Mittelstreckler aus Gräfelfing:Halb im Ziel

Lesezeit: 4 min

Undankbare Aufgabe: Schon lange bevor der Münchner Johannes Trefz den Stab von Manuel Sanders übernimmt, ist das A-Finale kein Thema mehr. (Foto: Dirk Reps)

Der deutsche 400-Meter-Meister Johannes Trefz verpasst mit der Männerstaffel die WM-Qualifikation für Doha. Dennoch überzeugt er bei den World Relays in Yokohama.

Von Andreas Liebmann, Yokohama/München

Johannes Trefz steht im Hintergrund, die Lippen zusammengekniffen, der Blick ernst. Ein paar Mal hebt er die langen Arme, um sich zu dehnen. Er ist keiner jener Sechs, die nun die volle Aufmerksamkeit abbekommen, deren Gesichter die Kamera in Großeinstellung auf die Monitore im Stadion von Yokohama wirft - und natürlich via Livestream hinaus in die Welt. Johannes Trefz hat noch ein paar Minuten Zeit. Als deutscher Meister ist er der Schlussläufer seiner 4×400-Meter-Staffel bei diesen World Relays, der inoffiziellen Staffel-WM.

Man darf Gesichtern ohnehin nicht alles glauben, schon gar nicht, wenn die Kamera auf sie schwenkt. Ist der Inder Kunhu Puthanpurakkal, der nun durch seinen Staffelstab blickt wie durch ein Fernglas, wirklich so lässig? Was genau will der Kolumbianer Bernardo Baloyes sagen, der gerade verschmitzt grinsend einen dicken Bauch andeutet - ob er vielleicht schwanger ist? Und was mag wirklich in dem für Japan startenden jamaikanischen Kraftpaket Julian Walsh vorgehen, der sich so aufreizend lachend auf seine Brust schlägt?

Nach 300 Metern verliert Trefz im Vorlauf die Lockerheit. Er wird trotzdem der Schnellste im Team

Marc Koch jedenfalls, für Deutschland auf der Außenbahn acht, hat kurz nervös geschaut, dann aber beide Arme wie Propeller herumgeschwungen, als wolle er gleich abheben, und gebrüllt: "Come on!" Was sicher ein Ausdruck dafür ist, wie viel sich der gesamte Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) für diese Veranstaltung am Wochenende vorgenommen hat, in der jeder Finaleinzug gleichbedeutend ist mit einem sicheren Startplatz bei der Weltmeisterschaft im Herbst in Doha, die wiederum die beste Gelegenheit sein dürfte, sich ein Olympiaticket für Tokio 2020 zu sichern.

Der Berliner Marc Koch hebt dann allerdings nicht ab nach dem Startschuss in diesem Vorrundenlauf, im Gegenteil. Der Japaner, der eben noch heiter ins Publikum gewunken hat, und der Franzose gleich neben ihm kommen deutlich schneller voran, auch der Wechsel auf Patrick Schneider (Fürth) wirkt holprig. Schneider führt schnell die hintere Dreiergruppe an, der ein vorderes Trio weit enteilt ist. Daran kann dann auch Manuel Sanders (Dortmund) nichts ändern. Johannes Trefz, 26, vom TSV Gräfelfing wird erst einige Sekunden nach dem Zieleinlauf der Japaner in Großaufnahme zu sehen sein. Seine letzten Schritte wirken unrund, das Gesicht qualvoll verzerrt. Der Kolumbianer hat ihn abgehängt, gerade noch zwei Hundertstelsekunden Vorsprung vor Indien rettet Trefz ins Ziel. Vom Einzug ins A-Finale ist das Team am Samstag weit entfernt, auch in der Gesamtabrechnung sind nur die Inder langsamer. Aber jene Hundertstel, die Trefz ins Ziel rettet, bringen Deutschland statt Indien immerhin noch ins B-Finale.

Damit habe er wenigstens seinen Beitrag zum Erreichen des B-Finals geleistet, sagt Trefz tags darauf, als er seine Bilanz zieht. Er war der Vorlaufschnellste seines Teams, in 45,95 Sekunden. Es seien schwierige Bedingungen gewesen, daher sei die Zeit in Ordnung. Nur habe er in dem Bemühen, dem Kolumbianer zu folgen, gegen Ende des Vorlaufs die Lockerheit verloren. Fest sei er geworden, zu lange Schritte habe er gemacht. Dennoch: Auch im B-Finale am Sonntag hätten sie dann ja noch einen von zwei weiteren Startplätzen für Doha erobern können. Wie gesagt: Hätten.

Man muss wissen: Es war gar nicht das vorrangige Ziel des DLV, mit den Männern über 4×400 Meter das A-Finale zu erreichen. Die Verantwortlichen hatten für die Vorläufe lieber die neue Mixed-Staffel stark gesetzt, und die erreichte ihr Ziel: das A-Finale und damit das WM-Ticket. Trefz war deshalb nicht dabei, weil er zuvor beim Test im Trainingslager "richtig schlecht war", wie er zugibt. "Da habe ich viele Fehler gemacht." Am Samstag ist er 300 Meter lang wieder gut gewesen, weshalb er dann auch am Sonntag der Schlussläufer ist.

Der Tscheche rudert mit den Armen, der Kolumbianer haut sich auf die Brust. Lange blickt nervös

Da beginnt das Spiel dann von vorne, allerdings ist es nicht mehr Marc Koch, der am Start gezeigt wird, sondern Tobias Lange (Leverkusen). Der Tscheche rudert mit den Armen, der Kolumbianer haut sich gegen die Brust, Lange blickt mindestens nervös, wenn nicht ängstlich. Aber man darf Gesichtern nicht alles glauben. Am Samstag hat dieser Lange mit einem starken Lauf die Mixed-Staffel gerockt, "er hat ein überragendes Rennen gemacht", lobt Trefz. Am Sonntag gelingt ihm das kein zweites Mal. Auch der Dortmunder Torben Junker ist aus der erfolgreichen Mixed-Staffel zu den Männern hinübergewechselt, er übergibt als Fünfter auf Schneider. Trefz kommt schließlich als Sechster ins Ziel. Er ist schneller als am Vortag, konnte sich steigern, ist wieder der beste Deutsche. Die Polen ("schon ein Kaliber") sind hinter ihnen, die Gesamtzeit ist nahe an jener der Briten oder Südafrikaner im A-Finale. Dennoch: Sein Ziel der WM-Qualifikation hat das Team verfehlt. Nun sind noch sechs weitere Startplätze frei, die man sich im Laufe der Saison, die ja nun gerade erst begonnen hat, noch schnappen kann.

Wirklich niedergeschlagen ist Johannes Trefz nach diesem ungewöhnlich frühen ersten Saisonhöhepunkt nicht. Die Norm für Yokohama sei für das Männer-Quartett nicht außer Reichweite, glaubt er, Gelegenheiten wird es noch einige geben, sie zu erfüllen. Und ihr Ziel sei ja doch "zur Hälfte erreicht" worden, nämlich durch die Qualifikation der Mixed-Staffel. Er selbst habe schließlich gezeigt, dass man sich in der Staffel jederzeit auf ihn verlassen könne, auch wenn ein Training mal misslingt - und auch wenn er deshalb in Yokohama "eine undankbare Aufgabe" hatte. "Ich bin ein Turniermensch", versichert der Münchner; er sei "fest davon überzeugt", dass er sich als schnellster Deutscher auch für einen Start in der Mixed-Staffel in Doha empfehlen werde. "Jetzt geht es erst mal nach Hause", sagt Trefz noch. "Dann kann die Saison losgehen."

© SZ vom 13.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: