Linksaußen:Zeitgeist an der Supermarktkasse

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Vom TSV Neuried gibt es neuerdings ein Stickeralbum. Ob dort wohl auch der gegenwärtige Trend zur Gesichtsbehaarung seinen Niederschlag findet?

Von Andreas Liebmann

Ein Bart ist Ausdruck für Individualität und Selbstbewusstsein." Gut, manchmal drückt er auch einfach aus, dass der Rasierapparat kaputt ist, und überhaupt gilt dieser Satz wohl eher nur für Männer. Aber er stand gerade in der Online-Ausgabe der Men's Health, also wird irgendetwas dran sein. Wer wachen Auges durch die Fußgängerzone schlendert, stellt jedenfalls fest, dass zurzeit verstörend viele junge Menschen, sobald es ihr Bartwuchs zulässt, derart individuell und selbstbewusst daherkommen, dass sie alle gleich aussehen: wie irgendetwas zwischen Salafistenprediger und Vader Abraham in jungen Jahren - nur ohne Melone und Schlümpfe.

Es gab eine Zeit für Petticoats und Schlaghosen, eine für kunstvoll zerrissene Jeans, kürzlich liefen Männer noch in Unterhosen durch die Gegend, während der Bund ihrer Hose um die Kniescheiben schlackerte. Haare sind ganz ähnlichen Moden unterworfen. Wer Panini-Bilder sammelt, weiß: In den Siebzigern trugen Fußballer ganze Kleingartenanlagen auf den Köpfen, in den Achtzigern erlaubte es ihr Einkommen bereits, einen Friseur an die vordere Hälfte der Haarpracht zu lassen - die hintere wuchs weiter. So gesehen sind Fußballer-Sammelalben auch eine prima Möglichkeit, den auf Aufkleber gebannten Zeitgeist verschiedener Epochen aufzubewahren.

Von den Fußballern des TSV Neuried ist diesbezüglich eher wenig zu erwarten. Keine Gebüsche im Gesicht, keine meterhoch gegelten Undercut-Turmfrisuren, die Jungs sehen als Team eher unscheinbar aus. Trotzdem hat der ambitionierte Klub am vergangenen Samstag ein Stickeralbum herausgebracht, mit seiner Bezirksliga-Mannschaft, aber auch Frauen- und Jugendteams. Bei 400 Mitgliedern könne sowieso nicht jeder jeden kennen, so solle nun die Identifikation gestärkt werden, erläutert Abteilungsleiter Michael Legrand. Die Idee ist nicht neu, auch in Kirchheim und Heimstetten gab es das schon. In Neuried allerdings gibt es die Sticker - wie man es von WM und EM kennt - tatsächlich an der Supermarktkasse. Der Erlös kommt der Jugend zugute. Für den Fußballkindergarten könnte man von den Einnahmen ja noch einen Rasierer kaufen. Nur falls diese Mode Neuried doch noch erreicht.

© SZ vom 17.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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