Linksaußen:Zu jeder Jahreszeit Saison

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Früher gab es Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Dann kamen die Chinesen. Und das Wiesn-Trikot.

Von Andreas Liebmann

Das Überraschende am Klimawandel ist ja nicht, dass ihn die Chinesen erfunden haben. Sondern dass es den Chinesen (zumindest dieser Theorie zufolge) irgendwie gelungen sein muss, ihre Erfindung derart fehlerfrei in fremde Sprachen zu übersetzen, dass die Wissenschaft weltweit auf sie hereinfallen konnte. Wer je versucht hat, zu einem Gerät aus chinesischer Fertigung - und sei es nur ein Löffel - eine deutsche Bedienungsanleitung zu verstehen, weiß diese Leistung zu würdigen. Andererseits: Wer je einen wissenschaftlichen Text gelesen hat, der weiß, dass darin oft noch viel größere sprachliche Herausforderungen lauern. Aber bleiben wir beim Klima.

Früher (also vor der Erfindung) war es ja so: Es gab Jahreszeiten. Den zart sprießenden Frühling, den Wo-bitte-ist-hier-Schatten?-Sommer, den stürmisch verregneten Herbst und den frostigen Winter mit Kamin und Glühwein. Zu regionalen fünften bis siebten Jahreszeiten wie Fasching oder Starkbierzeit gleich mehr. Im Sommerhalbjahr jedenfalls fand Freiluftsport statt, danach ging es in die Hallen. Wie auch immer die Chinesen es hinbekommen haben, aber die Jahreszeiten geraten durcheinander. 2019 zum Beispiel ist das Schneechaos unmittelbar in Hochsommer übergegangen, Ende August lag Schnee in der Luft, und jetzt, wo die Saison im Eishockey beginnt, ist Freibadwetter. Die Leichtathleten halten ihre diesjährige Freiluft-WM im Oktober ab, die nächste Fußball-Weltmeisterschaft findet kurz vor Weihnachten statt, es gibt Beachvolleyball im Schnee und der Bayerische Ringer-Verband sucht gerade einen Ausrichter für seine nächsten Beach-Wrestling-Meisterschaften. Und, um noch eins draufzusetzen: Das Oktoberfest beginnt im September!

Brasilianer in Lederhosen? Einst das Signal für den Wiesn-Beginn

Gut, zugegeben, das war schon immer so. Aber man kann auch wirklich durcheinander kommen. Die Münchner Löwen zum Beispiel haben gerade wieder ihre obligatorischen Wiesn-Trikots vorgestellt. Sie sind zur allgemeinen Überraschung blau, diesmal eher königs- als himmelblau, und mit Tupfen, was schade ist. Denn mit den Karos vergangener Jahre sahen sie exakt so aus wie das, was Herrschings Volleyballer das ganze Jahr über am Leib tragen. Lohhofs Volleyballerinnen dagegen haben nicht etwa den Beginn der Wiesn zum Anlass genommen, um sich kollektiv in ihre Dirndl zu schmeißen, sondern schlicht den Saisonstart und das zugehörige Fotoshooting.

Früher hatte alles seine Zeit. Bier wurde zum Beispiel nur von Ende September bis Mitte Oktober auf der Theresienwiese getrunken, in Trachtenhemden, Lederhosen, Dirndln und Zelten, ansonsten allerhöchstens noch zum Eingewöhnen beim Gäubodenfest in Straubing, beim Rosenheimer Herbstfest und den Rest des Jahres - sonst nie. Sobald der FC Bayern seine Südamerikaner wie nun Coutinho in Lederhosen stopfte, wusste jeder, dass es losgeht. Und wenn die Löwen wieder unkariert herumliefen, war es vorbei.

Ob die Chinesen wirklich an allem schuld sind? Und ob! Ihr Oktoberfest - eine billige Kopie - beginnt zum Beispiel im Juli. Vielleicht wegen eines Übersetzungsfehlers. Übrigens in Qingdao. Einer (räusper) ehemaligen deutschen Provinz.

© SZ vom 16.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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