Roop Singh waren die Gesichter der einstigen Hockey-Weltmacht Indien. Ersterer soll 1936 einem Abwerbeversuch von Adolf Hitler ausgewichen sein, Letzterer wurde im Münchner Olympiapark verewigt.

Von Jonas Kraus, München

Die Liste mit erfolgreichen Geschwisterpaaren im Spitzensport ist illuster und viel zu lang, um sie an dieser Stelle aufzuschreiben. Vitali und Wladimir Klitschko fallen einem ein, die Tennis-Schwestern Venus und Serena Williams, natürlich auch die Fußball-Brüder Hoeneß und Rummenigge. Dhyan Chand Singh und sein jüngerer Bruder Roop Singh Bais kommen in solchen Aufzählungen eher nicht vor. Ein Grund ist ganz sicher, dass die Olympiasiege der beiden Inder fast 90 Jahre zurückliegen; ein anderer, dass deren Sportart nicht ganz so im Fokus der Weltöffentlichkeit steht: Feldhockey.

Auch eine Macht: Im olympischen Finale 1936 in Berlin dominiert Indiens Hockeyteam (weiß) Gastgeber Deutschland mit 8:1. (Foto: imago sportfotodienst)

Obwohl Deutschland darin zu den erfolgreichsten Nationen der Geschichte zählt, kann wohl jeder Nationalspieler weitestgehend unerkannt durch die Fußgängerzonen der Republik flanieren. In Indien hat der Sport allerdings einen anderen Stellenwert. Ehe sich Cricket zu einer Art Ersatzreligion entwickeln konnte, war Hockey dort der Nationalsport Nummer eins.

Die Gründe hierfür liegen weit in der Vergangenheit. Aktuell ist Indien weit weg von einer Hockey-Großmacht. Die Frauen kamen bei Olympia nie über Platz vier hinaus, die erfolgsverwöhnten Männer warten seit ihrem Sieg in Moskau 1980 auf eine Medaille. Dabei galt Indien einst als nahezu unbesiegbar. Gleich sechsmal in Serie holte sich die Auswahl zwischen 1928 und 1956 olympisches Gold. Getragen wurde das Team bei den ersten drei Siegen von ebenjenen Brüdern Dhyan Chand und Roop Singh - nach Letzterem wurde vor den Olympischen Spielen 1972 ein Weg im Münchner Olympiapark benannt.

Ein Weg, der über den Münchner Olympiasee führt, erinnert heute an den indischen Hockey-Star Roop Singh Bais. (Foto: Florian Peljak)

Roop Singh wurde 1910 in Jabalpur im Zentrum Indiens geboren, drei Jahre nach seinem Bruder Dhyan Chand. Die Wege der beiden Geschwister ähnelten sich, wie ihr Vater schlossen sie sich als Jugendliche dem Militär an. Dort blieb das sportliche Talent des Brüderpaares nicht verborgen. Mit 18 wurde Dhyan Chand ins Nationalteam berufen - und sprengte dort sämtliche Rekorde. Der "Hockeymagier" war Dreh- und Angelpunkt im Spiel der damaligen britischen Kolonie und führte sein Team 1928 mit 15 Toren in fünf Spielen zum ersten olympischen Hockeygold der Geschichte.

Roop Singh Bais erzielte neun Tore beim Olympischen Hockeyturnier 1936. (Foto: CORR/AFP)

Danach stieß auch sein jüngerer Bruder Roop Singh zum Team. Meistens stand er im Schatten seines älteren Bruders, bei den Olympischen Spielen 1932 aber brachten beide gleichermaßen die gegnerischen Abwehrreihen zur Verzweiflung. Lediglich drei Mannschaften waren in Los Angeles angetreten, keine davon hatte ansatzweise das Niveau der übermächtigen Inder. Japan unterlag 1:11, die bemitleidenswerten Gastgeber aus den USA sogar 1:24. Zwölf Turniertreffer erzielte Dhyan Chand, sein jüngerer Bruder, besonders bekannt für seinen harten Schuss, traf noch ein Mal öfter. Der international weitaus bekanntere Dhyan Chand soll nach dem Turnier mehrmals versichert haben: "Mein Bruder ist ein besserer Spieler als ich."

Ob deshalb er und nicht sein Bruder in München mit einem Straßennamen verewigt wurde? Obendrein sogar zu einer Zeit, als er noch lebte? Schwer zu sagen.

Hockey wurde in der Folge jedenfalls weltweit populärer. 1936 in Berlin nahmen schon elf Nationen am olympischen Turnier teil. Die Dominanz der Inder erreichte derweil einen neuen Höhepunkt. Das erste Gegentor kassierte der haushohe Favorit erst im Finale - gegen Gastgeber Deutschland. Der Ärger der Inder darüber dürfte sich in Grenzen gehalten haben, das Spiel endete 8:1 und besiegelte den dritten Olympiasieg nacheinander. Roop Singh steuerte neun Turniertreffer bei, sein Bruder 13. Bis heute hält sich die Legende, dass der beim Endspiel anwesende Diktator Adolf Hitler dem überragenden Dhyan Chand eine Einbürgerung samt Wehrmachtsposten angeboten habe, falls dieser künftig für Deutschland spiele. Es heißt, der indische Star habe diese Offerte dankend, aber entschieden abgelehnt.

Reich wurde Roop Singh trotz der zwei Olympiasiege nicht. Nach der indischen Unabhängigkeit 1947 und seinem Ausscheiden aus dem Militär verarmte der zwölffache Vater immer weiter. Als er an Tuberkulose erkrankte, musste er gar seine Goldmedaillen verkaufen, um die Behandlungskosten zu decken. Verehrt wurde der als extrovertiert, aber sehr fair geltende Athlet dennoch weiterhin. Nach seinem Tod 1977 wurde in Gwalior ein Stadion nach ihm benannt. Hockey wird dort nicht mehr gespielt. Seit 1988 sind im Captain Roop Singh Stadium Cricketspieler zu Hause.

© SZ vom 05.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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