Leichtathletik:Gemeinsam ans Limit

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"Ich hatte Glück, und ich muss dankbar sein": Johannes Trefz startet mit neuer Zuversicht. (Foto: R. Schmitt/imago images / Beautiful Sports)

Nach schwierigen Monaten startet der 400-Meter-Läufer Johannes Trefz bei der Staffel-WM in Chorzow. Es geht um Startplätze für Olympia - und die wiederentdeckte Freude am Sport

Von Andreas Liebmann, Gräfelfing

War noch was? Nur ganz kurz dachte Johannes Trefz nach, eigentlich waren ja alle Fragen gestellt und beantwortet, aber dann fielen dem Leichtathleten vom TSV Gräfelfing doch noch ein paar Kleinigkeiten ein, die er loswerden wollte. Also sprach er von der Politik, die realisieren müsse, dass Sport wichtig ist, auch während einer Pandemie; dass Vereine und Verbände wenig Unterstützung fänden in dieser schwierigen Zeit und man aufpassen müsse, "dass nicht die ganze Basis wegbricht", ganze Jahrgänge, die dem Sport dann fehlen. Trefz meinte damit nicht jenen Profisport, dem er selbst nachgeht, als dreimaliger deutscher Meister über 400 Meter und zweimaliger Europameister mit dem Team. Eher sprach Trefz vom Nachwuchs, und auch von seiner eigenen Trainingsgruppe, in der keineswegs alle in der privilegierten Lage seien wie er, dank Kaderzugehörigkeit weiter trainieren und an Wettkämpfen teilnehmen zu dürfen. "Die anderen haben gar keine Chance, sich zu zeigen", erläuterte er. Dann dankte er noch all den Trainern, die zurzeit ständig schauen müssten, wann sie was mit wem und wie trainieren dürften, "da steckt ganz viel Herzblut drin". Und das - war es dann wirklich.

Eigentlich sollte sich das Telefonat um Johannes Trefz' Weg zu den Olympischen Spielen drehen, das tat es irgendwie auch, schließlich steht im polnischen Chorzow die Staffel-Weltmeisterschaft an, bei der es am 1. und 2. Mai nicht zuletzt um Startplätze in Tokio geht. Doch dann ging es irgendwie vor allem um das Thema Dankbarkeit.

Trefz, der Zwei-Meter-Mann, hatte in den vergangenen Monaten viel Zeit nachzudenken, viel mehr, als ihm lieb war, wie viele andere wohl auch. Vermutlich hätte er die erzwungene Ruhe gar nicht gebraucht für seine Einsichten, als Leichtathlet läuft man doch weniger Gefahr, im goldenen Käfig des Profisports zu vergessen, woher man kommt. Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass er manche Dinge heute noch etwas mehr zu schätzen weiß als vor der Pandemie.

"Es war eine schreckliche Zeit": Zu den Corona-Sorgen kamen Verletzungen und finanzielle Ängste

Gerade zum Beispiel hat er ein Trainingslager auf Gran Canaria verbracht, vier Wochen in der Wärme, "endlich". Natürlich mit allem, was heutzutage dazu gehört, Einzelzimmern, Masken, Tests, einem ausgetüftelten Hygienekonzept eben, das es den Athleten ermöglichte, sich als so genannte Bubble ohne Kontakt zur Außenwelt zu bewegen. Trefz' letztes Trainingslager auf Lanzarote endete im März 2020, "drei Tage nach der Rückkehr kam der europäische Lockdown". Seitdem: Immer neue Pläne, immer neue Absagen. Eine Woche war er nun daheim, dann ging es weiter, über Berlin nach Polen. Fast so, wie sein Leben als Sportler eben lief, ehe das Virus kam. Auch der Politik dankt er, dass sie solche Trainingslager insoweit unterstützt, als danach keine Quarantäne eingefordert wird - denn sonst brächte diese Art der Vorbereitung ja nichts. Alles lief bestens, er fühlt sich gut in Form.

Der Blick nach vorne ist für den 28-Jährigen nun automatisch auch ein Blick zurück. Es war zuletzt nicht nur wegen Corona wenig zu hören von dem gebürtigen Starnberger, der 2019 von der LG Stadtwerke München zum TSV Gräfelfing gewechselt war, mit seiner ganzen Laufgruppe und den Trainern Peter Rabenseifner und Korbinian Mayr. Mit denen hat er zuletzt intensiver arbeiten können als üblich, sicher "ein Vorteil", aber Trefz ist weit davon entfernt, in der Corona-Pause etwas Gutes zu sehen. "Es war eine schreckliche Zeit", sagt er, "ganz ganz schlimm". Zu den allgemeinen Corona-Sorgen kamen die sportlichen. Schon 2019 habe ihn eine Verletzung kurz vor den deutschen Meisterschaften darum gebracht, sich für seine Arbeit zu belohnen, dann die Absage der Olympischen Spiele 2020, "ein Riesenrückschlag". Dazu kam dann eine Achillessehnenentzündung. "So wenig Spaß hatte ich noch nie", sagt er im Rückblick. "Und ich musste bangen, wie es mit den Sponsoren aussieht." Alles sei bis zu den Spielen 2020 vereinbart gewesen, "das war eine riesige Unsicherheit".

Heute weiß Trefz, dass fast alle Unterstützer bei ihm blieben, die Bundeswehr, die ihn weiter in der Sportfördergruppe beließ, obwohl die Ergebnisse fehlten, die privaten Sponsoren und der Hauptsponsor des TSV Gräfelfing. "Ich hatte Glück, und ich muss dankbar sein."

"Ohne ein Ziel macht es keinen Sinn, aber wenn man immer nur an Olympia denkt, verliert man den Spaß am Sport ganz aus den Augen."

Aus diesem Grund nahm er auch an den deutschen Meisterschaften 2020 teil, obwohl er nach der Achillessehnenverletzung und anschließenden Rückenproblemen nicht in Form war: weil er auch dem Deutschen Leichtathletik-Verband dankbar dafür war, ihnen überhaupt noch einen solchen Wettkampf zu ermöglichen. Er wurde Vierter, erwartungsgemäß weit hinter den eigenen Ansprüchen. "Durch eine ätzende Phase zu den Grundfesten des Sports zurückzufinden", darum sei es im vergangenen Sommer gegangen; zu merken, dass der Zusammenhalt unter den Sportlern in dieser Zeit sogar gewachsen sei, und das Glück zu spüren, als gemeinsames Training endlich wieder möglich war. "Ohne ein Ziel macht es keinen Sinn, aber wenn man immer nur an Olympia denkt, verliert man den Spaß am Sport ganz aus den Augen."

In Chorzow wird es nun wieder um Zeiten und um Ergebnisse gehen, um ganz entscheidende sogar. Die besten acht Staffeln in Polen qualifizieren sich für Tokio, weitere acht Plätze werden über Bestzeiten vergeben. Trefz ist einer von zwei bayerischen Teilnehmern, er wird entweder in der 4x400-Meter-Männerstaffel oder der 4x400-Meter-Mixed-Staffel starten. Die andere aus Bayern ist Amelie-Sophie Lederer (LG Stadtwerke), die für die 4x100-Meter-Frauenstaffel nominiert ist. Jeder Finalplatz wäre gleichbedeutend mit Tickets für Tokio, ansonsten müsste wenigstens noch eine schnelle Zeit her. Die deutschen Männer sind zurzeit 20. der Weltrangliste, das reicht also nicht. Und nach Chorzow gibt es kaum noch Gelegenheiten zu einer Verbesserung. Ende Mai ist Team-EM, dann die deutsche Meisterschaft. "Das höchste Ziel ist Olympia", so viel ist Trefz klar. Er war noch nie dabei.

Sein letztes Ziel aber soll ein anderes sein: Bis zu den Europameisterschaften 2022 in München will er auf alle Fälle weitermachen. "Bis dahin geht mein sportlicher Plan", sagt er, "hier vor Freunden und Familie zu laufen, das wäre ein Riesen-Highlight". Doch letztlich geht es auch jetzt in Chorzow schon ein bisschen um diese Heim-EM, denn ohne einen Olympiastart, fürchtet er, könne seine künftige Förderung gefährdet sein, und ohne das Profidasein, wie er es im Moment führen darf, wäre dann auch die EM-Qualifikation schwieriger zu erreichen.

Ganz am Ende wird es ihm vielleicht trotzdem so gehen wie seinem langjährigen Freund und Trainingspartner Tobias Giehl. Als dieser 2019 seine Karriere als Hürdenläufer beendete, habe er resümiert, dass es nicht die Erfolge seien, die blieben, sondern der Spaß, den man unterwegs zusammen hatte. Giehls Worte seien ihm in der schwierigen Zeit in den Sinn gekommen, sagt Trefz, "das hat mir sehr geholfen". Wie man sich im Training "gegenseitig pusht und über das Limit hinaustreibt", das genießt Johannes Trefz seitdem wieder sehr bewusst.

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