Muay-Thai:Der Kampf seines Lebens

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Mit weit aufgerissenen Augen verfolgt Mark Wieser alias „Mikki Baracuda“, wie sein Gegner Konglhansuan zu Boden geht. (Foto: privat)

Der Münchner Mark Wieser alias Mikki Baracuda wird bei seiner Abschiedsvorstellung in Phuket zum erfolgreichsten Muay-Thai-Boxer der Welt - mit 44 Jahren. Er tritt als fünffacher Weltmeister ab.

Von Raphael Weiss

Mikki Baracuda wartet in der Umkleidekabine des Cockchai-Stadions in Phuket auf den Kampf seines Lebens. Von draußen hört er die Schreie des Publikums. Es ist der 21. August, in wenigen Augenblicken startet der letzte Kampf seiner Muay-Thai-Karriere. Sein allerletzter, das hat er seiner Familie versprochen. Baracuda ist 44, Konglhansuan, sein Gegner, fast halb so alt. Im Ring wird es um alles gehen. Entweder, er verliert alle seine Titel, tritt als geschlagener Mann ab - oder er schafft das, was noch keinem Ausländer gelungen ist: den Nai-Khanom-Tom-Gürtel holen. Den prestigeträchtigsten Titel im Muay Thai.

Mikki Baracuda weiß nicht viel von Konglhansuan, seinem Gegner. Es gibt trotz seiner 185 Kämpfe keine Videos von ihm, damit sich niemand auf ihn einstellen kann. Mikki kennt nur Geschichten, von seinen verheerenden Tritten und Ellbogenschlägen, von Gegnern, die chancenlos waren. Er weiß, dass er 1,84 Meter groß ist, obwohl es zuvor hieß, er sei vier Zentimeter kleiner; er weiß, dass sein Gegner 18 Jahre jünger ist, dass er über ihn gelacht hat - und er weiß, dass er ihn besiegen muss. Egal wie. Er atmet durch, dann geht er zum Ring. Das Motto des Kampfes lautet: "All in - It's Time for War".

Eine Woche später steht Mikki Baracuda, der außerhalb des Rings Mark Wieser heißt, in seinem Münchner Thaibox-Studio, das vollgepackt ist mit Pokalen und glänzenden Gürteln, im Hintergrund läuft thailändische Musik. "Muay Thai ist mein Leben", sagt er, "meine Familie und ich, wir leben nach der Werten, den Traditionen und der Philosophie dieses Sports." Seine Muskeln spannen sich an, wenn er redet. Durch die offenen Knöpfe seines Polo-Shirts sieht man seine breite Brust mit thailändischen Tattoos. Sein ganzer Oberkörper ist tätowiert, "alles mit Bambusstock und Nadel gestochen, ganz traditionell". Muay Thai ist eine der härtesten Kampfsportarten der Welt. Sowohl Tritte als auch Schläge mit der Hand und den Ellbogen sind erlaubt, die den Gegner überall treffen dürfen, außer im Unterleib. Verletzungen sind unvermeidlich. Doch für Wieser geht es nicht darum, den anderen zu verletzen, und schon gar nicht um Hass: "Es stehen sich im Ring immer zwei Menschen gegenüber. Wir kämpfen zwar, aber ich habe vor jedem Gegner großen Respekt", sagt er.

Wie fast jeder Junge spielte Wieser früher Fußball. Mit elf Jahren sah er einen Kampfsportfilm. "Seitdem galt meine Liebe dem Muay Thai. Für mich war das der schönste, der wunderbarste, der härteste Kampfsport, den es gibt", erzählt Wieser. Trotz der Kritik seiner Eltern widmete er sich ganz dem Sport. Während seiner Lehre zum Koch las er viel über Thailand, brachte sich selbst die Sprache bei und reiste in das Land, um die Menschen kennenzulernen. Mit 18 Jahren brach er seine Ausbildung ab und zog nach Thailand, um Kämpfer zu werden. "Damals war das nicht so einfach. Die Trainer wollten keine Weißen unterrichten. Die dachten, dass ich die Tradition nicht ernst nehme."

Irgendwann fand er ein Gym, das ihn aufnahm. Eine Holzhütte auf Stelzen, mit Betonboden. Oben wurde geschlafen. Zwischen den Stelzen, über dem erdigen Boden, hingen Sandsäcke. Jeden Tag hat er gebetet, jeden Tag trainiert. Sein Leben drehte sich allein ums Thaiboxen. "Ich hatte am Anfang immer Blutblasen an den Füßen. Irgendwann hat das aufgehört und dann haben auch die Trainer gemerkt: ,Der Junge will wirklich'", erzählt Wieser.

Wenn er über seine Jugend in Thailand spricht, redet er schnell und lächelt immer wieder. Sein Körper ist voller Narben. Seine Verletzungen waren der Grund, dass seine Familie wollte, dass er seine aktive Karriere beendet. "Es gab viele Diskussionen darüber", sagt Wieser und grinst.

Nach einem Motorradunfall will ihm ein Arzt sein Bein amputieren. Er weigert sich

Seine schlimmste Verletzung kam nicht vom Kämpfen. Mit 20 hatte Wieser einen Motorradunfall. Der Arzt wollte sein linkes Bein amputieren. "Der hat mir gesagt, er müsse das machen, um mein Leben zu retten. Ich hab ihm gesagt, dass mein Leben Muay Thai ist."

Der Arzt schnitt sein Bein nicht ab. Wieser kehrte nach München zurück, machte seine Ausbildung fertig. Es dauerte Jahre, bis er das Bein wieder belasten und kämpfen konnte. 2004 eröffnete er sein eigenes Studio, das Baracuda-Gym, wo er bis heute die Werte des Thaiboxens weitergeben möchte: "Wir haben hier keine Leute, die sich prügeln wollen. Jede Art von Gewalt außerhalb des Rings führt zum Ausschluss," sagt Wieser. Das Schönste sei für ihn, wenn seine Schüler nach der Arbeit schlecht gelaunt ins Studio kämen und es mit einem Lächeln wieder verließen.

Mit 41 Jahren erreichte er sein großes Ziel: den ersten seiner Weltmeistertitel. Nach allen Verletzungen, Rückschlägen und sehr viel Training. "Das hat mir gezeigt, dass man alles erreichen kann, wenn man alles dafür gibt. Meine Berufung war es, Kämpfer zu werden." Doch ein Titel fehlte ihm: Der Nai-Khanom-Tom-Gürtel. "Thailands wichtigsten Gürtel, im Mutterland des Sports als Ausländer zu gewinnen - das hat noch niemand geschafft."

Bis zu acht Stunden täglich habe er trainiert. Für seinen letzten Kampf fuhr er ins Trainingslager nach Thailand. "Jeden Morgen 20 Kilometer in den Bergen laufen. Nach jeder Kurve dachte ich, ich hätte es geschafft, aber das Ziel kommt nicht. Mental bereitet einen das gut auf den Kampf vor." Danach zweieinhalb Stunden Training im Studio. Wieser nimmt 15 Kilo ab - 76 Kilo auf 1,86 Meter. Um seinen 18 Jahre jüngeren Gegner zu schlagen, muss er topfit sein. Je länger der Kampf dauert, desto geringer sind seine Chancen. Er muss von Anfang an auf Konfrontation gehen.

Mikki Baracuda steht im Ring. Das Stadion ist voll, es ist der Kampf des Jahres in Phuket. Die beiden Boxer führen den Wai Khru auf, einen Tanz, um Respekt zu zollen und den Segen für seinen Sieg zu erbitten. Dann ist es soweit. Zum letzten Mal ertönt für Mikki Baracuda der Gong.

Er stürmt auf Konglhansuan zu, trifft ihn mit einem harten Schlag an der Schläfe. Der Kopf des Thailänders fliegt nach hinten, der nächste Schlag lässt ihn zu Boden gehen. Während der Ringrichter ihn anzählt, steht Baracuda mit weit aufgerissen Augen in der Ringecke, wartet, bis sein Gegner wieder aufsteht, und stürmt los. Schlägt drei Mal mit den Ellbogen ins Gesicht Konglhansuans, dessen Körper zum zweiten Mal nachgibt. Wieder wird er angezählt, wieder wartet Baracuda mit aufgerissenen Augen in der Ecke, wieder stürmt er los, sobald es der Ringrichter erlaubt. Der Thailänder erwartet einen Schlag, will ausweichen, aber Baracuda tritt ihm aus dem Lauf aufs Standbein. Der Kampf ist vorbei - nach 53 Sekunden. Baracuda reckt kurz die Fäuste in die Höhe. Dann sinkt er auf den Ringboden, begräbt sein Gesicht in den Handschuhen. Er ist nun fünffacher Weltmeister. Zwei, drei Sekunden kniet er so da, läuft dann zu der Ecke, in der sein Gegner sich vor Schmerzen krümmt, um sich zu vergewissern, dass er nicht verletzt ist. In wenigen Momenten ist aus Mikki Baracuda wieder Mark Wieser geworden.

"Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und öfter im Ring stehen. Aber ich kann mich jetzt darum kümmern, meine Söhne nach oben zu bringen", sagt Wieser im Baracuda-Gym und schaut Marino, seinen Ältesten, an. 13 Jahre, blonde Haare, muskulös - er gewann in Phuket einen internationalen Jugend-Titel. Wenn der Junge über das Thaiboxen redet, ballt er die Hände zu Fäusten, bewegt den Oberkörper hin und her, als weiche er unsichtbaren Schlägen aus. Auch Marino nennet Thaiboxen sein Leben, er sagt: "Irgendwann möchte ich den Nai-Khanom-Tom-Gürtel holen, wie mein Vater."

© SZ vom 02.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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