Linksaußen:Kleingroße Löwen

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Es gibt keine Zwerge mehr? Jahrelang galt dieser Glaubenssatz. Bis die Unterschiede unübersehbar wurden. Nun dreht der TSV 1860 die Evolution wieder um.

Von Ralf Tögel

Da stand der kleine Österreicher und sprach in breitem Wiener Dialekt: "Stoobsogn is ane Läädenschoft." Für alle Piefkes: Staubsaugen ist eine Leidenschaft. Dann setzte der neunjährige Gabriel eine undurchsichtige Brille auf und identifizierte allein anhand des Motorengeräusches mehr seiner Lieblingsputzgeräte als das deutsche Schauspielerpärchen Natalia Belitski und Jürgen Vogel. "Klein gegen Groß - das unglaubliche Duell" heißt die Fernsehshow in der ARD, in der Kinder zwischen fünf und 14 Jahren, die über besondere Fähigkeiten und Talente verfügen, gegen Prominente antreten. Das ist fast immer lustig. Kleines Beispiel: Die siebenjährige Shayenne aus Dillingen/Saar erkannte nach wenigen eingespielten Takten mehr Hits von Modern Talking als Dieter Bohlen - und der hat sie alle geschrieben. Kann passieren. Deshalb auf den Geisteszustand des Schnulzenmeisters zu schließen, wäre unfair. Meistens werden diese Duelle von den Kleinen gewonnen, das ist zum Glück nicht nur in Fernsehshows so, auch im normalen Leben kommt das vor.

Dabei waren die Kleinen zwischenzeitlich von der Bildfläche verschwunden, was Tante Käthe als erstem auffiel, in jenem legendären Fernsehinterview nach einer miserablen Leistung im Länderspiel auf Island. Als Rudi Völler Fahrt aufnahm, wäre dem Sportreporter Waldemar Hartmann fast sein letztes Weißbier wieder hochgekommen vor Schreck. Der Moderator im Übrigen war auch klein. Der kultige Wutanfall ist ziemlich genau 16 Jahre her. Liechtenstein, Gibraltar, die Färöer oder eben Island (seinerzeit Tabellenführer in der EM-Qualifikationsgruppe mit den Deutschen) - alle plötzlich gewachsen, Riesen geradezu im internationalen Fußball.

Lange her. Spätestens seit der Ära von Jogi Löw, der mit der U18 auch mal klein angefangen hat, sind sie wieder da: die Kleinen. Auch dank der Nationalmannschaft, die beispielsweise kürzlich in der EM-Qualifikation Estland mit einem 8:0 geschrumpft hat. Zum Glück gibt es den Pokalwettbewerb, gewissermaßen auch eine öffentlich-rechtliche Unterhaltungssendung, die nach einem ähnlichem Muster funktioniert wie "Klein gegen Groß": Kleine gehen in vermeintlich ungleiche Duelle mit Prominenten, auch hier gewinnen hin und wieder die Außenseiter.

Nun muss man den TSV 1860 München nicht als Großen sehen, denn gerade in den vergangenen Jahren hat sich der weiß-blaue Fußballklub im Blick aus der Froschperspektive geübt. Dem Gegner im Toto-Pokal-Achtelfinale erschien er dennoch übermächtig. Aber der kleine Bayernligist TSV Dachau 1865 wehrte sich mit so viel Läädenschoft, bis sie im Elfmeterschießen dann doch verloren. Pech! Und dann stand da der kleine Münchner Trainer, was man schon so sagen darf, denn der Dachauer Kollege war zwei Köpfe größer, ein Baum von einem Kerl. Daniel Bierofka lobte den Gegner überschwänglich (vielleicht, weil der hünenhafte Fabian Lamotte neben ihm stand) und ärgerte sich über blöde Fragen des Reporters. Ob der Große nicht hätte in der regulären Spielzeit gewinnen müssen, ob der Große den Kleinen nicht ernst genommen hat, solche Sachen.

Vielleicht verschwinden die Kleinen ja gerade wieder von der Bildfläche.

© SZ vom 09.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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