Marcel Zimmermann:Der späte Durchstarter

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Die Australian Open sind sein Ziel: Marcel Zimmermann, Zweitligaspieler des TC Großhesselohe, hat einst mit Rafael Nadal mitgehalten. Jetzt will er es noch einmal wissen.

Ralf Tögel

- Es ist wie so oft im Leben, die Kleinigkeiten machen den Unterschied. Marcel Zimmermann hat gegen die ganz Großen gespielt: Rafael Nadal, Richard Gasquet, Marcos Baghdatis , Gaël Monfils. "Es ist schon blöd, früher hast du gegen die gewonnen. Und jetzt?" Jetzt sitzt der 25-jährige Münchner entspannt in der Oberhachinger Tennisbase und plaudert über seine letzte Chance.

Das war schon mal anders, Zimmermann galt als vielversprechendes Talent. Er spielte den Jugend-Grand-Slam, war bei den US Open, wurde in Chile mit der Mannschaft Weltmeister. Da war er ein Großer, vielleicht zu lange. Bis zum 18.Lebensjahr spielte er Jugendtennis. Ob er nicht hätte früher zu den Männern wechseln sollen, diese Frage hat er sich oft gestellt. Jedenfalls ist ihm der Wechsel dann schwer gefallen. Eine dieser Kleinigkeiten, die alles verändern können. Vielleicht lag es auch daran, dass er nicht immer bereit war, das Letzte zu geben. Die Trainingsintensität war nicht das Problem, da ist sich Zimmermann sicher: "Das habe ich nie schleifen lassen." Dass er allerdings seine Grenzen überschritten hat, da hat Zimmermann rückblickend Zweifel. "Man muss ehrlich zu sich sein", sagt er, das hat er gelernt. "Ich bin lange genug dabei, dass ich verstanden habe, worauf es ankommt."

So ein Satz aus dem Mund eines 25-Jährigen klingt ungewöhnlich. Er zeigt aber auch, wie hart der Tennissport auf diesem Niveau ist. Heute bleibt keine Trainingseinheit mehr ungenutzt, er ahnt: "Viel Zeit habe ich nicht mehr". Dass sein Zug bereits abgefahren ist, glaubt der Profi aber nicht. Tennis habe sich verändert, früher war man mit 18 schon spät dran, heute könne ein 17-Jähriger noch nicht in der Spitze mithalten. Allein aus physischen Gründen: "Der Sport ist viel athletischer geworden".

Zimmermann hat eine typische Tenniskarriere hinter sich, von seiner Familie wurde er nach Kräften unterstützt, erzählt er von seinen Anfängen in Kaufbeuren: "Mein Dad hat mich immer rumkutschiert." Als er 13 war, fiel sein Talent dem Verband auf, mit 17 wurde er nach Oberhaching geholt. Seither ist er Profi. Auf eines aber legten er und seine Eltern Wert: Zimmermann machte in München einen Abschluss. Vielleicht wieder eine dieser Kleinigkeiten, die die sportliche Karriere beeinflussten.

Bereut hat er die mittlere Reife nicht, das sagt er mit der ganzen Abgeklärtheit eines Mittzwanzigers. Im Hinterkopf hat Zimmermann eine Karriere als Trainer, nach acht Jahren Tennisbase hat er auch die Kontakte. Fast schon hätte er sich für diesen Schritt entschieden, jetzt will er aber noch mal durchstarten. Dafür fing er "praktisch wieder bei Null" an.

2009 war sein Tiefpunkt. Am Jahresende stand er vor einer wichtigen Entscheidung: Die Leistungen hatten nicht gestimmt, eine Verletzung war hinzugekommen, die Ergebnisse blieben aus. Zimmermann stürzte in der Weltrangliste von Rang 370 ins Bodenlose. "So um 800 oder 900", genau will er sich gar nicht mehr erinnern. Er habe sich viel Zeit gelassen, viel geredet, mit seinen Trainern, den Eltern, Freunden, dem Manager der Tennisbase. Er sagt: "Ich war in einem Loch." So beschreiben viele Leistungssportler diese Situation. Der körperliche Absturz zieht fast immer einen mentalen nach sich. Dann ist es entweder vorbei, oder der Athlet geht gestärkt aus der Krise hervor. Zimmermann hat die Trainerlaufbahn vorerst auf Eis gelegt, er will es noch einmal wissen: "Ich habe nicht das Gefühl, dass ich an meinem Leistungslimit angekommen bin." Was sich im ersten Halbjahr 2010 bestätigt hat, das sieht auch sein Coach so.

Seit einem Jahr trainiert Zimmermann bei Klaus Langenbach. Der 44-Jährige leitet zusammen mit Stefan Eriksson den Profisport in der Tennisbase. Im Winter war Zimmermann in der Weltrangliste noch um Rang 700 geführt, mittlerweile ist er 300 Plätze nach oben geklettert. Drei Future-Turniere hat er gewonnen, bei zwei Challenger-Turnieren, die besser besetzt sind und mehr Preisgeld und Weltranglistenpunkte bringen, stieß der 25-Jährige jeweils mit einer Wildcard ins Viertelfinale vor.

"Ich hoffe, dass es so weitergeht", sagt der Spieler. "Ich traue ihm noch einiges zu", sagt der Trainer. Langenbach bescheinigt Zimmermann eine enorme Begabung bei Ballgefühl und Koordination. Fähigkeiten, die einem Sportler in die Wiege gelegt sein müssen. In den Grundeigenschaften sei er "tendenziell eher schwach", urteilt Langenbach. Was den Vorteil birgt, dass man mit harter Arbeit einiges bewegen kann. Nun gebe es eine ganz klare Zielsetzung, sagt Langenbach, "die Qualifikation zu den Australian Open". Ein halbes Jahr bleibt Zimmermann Zeit, die nötigen Punkte zu holen, "so 70 bis 80", schätzt er. Kurzfristig soll sich seine Position so weit verbessern, dass er keine Qualifikation für Challenger-Turniere mehr spielen muss.

Dafür tingelt er nun wieder durch Europa; wenn das Wetter schlechter wird, was Zimmermann für November befürchtet, geht es wahrscheinlich nach Südamerika. Eine weitere Neuerung ist ein Privatsponsor, der aus seinem Freundeskreis stammt und fest an seinen Aufstieg glaubt. Nach Ende der Punktrunde - Zimmermann tritt in der zweiten Bundesliga für den TC Großhesselohe an - geht es am 29. August weiter. Dann spielt er beim "Minimax-Cup", einem Future-Turnier in Kempten.

Für Großhesselohe war der 25-Jährige zum wiederholten Mal bester Einzelspieler, 8:1 lautet seine Bilanz. Der TC beendete die Saison auf Rang zwei, überlegt nun, ob er die Aufstiegsoption zieht. Zimmermann spielt seit neun Jahren für den Münchner Klub. "Wie Urlaub" empfindet er die Punktrunde, was nicht an deren Qualität liegt, sondern daran, dass er dann zu Hause ist. Für Erholung wird in naher Zukunft kaum Zeit bleiben. Am Jahresende werden sich Trainer und Spieler zusammensetzen und überlegen, wie es weitergeht, neue Ziele definieren. Zuvor wird hart gearbeitet, vor allem an entscheidenden Kleinigkeiten.

© SZ vom 25.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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