Linksaußen:Wettlauf der Bilder

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"Wie Sie sehen, sehen Sie nichts": Fußballer lernten eher laufen als die Bilder, auf denen sie zu sehen sind. Das hat sich massiv geändert, wie man auch am Beispiel der Sechziger sieht.

Von Andreas Liebmann

Hans-Joachim Kulenkampff wäre heute 35 138 Tage alt geworden. Anlässlich dieses Jubiläums darf man ruhig mal wieder an den gebürtigen Bremer erinnern, der als Showmaster seinerzeit eine ganze Fernsehnation fest im Griff hatte. (Etwas jüngeren Lesern sei erklärt: Kulenkampff war ein äußerst schlagfertiger Fernsehmann, eine Art früher Thomas Gottschalk, nur ohne Klamottentick) ... (Und hier ein Einschub für die noch etwas jüngeren Leser: Thomas Gottschalk war und ist ein schlagfertiger Radio- und Fernsehmann, der - ach, egal: Schaut bei Wikipedia nach).

Kulenkampff weiß natürlich nicht, dass er heute 35 138 Tage alt geworden wäre, weil er ja nicht mehr lebt. Und auch als er erst 25 138 Tage lang auf der Welt war, dürfte ihm das kaum bewusst gewesen sein. Weil Zeit seines Daseins dieses Internet keine Rolle spielte, das heutzutage derart unnütze Zahlen einfach ungefragt ausspuckt. Nur weil man in ihm mal kurz nach einem Kulenkampff-Zitat suchen wollte. Über sein Medium sagte der TV-Moderator: "Die Leute sind gar nicht so dumm, wie wir sie durchs Fernsehen noch machen werden."

Eigentlich soll es hier aber um einen ganz anderen seiner Aussprüche von hohem Erinnerungswert gehen, nämlich: "Wie Sie sehen, sehen Sie nichts." Er sagte das, als während seiner Sendung "Einer wird gewinnen" das Licht ausfiel. Höchstwahrscheinlich ist dieser Satz aber schon früher entstanden, anderswo, vielleicht sogar anlässlich des ersten Versuchs einer deutschen Fußball-Liveübertragung, im November 1936: Denn vom Länderspiel zwischen Deutschland und Italien hat man damals wohl nur den Novembernebel gesehen. Was insofern nicht weiter schlimm war, als ohnehin niemand einen Fernseher besaß.

Klar ist: Der Fußball war dem TV immer einen Schritt voraus. Je nach Interpretationsart entstand er vor Christi Geburt in China, ein paar hundert Jahre später in Florenz oder doch im Wettstreit zwischen zwei englischen Dörfern. In jedem Fall lernten Fußballer eher laufen als die Bilder, und selbst als diese immer schneller hinterherzulaufen begannen, blieben die Kicker vorne. Als Rahn zum Beispiel aus dem Hintergrund hätte schießen sollen, hatte er das in Wirklichkeit längst getan (wegen der Sendeverzögerung) - und zwar in Farbe, obwohl es nur schwarz-weiß gezeigt wurde. Und Kommentatoren genügten wenige Worte: "Beckenbauer." Oder: "Schnellinger".

Inzwischen hat das Fernsehen den Fußball eingeholt. Es diktiert Terminpläne und Marktwerte. Und es hat sich ins Internet ausgebreitet. Der FC Bayern überträgt sich dort inzwischen selbst, auch das Testspiel beim BCF Wolfratshausen lief live im FC-Bayern-TV. Die SpVgg Unterhaching hat ihr Haching-TV wiederbelebt, auch der VfR Garching sendet auf Youtube. Selbst unterklassige Relegationsspiele waren im Sommer im Internet zu sehen. Dort findet man auch all die fast vergessenen Randsportarten wieder, die im echten Fernsehen nicht mehr vorkommen. Sie senden dort ihre Livestreams, oft ohne Kommentatoren, was durchaus mal erholsam sein kann.

Das erste Fußballspiel der Regionalliga-Löwen ist demnächst übrigens live im Free-TV zu sehen. Ist also gar nicht so schlimm, so ein Abstieg. Denn in erster Liga und Champions League rollen die Bälle ja nur noch für Abonnenten. Für alle anderen heißt es: "Wie Sie sehen..."

© SZ vom 10.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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