Linksaußen:Großes Theater

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Wie die Kunst des Blendens bis in die heutige Zeit und in den Münchner Amateurfußball hineinragt

Von Ralf Tögel

Friedrich Wilhelm Voigt zum Beispiel. Der ostpreußische Schuhmacher hat sich am 16. Oktober 1906 als Hauptmann verkleidet und sich einen Trupp, na ja, leichtgläubiger Soldaten Untertan gemacht. Dann marschierte er schnurstracks in das Rathaus der Stadt Cöpenick bei Berlin, um selbiges zu besetzen, den Bürgermeister in Haft zu nehmen - und die Stadtkasse zu rauben. Ein Husarenstück, dass den Schriftsteller Carl Zuckmayer zu seinem berühmten Theaterstück animierte. Ist derlei Blenderei heutzutage, in Zeiten aufgeklärter Bürger überhaupt denkbar?

Nein? Wieso bedienen sich dann einsame Menschen in stetig wachsender Zahl der Dienste einer Agentur, die mit Bildern von Partnersuchenden wirbt, deren Optik der Vollkommenheit nicht sehr fern ist? Wer glaubt denn ernsthaft, dass Aphrodite oder Adonis tatsächlich am anderen Ende der Leitung schmachtend darauf warten, den Hörer abzunehmen und endlich ein Date zu vereinbaren, egal war da anruft? Oder wie kann es sein, dass für eine Jeans, die angesagteste ihrer Art immerhin, Preise von mehr als 1000 Euro aufgerufen werden, obwohl es kein Geheimnis ist, dass selbige aus zwei alten Hosen zusammengeflickt wird? Mehr Schein als Sein, tarnen und täuschen, funktioniert also noch.

Hat sich wohl auch der Fußball-Landesligist Türkgücü-Ataspor München gedacht und vor Saisonbeginn zu einer "internationalen Pressekonferenz" in den roten Salon des Cafe Glockenspiel am Marienplatz geladen. Der Vorstand, der allemal Mannschaftsstärke hat, malte blumige Bilder einer rosigen Zukunft in die Luft, dank international erprobter Spieler aus den Eliteligen Belgiens, Hollands und der Türkei sei der Aufstieg zur dritten Kraft hinter den Bayern und dem TSV 1860 nicht zu verhindern. Zwei Aufstiege seien noch geschwind zu erledigen, 2020 werde die vierte Liga und bundesweite Bekanntheit erreicht sein. Kurzer Zwischenstand: Der Spieler, der in Belgien und Holland gespielt haben soll, kam vom Kreisligisten SV Ostermünchen - kleine Namensverwechslung, kann schon mal passieren. Der neue Hoffnungsträger-Trainer ist schon wieder gefeuert, der Klub ist derzeit Zehnter, die Abstiegsränge unangenehm nah. Klingt nach großem Theater.

© SZ vom 12.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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