Linksaußen:Schade um die Zeit

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Das Inselvölkchen des kleinen norwegischen Eilandes Sommarøy möchte Zeitrechnung und Zeitzonen kurzerhand abschaffen. Eine prima Möglichkeit also, in Zukunft einfach rund um die Uhr Sport anzubieten. Oder?

Kolumne von Ralf Tögel

Es ist mal wieder höchste Zeit, den geschätzten Leser an dieser Stelle mit ein paar Gedanken zu unterhalten. Apropos Zeit und Gedanken, wäre es nicht eine schöne Idee, sich von dieser allgegenwärtigen Geißel zu emanzipieren? Einfach mal ohne jede Terminhatz in den Tag hineinleben? Wie in einem immerwährenden Urlaub? Obwohl, selbst da muss man pünktlich sein, zum Frühstück, zum Bootstrip, zum Abendbuffet, den letzten Drink in der Happy Hour nicht verpassen, Sie kennen das. Tempus fugit, sicher, aber so ganz ohne wäre doch auch mal schön. Und siehe da, kommt aus dem fernen Norwegen wie gerufen diese Neuigkeit: Das Inselvölkchen des kleinen Eilandes Sommarøy hatte die Nase voll von Zeitrechnung und Zeitzonen und wolle sie daher kurzerhand abschaffen.

Fußballspiele würden so lange dauern, bis alle eingeschlafen sind

Für die rund 350 Bewohner der Insel verschwindet die Sonne vom 18. Mai bis zum 26. Juli ohnehin nicht hinter dem Horizont, also wenn es sowieso weder Tag noch Nacht gibt, warum nicht einfach alle Uhren ablegen und mal sehen? Was für ein charmanter Gedanke: Beim Arbeiten würde der Begriff Gleitzeit eine völlig neue Bedeutung bekommen, die Behörden würden nicht auf die Sekunde pünktlich dicht machen. Oder wie wäre es mal mit einem Fußballspiel um Mitternacht.

Beim Sport allerdings könnte die totale Zeitlosigkeit unschöne Folgen haben, sämtliche Sprintwettbewerbe wären auf einen Schlag obsolet. Keine Hatz nach Normen und Qualifikationen, was für eine schöne Aussicht. Fußballspiele würden wohl so lange gehen, bis keiner mehr stehen kann und sie mangels Teilnehmer beendet werden müssen. Basketballer, Handballer, Eishockeyspieler müssten sich nur den Hallenschlüssel vom Hausmeister besorgen, dann wäre das Vergnügen unendlich. Sportübertragungen rund um die Uhr, keiner muss sich mehr beeilen, um rechtzeitig von der Arbeit zum Finale im Audi Cup daheim zu sein. Niko Kovac könnte alle Spieler einsetzen, sogar die aus der Traditionsmannschaft, herrlich. Bulle Roth gegen Harry Kane, wer will das nicht sehen?

Aber Moment mal, auf der anderen Seite würde man auch einiges verpassen, kleines Beispiel: Das 5:4-Spektakel der Hachinger Börsen-Kicker gegen Würzburg, Moritz Heinrichs Treffer in der Nachspielzeit würde sicher auch bejubelt werden, aber die Franken hätten genügend Zeit, alles wieder zu drehen, genauer gesagt, so lange sie wollen. Man müsste angesichts der Flutlichtmasten im Sportpark nicht einmal aufhören, wenn die Sonne untergeht. Der Siegkorb der Bayern-Basketballer von Petteri Koponen mit der Schlusssirene gegen Barcelona, ein so genannter Buzzer-Beater, so was gäbe es ja dann gar nicht mehr. Mit der Zeit wäre dann auch etwas anderes mit einem Schlag abgeschafft: die Spannung. Keine nervenaufreibende Verlängerung, nie wieder Elfmeterschießen, Haching gegen Würzburg beim Stand von 78:69 unterbrochen, weil die letzten beiden Spieler eingeschlafen sind.

Doch kein charmanter Gedanke. Und überhaupt, die Kunde aus dem hohen Norden hat sich als PR-Gag der staatlichen Behörde "Innovation Norway" herausgestellt. Um Aufmerksamkeit für Norwegen als Reiseland zu erregen. Was soll man dazu sagen? Schade um die Zeit.

© SZ vom 05.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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