"Liga Terezin":Auf Onkel Pavels Spuren

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In einem Propagandafilm der Nationalsozialisten hat der Israeli Oded Breda vor Jahren seinen Onkel Pavel entdeckt. Daraus entstand ein Dokumentarfilm. (Foto: Beit Theresienstadt Archiv)

Die Film-Dokumentation von Oded Breda und Mike Schwartz erzählt vom Fußball im KZ

Von Patrick Reichardt, München

Oded Breda hat gute Laune. Während seiner zweiwöchigen Tour durch Deutschland habe er so viel Bier getrunken wie sonst in einem ganzen Jahr, erzählt er mit einem Lächeln. Und nun folgt ja erst noch München, nicht nur die Hauptstadt des Fußballs, sondern auch die selbsternannte Hauptstadt der Braukultur. Der Grund, warum der Israeli Breda und sein Freund und Landsmann, der Filmemacher Mike Schwartz, extra aus Israel anreisen und durch Deutschland touren, ist weit weniger blumig. Sie stellen "Liga Terezin" vor, einen Dokumentarfilm, der vom Fußball und dessen Stellenwert im Konzentrationslager Theresienstadt handelt. 1944 hatten die Nationalsozialisten einen Propaganda-Film über das KZ gedreht, Fußball spielte darin eine große Rolle. Breda, 62, erkannte auf den alten Bildern seinen Onkel Pavel. Er sieht sie sich immer wieder an und beginnt zu recherchieren.

Mit "Liga Terezin" sind die beiden Männer aus Israel nun bereits im zweiten Jahr auf Deutschland-Tour. München ist die elfte und letzte Station. Zuvor waren sie unter anderem im Deutschen Fußball-Museum in Dortmund oder in Hamburg. In Gelsenkirchen zeigten sie ihren Film am 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Dort sei es besonders emotional gewesen, schildert Breda. Doch auch der Abend in München, im Stadion an der Schleißheimer Straße, bekommt eine ganz besondere Note.

Es ist die einzige Station in einer echten Fußballkneipe, sogar Rainer Koch, der kommissarische Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), ist anwesend. "Es macht Mut, dass so viele junge Menschen bereit sind, an dieser Stelle Flagge zu zeigen", sagt Koch über das Publikum bei dem Film- und Diskussionsabend. Er findet: "Das sind Fans, die im Stadion anderen Menschen mit etwas dumpfer Gesinnung auch etwas entgegenzusetzen haben, weil sie sich mit der Sache befasst haben." Mit ihrem Einsatz und der Organisation ermöglichten die Initiativen "Nie wieder", "Löwenfans gegen Rechts" und "Maccabi München" diesen Abend erst.

Auf der Suche nach seinem Onkel gab Breda damals sogar seinen Job als Computerexperte auf. Immer wieder verglich er die Szenen aus dem Propagandafilm "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt" mit alten, vergilbten Fotos von Onkel Pavel. Er sagt: "Ich hatte viele Fragen, aber keine Antworten." Das wollte er ändern und machte sich auf die Suche nach Zeitzeugen. Kein einfaches Unterfangen, denn von den etwa 150 000 Menschen, die damals nach Theresienstadt deportiert wurden, überlebten gerade einmal 4136. Doch der Israeli fand Peter Erben. Er überlebte den Krieg, ist heute 92 Jahre alt und hatte mit dem gesuchten Pavel Breda sogar gemeinsam in einer Mannschaft gespielt. Breda begann, in mühevoller Eigenrecherche den Fußballbetrieb der "Liga Terezin" nachzuzeichnen. Die Häftlinge benannten ihre Mannschaften wahlweise nach der Arbeitsstelle oder ihrem Lieblingsverein, so traf die "Ghettowache" auf die "Kleiderkammer" und Fortuna Köln forderte Sparta Prag. Gespielt wurde in einem Ligasystem, die Ergebnisse sind noch heute dokumentiert.

In München entwickelt sich ein lebhafter Austausch. Auch dank Ernst Grube, der neben Breda und Schwartz als dritter Gast auf dem Podium sitzt. Er sagt: "Die Bedeutung des Fußballs, wie sie in diesem Film dargestellt wird, das war nicht so." Grube spricht aus eigener Erfahrung, er wurde in das Konzentrationslager in Theresienstadt deportiert und überlebte den Holocaust: "Ich bin heute jemand, der mit seinem Wissen die Erinnerungen wachhalten will." Dieses Ziel hat auch Breda, doch er verfolgt es auf eine andere Art und Weise. Er will junge Menschen über den Fußball in die Thematik holen, er will erinnern und aufklären zugleich. Dass der Sport im Konzentrationslager eine zentrale Rolle gespielt habe, das wolle er mit seinem Film nicht ausdrücken. Doch mit dem Fußball, das verdeutlicht er immer wieder, kann er eine große Zielgruppe erreichen.

Auch DFB-Präsident Koch findet den Film bemerkenswert, er hat ihn sich schon mehrere Male angesehen. Erst im Dezember war er mit einer Delegation des Verbandes bei einer Holocaust-Gedenkstätte in Israel. "Dem Ball ist egal, wer gegen ihn tritt. Im Gegenteil, der Ball lädt sogar jede und jeden dazu ein, mitzuspielen", sagt Koch. Oded Breda kann nach all seinen Recherchen, Forschungen und dem daraus entstandenen Film heute guten Gewissens behaupten: "Ich kann jetzt in Israel so glücklich leben wie nie zuvor." Seinen Onkel Pavel hat er nie kennengelernt. Er verhungerte mit 20 Jahren im Konzentrationslager.

© SZ vom 09.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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