"Linksaußen":Gestrandet im Nirgendwo

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Im Home-Office fühlen sich viele, als wären sie auf eine einsame Insel gespült worden. Viele Profisportler kommen wegen der Krise aber gar nicht mehr nach Hause. Ihnen geht es wie Tom Hanks.

Kolumne von Sebastian Winter

Paulo da Silva hat es nicht leicht in diesen Tagen. Der bis zu seiner Schulterverletzung Ende Januar beste Angreifer der Volleyball-Bundesliga ist mit seiner Familie in Innsbruck gestrandet. Dort, wo er bis Mitte März mit den Alpenvolleys Haching um die beste Ausgangsposition für die Playoffs kämpfte - bis die Saison wegen Corona abgebrochen wurde. Alle anderen Ausländer im Team packten schnell die Koffer und reisten heim. Da Silva und seine Familie hatten offenbar zu viele Koffer, kamen nicht mehr schnell genug zum Flughafen, die Grenzen waren zu. Nun leben die da Silvas samt ihrer beiden Kinder statt in der brasilianischen Heimat in einer Drei-Zimmer-Wohnung in der Hauptstadt Tirols. Und, was soll man sagen: Sie machen das Beste daraus.

Als lässiger Vater lässt sich da Silva von seiner Tochter mit dem Pinsel bunte Wasserfarben ins Gesicht malen, außerdem postet die Familie ziemlich ulkige Videos von Trocken-Wettschwimmen aus der Wohnung. Wanderungen und Spaziergänge zum Ententeich stehen auch hoch im Kurs in einer Zeit, in der Paulo da Silva die Alpenvolleys eigentlich in Richtung Playoff-Finale hätte schmettern sollen. Einen neuen Vertrag für die kommende Saison - so sie denn stattfindet - hat er auch schon: Nicht bei den Alpenvolleys, die am 15. April ja ihren wirtschaftlich bedingten Rückzug aus der Bundesliga verkündeten. Sondern bei Sporting Lissabon, also den Volleyballern. In Portugal ist es wärmer als in Innsbruck, es gibt viel Sand, kein Berg verwehrt den Blick vom Strand nach Westen, wo man die Azoren erahnen kann. Ach, da gibt es ja auch Gestrandete, Cristiano Ronaldo beispielsweise, der ebenfalls Bilder postet: von sich auf dem Hometrainer, von sich und seinem Sixpack, von sich beim Haare schneiden (muss sein Sohn machen).

Feuer machen, Fische fangen und Fachgespräche mit Wilson

Apropos Azoren: Tom Hanks ist immer noch das beste Beispiel, wie man als Gestrandeter sinnvoll seine Zeit verbringt - ganz ohne Multimillionärs-Villa auf Madeira oder Stadtwohnung in Innsbruck samt technischem Equipment: In "Cast Away" stürzt er mit einem Frachtflugzeug über dem Pazifik ab, kann sich als einziger Überlebender auf eine unbewohnte Insel retten - und kämpft dort geschlagene vier Jahre lang als Verschollener ums nackte Überleben. In vom Wrack angeschwemmten Paketen findet er Schlittschuhe und macht daraus ein Beil; Wilson, Beachvolleyball und glanzvolles Film-Beispiel von gelungenem Product Placement, wird zu seinem stummen Zuhörer und Freund. Hanks, alias Chuck, lernt, Feuer zu machen und Fische zu fangen, als Paketbote im Survival-Labor.

Der Drehort, die Insel Monuriki, war übrigens tatsächlich unbewohnt, liegt aber nur einen Schildkröten-Weitwurf östlich der größten aller Fidschi-Inseln. Und ist inzwischen ein Touristen-Magnet: Logisch, jeder will mal zur Tom-Hanks-Insel hinüberschippern und auch ein bisschen verschollen sein. Nebenan, auf Castaway Island, wurde zwar keine einzige Szene für den Film gedreht, man kann aber vom dortigen Resort aus mit dem Schnellboot eintägige Ausflüge nach Monuriki unternehmen. Inklusive Champagner-Frühstück und Schnorcheltour. Nur halt nicht jetzt, was nicht nur die Schildkröten freuen dürfte.

Selbst jene Abenteurer, die gerade auf Booten über die Weltmeere segeln, dürfen ja fast nirgendwo mehr anlanden. Ob nun die knapp 40 armen Schüler, die als Klassenzimmer unter Segeln mit der "Thor Heyerdahl" (u.a. nahe der Azoren) den ultimativen Lagerkoller fürchten; oder der 78-jährige medienaffine bayerische Aussteiger Gangerl Clemens, der mit seinen beiden Spezln irgendwo vor Malaysia festhängt - und dies per Corona-Tagebuch auf Facebook dokumentiert.

Der Hanks aus dem Film hatte kein Facebook. Er ist übrigens ein entfernter Verwandter von Shawn Weller, dem Tölzer Eishockey-Holzfäller mit dem roten Rauschebart. Der US-Bürger Weller würde einen ganz prächtigen Einsiedler oder Verschollenen oder vor allem Wildling in der Serie Game of Thrones abgeben, muss aber womöglich noch über den Sommer hinweg (wie auch der Kanadier Tyler McNeely) die Zeit in Tölz herumbringen - in seiner Vereinswohnung. Klingt fast so gottverlassen wie Monuriki. Wie man hört, hat sich Weller aber noch keinen Puck auf den Esstisch gestellt, mit dem er jetzt über Schlagschüsse und Penaltys quatschen kann.

Hanks und seine Frau Rita, das nur nebenbei, haben sich vor ein paar Wochen in Australien mit dem Corona-Virus infiziert. Das Paar hat wohl ziemlich gelitten an den Symptomen, bevor es per Privatjet zurück in die USA fliegen konnte - leider ohne Zwischenstopp in Innsbruck oder in Bad Tölz.

© SZ vom 27.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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