Linksaußen:Eine Hymne für die Unterhose

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Die Hymne des FC Liverpool heißt "You'll never walk alone". Vor dem Spiel beim FC Bayern irrte ein Brite aber alleine und ohne Beinkleid durch München.

Von Andreas Liebmann

W enn du durch einen Sturm gehst, halte deinen Kopf oben und fürchte dich nicht vor der Dunkelheit. Am Ende des Sturms ist ein goldener Himmel und das süße, silberhelle Lied einer Lerche... Ehe Sie fragen: Nein, hier ist niemand besoffen. Das ist ein Zitat. Es ist der Anfang jener altehrwürdigen Hymne, die Liverpools Fußballfans immer singen. Wieso es eine Lerche ist und keine Nachtigall (Romeo, ick hör dir trapsen), tut nichts weiter zur Sache, das werden die Engländer schon wissen. Wichtig ist der Refrain: You'll never walk alone. Du wirst niemals alleine laufen.

Ein, zwei Bier - und schon war die Hose des Liverpool-Fans weg

Mindestens ebenso wichtig ist die Frage, was eigentlich aus jenem Mann geworden ist, den die Münchner Feuerwehr am vergangenen Mittwochmorgen aufgriff; der dieses Lied vermutlich leise bis verzweifelt vor sich hin summte, weil er in einer fremden Stadt mit einer ihm fremden Sprache hilflos umhergeirrt war, zweifellos einem güldenen Morgengrauen entgegen, vielleicht auch auf der Suche nach einer Lerche, aber vor allem von beachtlichen Sturmböen umweht - und entgegen der Vereinsballade verdammt alone. Vor allem: alleingelassen vom eigenen Beinkleid. Hier nochmals ein Zitat, dieses aus der zugehörigen Meldung der Nachrichtenagentur dpa: "Nur mit Schuhen, einer Jacke und seiner Unterhose bekleidet ist ein britischer Fußballfan durch die Münchner Innenstadt geirrt..." Er habe "ein oder zwei Bier" getrunken, heißt es weiter (Gläser? Eimer? Badewannen?), und für das Fehlen seiner Hose habe der Mann keinerlei Erklärung gehabt.

Soweit der bekannte Sachverhalt. Der Rest ist ein erschreckendes Beispiel für die Oberflächlichkeit unserer Medienwelt. Denn kurz darauf ging das von Liverpools Trainer Jürgen Klopp besungene "rote Licht" in der Münchner Arena an (und für die Gastgeber bald wieder aus), die Kameras in München wurden ab- und tags darauf für die Pressekonferenz von Jogi Löw in Frankfurt wieder aufgebaut, und wo der britische Fan nun steckt? Kümmerte keinen. Ob er den Sieg seines Klubs miterlebt hat? Ob er wieder glücklich zu Hause ist? Ob er weiter durch München irrt, auf der Suche nach ein, zwei Bier, oder stur der Hymne folgend ( Gehe weiter durch den Wind. Gehe weiter durch den Regen)? Man weiß es nicht. Auch nicht, ob er vielleicht eine Kleiderspende benötigt hätte. So mancher Fan des TSV 1860 München, auf dessen Trainingsplätzen sich Klopps Team auf den Champions-League-Triumph hatte vorbereiten dürfen, hätte sich bestimmt auch hier gerne großzügig gezeigt.

Wie es zu alldem kam, hätte man gerne noch erfahren. Hatte der Brite "Zieht den Bayern die Lederhose aus!" falsch verstanden? Statt seines letzten Hemdes die letzte Hose für eine Eintrittskarte geopfert? Man weiß es nicht. Vielleicht - aber das ist natürlich ein ganz schrecklicher Verdacht - ist der Ärmste auch nur durch Zufall an jener Gruppe von Amateurschiedsrichtern vorbeigekommen, die in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch auf Feldbetten in der Kälte campiert hatten, um an freie Schiedsrichterkarten für das Champions-League-Spiel zu kommen. Und vielleicht haben sie alle so gefroren, dass sie dann über den Touristen und seine warme Hose hergefallen sind wie kurz darauf über ihr Freikartenkontingent. Wohl eher nicht. Bayern-Trainer Niko Kovac sagte nach der Partie: "Wenn man zu früh aufmacht, dann kann es ziemlich in die Hose gehen" - aber da ging es vermutlich nicht um die Hose jenes Briten.

Über den Trainer Kovac wird nun natürlich wieder debattiert. Vielleicht kann sich der große Münchner Klub in diesem Zusammenhang ein bisschen was von der SpVgg Unterhaching abschauen. Der Drittligist begegnete seiner Krise nach der Winterpause nämlich erstens durch ein Treuebekenntnis seines Präsidenten zum Trainer. Und zweitens mit der Überlegung des Klubchefs: "Vielleicht müssen wir alle mal zum Psychiater." Wohlgemerkt: alle! You'll never walk alone. Am besten gleich zu einer Gruppensitzung.

Ach ja, und nur für den Fall, dass im Warteraum des Psychiaters ein zitternder Brite hockt: Spendiert ihm doch bitte eine Hose. Und ein Ticket nach Liverpool.

© SZ vom 18.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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