Linksaußen:Aufruf zum Feuerwerk

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Pyrotechnik im Fußballstadion ist, vorsichtig gesagt, nicht jedermanns Sache. Und übrigens verboten. Wäre es nicht prima, wenn die feuerverliebtesten Fans Silvester nutzen würden, um ihre Jahresvorräte auf legale Art in die Luft zu jagen? Nur eine Idee...

Kolumne von Andreas Liebmann

Sehr geehrte Damen und Herren Hooligans, werte Ultras, Pyromaninnen und Pyromanen,

bitte aufgepasst: Zehn! Neun! Acht! Sieben! Sechs... - gleich dürft ihr!

An diesem Dienstag ist Silvester. Man weiß zwar nicht genau, wieso, aber in dieser einen Nacht lassen es wirklich alle krachen. Sie jagen Raketen und Böller durch die Gegend, es blitzt und scheppert und funkt und donnert und raucht, dass es eine Freude ist - für die meisten zumindest. Asthmatiker vielleicht ausgenommen. Das Tolle daran: Es ist erlaubt. Völlig legal. Kein Witz! Man muss die Feuerdinger nirgends reinschmuggeln, erntet keine Scheibenwischer und Pfeifkonzerte, riskiert keine Strafanzeigen oder Stadionverbote, kann einfach lässig die Lunte anzünden und alles ist gut. Klar, es gibt da diese Feinstaubdiskussionen, aber davon mal abgesehen: Feuer frei!

Choreografisch ist alles erlaubt, auch Freiheitsstatuen auf Zäunen

Vielleicht an dieser Stelle nur ein paar sachdienliche Hinweise: Auch an Silvester bitte nicht mitten hinein in eine unbeteiligte Menschmenge mit dem Zeug, vor allem nicht in die Nähe von Kindern. Das ist gefährlich - an diesem besonderen und allen anderen Tagen des Jahres. Aber klar könnt Ihr dazu gerne ein paar Fußballspiele aus der Mediathek ablaufen lassen, ein Best-of der bisherigen Saison. Es muss keine Stößchen-Wohlsein-Frohes-Neues-Jahr-Sause werden, nein: Natürlich kann man auch Bier trinken zum Silvesterfeuerwerk, gerne aus Plastikbechern. Vermummen ist immer heikel, aber in diesem speziellen Fall: Wenn Ihr Euch ansonsten benehmt, wieso eigentlich nicht. Schützt ja auch gegen Rauch.

Und Fangesänge, klar, sowieso: Ein' Jahreswechsel, es gibt nur ein' Jahreswechsel... Euch fällt da sicher viel mehr ein.

Und selbstverständlich habt Ihr choreografisch alle Freiheiten. Könnt eure Leuchtfackeln in die Höhe halten wie Freiheitsstatuen auf Klassenfahrt, gerne grölend auf irgendeinem Gartenzaun, sofern der Besitzer nichts dagegen hat. Ihr könnt damit Laserschwertkämpfe nachspielen oder sie euch in den Hosenbund stecken, ganz wie es euch beliebt. Hauptsache, Ihr habt Spaß und tut Euch nicht weh. Nur, bitte: Brennt so viel wie möglich von dem Zeug ab, damit euer gesamtes Jahresbudget dafür draufgeht und sich alle Vorräte in Rauch auflösen. Denn, jetzt kommt der klitzekleine Haken an der Sache: Nach der Silvesternacht ist das alles nämlich überhaupt nicht erlaubt. Nirgends. Nicht mal in Fußballstadien. Aber eigentlich wisst Ihr das ja.

Natürlich ist das irgendwie schwer zu verstehen. Allein schon Historisch. Tatsächlich war es ja so, dass damals, in China, das Feuerwerk erfunden wurde. Ein paar Mutige haben das erste angezündet, und dann, nach anfänglicher Euphorie, standen sie recht dumm in der Gegend herum, blickten einander ratlos an und hatten das Gefühl, dass irgendetwas fehlte; eine Art Anlass für ein Freudenfeuer. So erfanden die Chinesen dann eben Ts'uh-küh, den Vorläufer des Fußballs.

Was wäre ein Schlauchboot ohne Sprühsahne? Eben: Sinnlos!

Im Mittelalter in England genau dasselbe: Irgendwer hatte Feuerwerkskörper besorgt, doch keiner wusste, was man während des Abbrennens hätte brüllen sollen. Also erfanden zwei benachbarte Dörfer flugs ein geeignetes Fußballspiel. Deshalb gehören ja bis heute Pyrotechnik und Fußball zusammen wie Schlauchboot und Sprühsahne; wie griechische Philosophie und Teppichreiniger; das eine ist ohne das andere schlicht undenkbar. Oder, wie es Loriot ausgedrückt hätte: Ein Fußballspiel ohne Feuerwerk ist möglich, aber sinnlos.

Ihr wisst das, klar. Nur die anderen wissen es nicht. Wie sagt doch der Volksmund so schön: Tempi passati (übersetzt: Früher war mehr Lametta). Manche Dinge ändern sich eben. Heute, müsst Ihr wissen, wirkt Eure Lichtershow, für die Ihr Kopf und Kragen riskiert (vor allem von Umstehenden), auf die meisten anderen Menschen im Stadion etwa so (ver-)störend, als würdet Ihr auf diese Art in ein Blockflötenkonzert platzen; mitten hineinböllern in die Neujahrsansprache des Bundespräsidenten; oder in die Morgenandacht eines Schweigeklosters. Nackt.

Also vielleicht lasst Ihr das 2020 doch lieber? Außer natürlich zum Jahreswechsel. ...Fünf! Vier! Drei! Zwei! Eins! Lasst es krachen! Auf ein friedliches neues Jahr!

P.S.: Solltet Ihr 2020 tatsächlich ohne Pyro-Rückfall überstehen und dabei feststellen, dass ein Fußballspiel mit unvernebelter Sicht gar nicht so übel ist, dann können wir uns vor dem nächsten Silvesterfeuerwerk ja auch gerne mal über diese Feinstaubsache unterhalten.

© SZ vom 30.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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