Luz-Long-Ufer:Verbotene Freundschaft

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Der blonde Deutsche Luz Long und der schwarze US-Amerikaner Jesse Owens liefern sich 1936 im Weitsprungfinale nicht nur ein episches Duell. Sie reichen einander die Hand - für das NS-Regime ein Bild des Grauens.

Von Thomas Jensen, München

Zwei Menschen plaudern miteinander, sichtlich entspannt. Wirken, wie sie so daliegen, etwas gedankenverloren. Ein im Sommer alltäglicher Anblick, auch im Münchner Olympiapark, wenn man dort beispielsweise am Luz-Long-Ufer entlangspaziert, einem Weg am Nordostufer des Sees. Irgendwie alltäglich erscheint dieses alte Schwarz-Weiß-Bild, auch wenn es gar nicht im Olympiapark entstanden ist. Zwei Sportler waren die beiden, Weitspringer, um genau zu sein. Sie befinden sich gerade im größten Wettkampf ihrer Karriere, als Konkurrenten. Bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin. Vor den Augen der Welt - und vor denen des NS-Regimes.

Jesse Owens, der rechte, räumte damals alles ab. Natürlich ganz zum Missfallen der politischen Führung in Deutschland. Vier Goldmedaillen gewann er für die USA, über 100 Meter, 200 Meter, in der 4×100-Meter-Staffel und eben im Weitsprung. Das Wunderkind, das 1935 fünf Weltrekorde innerhalb einer Dreiviertelstunde gebrochen hat, ist einer jener Sportler der Neuzeit, um die sich die größten Mythen entwickelt haben.

Luz Long, der linke, holte 1936 im Weitsprung Silber. Hinter Owens. Ewig sollte er fortan für diese größte Niederlage seiner Karriere bekannt sein. Und zwar nicht nur wegen der Dramatik, die sich im Weitsprungfinale entwickelte. Sondern weil der schwarze US-Amerikaner und der große blonde Deutsche zu Freunden wurden.

Dabei hat die Karriere des gebürtigen Leipzigers auch so schon genügend Erinnerungswürdiges hervorgebracht. 1913 geboren, wurde Carl Ludwig Long in den dreißiger Jahren sechs Mal hintereinander deutscher Meister im Weitsprung und hielt zu jener Zeit den Europarekord mit 7,65 Meter. Seine Bestmarke stellte er 1937 mit 7,90 Meter auf. Er war einer der deutschen Vorzeigeleichtathleten, die damals in der Öffentlichkeit standen. Regelmäßig wurden in der Leichtathletik noch Länderwettkämpfe ausgetragen, es war eine Art Nationalmannschaft, der der Jurastudent angehörte. Aufgrund der Popularität der Leichtathletik war diese auch wichtig für die NS-Propaganda, was den Sportlern bewusst war. So schrieb Long einmal von der "großen politischen Mission", die Deutsche zusätzlich zur sportlichen zu erfüllen hätten.

Das alles, der Sport im Griff des Nationalsozialismus und Longs Karriere, gipfelten in den Olympischen Spielen von 1936. In dieser monströsen Veranstaltung, einzig darauf ausgelegt, der ganzen Welt die vermeintliche deutsche Überlegenheit zu demonstrieren. In einem Wettstreit also mit einem, der so gar nicht zur politischen Ideologie des damaligen Deutschlands passte und der zuvor lange überlegt hatte, diese Spiele zu boykottieren - wie sollte hier Platz für so etwas wie eine Freundschaft zwischen Schwarz und Weiß sein?

Ermöglicht wurde sie durch die Kontaktaufnahme von Long, wie Owens später erzählte. Der Amerikaner hatte bei den ersten beiden Sprüngen in der Qualifikation, wie er selbst darstellte, nicht die erforderliche Weite erreicht. Beim ersten dachte er demnach, es handle sich um einen Probesprung. Beim zweiten Versuch übertrat er. In der Biografie "Luz Long: eine Sportlerkarriere im dritten Reich" von Longs Sohn Kai -Heinrich findet sich ein Artikel Longs, der nach den Spielen in der Neuen Leipziger Zeitung erschienen ist. In einer Passage brachte er seine Empathie gegenüber Owens zum Ausdruck: "Armer Jesse! Weißt Du nicht, dass es keinen Probesprung gibt?" Darüber, dass er dann das Gespräch mit Owens gesucht habe, ihm Mut zugesprochen habe und ihm einen Tipp gegeben habe, um nicht wieder zu übertreten, steht in dem Artikel nichts. Es ist wohl eine der bekanntesten olympischen Legenden. Owens selbst hat sie in die Welt getragen. Wie sehr er sich dabei an die Wahrheit hielt, ist umstritten, wird wohl nicht mehr geklärt werden. Das Foto, auf dem Long und Owens so einträchtig nebeneinander liegen, entstand nach dem Vorkampf. Ein gewisser Kontakt existierte also schon während des Wettkampfes.

Doch selbst falls es Longs Tipp nie in dieser Form gegeben haben sollte, eine Sache ist belegt: Longs Geste nach dem Finale, nach der für ihn sicherlich enttäuschenden Niederlage. In seinem vierten von fünf Sprüngen landete Long bei 7,87 Meter und zog mit Owens gleich. Diese Weite war für ihn ein neuer persönlicher Rekord. Er wuchs im Wettkampf seines Lebens über sich hinaus - und konnte dennoch nichts gegen Owens ausrichten. Der antwortete umgehend mit 7,94. Nach Longs folgendem, ungültigen letzten Versuch stellte der Amerikaner mit einer Fabelweite von 8,06 Meter einen neuen olympischen Rekord auf. Jesse Owens erkannte die Leistung seines Gegenübers im Nachhinein an, dieser habe dafür gesorgt, dass es der schwerste Wettkampf seines Lebens wurde. Trotzdem betonte er, dass die Goldmedaille und alle anderen Trophäen, die er je gewann, nicht so wertvoll gewesen seien wie seine Freundschaft zu Long.

In München ist ihm eine Straße nach Luz Long gewidmet. (Foto: Florian Peljak)

Der gratulierte ihm. Und umarmte den Sieger nicht nur auf der Stelle und als Erster nach dessen Triumph, sondern verließ mit ihm Arm in Arm das Siegerpodest. Spazierte so mit ihm durchs Stadion. Vor den Augen Hitlers, all der anderen Nazi-Gestalten und dem Publikum im Berliner Olympiastadion, das damals noch 100 000 Zuschauer fasste. Der als Vorbild-Arier propagierte Deutsche mit jemandem, der nach Auffassung des NS-Regimes einer anderen, unterlegenen Rasse angehörte.

Seine Biografie widmete Jesse Owens später seiner Frau - und Long, "dem Nazi, der mit mir gegen Hitler gekämpft hat".

Dieser erlebte die Glorifizierung nicht mehr, er starb 1943 auf Sizilien, als deutscher Soldat.

Ein Widerstandskämpfer war Luz Long nicht. Er äußerte sich öffentlich so, wie es von Sportlern damals erwartet wurde, zumindest wurde es so wiedergegeben. Wie seine innere Haltung gegenüber dem Regime und dessen Wahn tatsächlich aussah, kann nur spekuliert werden. Man muss die Szenen im Berliner Olympiastadion vermutlich nicht zwingend als gewolltes politisches Statement interpretieren.

Weniger wertvoll werden sie dadurch nicht, gerade aus dem Blickwinkel der heutigen Zeit, in der der Sport wieder so häufig im Sinne der Politik instrumentalisiert wird. Politik, der sich Luz Long damals ganz einfach entzog. Nur zwei Menschen, verbunden durch die Leidenschaft zum Sport. Ein Weißer umarmt einen Schwarzen und gratuliert ihm unterm Hakenkreuz. Es ist ein Plädoyer für den olympischen Gedanken und für das Fair Play, das bei einem Freizeitkick unter Freunden im Olympiapark vielleicht selbstverständlich ist. 1936 in Berlin war es das sicher nicht.

© SZ vom 05.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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