Kunstradfahren:An die Weltspitze gelenkt

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Steinhörings Kunstrad-Vierer mit Trainerin Irmtraut Wirth hofft in Stuttgart auf den sechsten WM-Titel in sieben Jahren

Von Philipp Jakob, Steinhöring

Schon vor der anstehenden Weltmeisterschaft im Kunstradfahren ist sich Irmtraut Wirth einer Sache sicher: Dieses Jahr werde es keinen Autokorso durch Steinhöring geben. Dabei stehen die Chancen nicht schlecht, dass es nach dieser WM, die von Freitag bis Sonntag in Stuttgart stattfindet, einiges zu feiern gibt - mal wieder. Es ist längst Tradition geworden, dass Jahr für Jahr ein Tross hupender Cabrios durch die 4000-Seelen-Gemeinde bei Ebersberg zieht, um die Erfolge des RSV zu feiern. Gelegenheiten gab es reichlich. 2015 etwa gewann Steinhörings Kunstrad-Vierer die WM in Malaysia, bereits der fünfte Titel in den vergangenen sechs Jahren. Kein Wunder, dass die vier Frauen auch in Stuttgart als Favoriten starten und als Ziel die Titelverteidigung ausgesprochen haben. Dennoch: Höchstens ein Empfang im Rathaus sei geplant. Und später, im Januar, ein gemeinsames Fest.

Irmtraut Wirth ist mit all dem - Autokorsos, Bürgermeisterempfänge und Kunstradfahren - bestens vertraut. Die 75-Jährige hat den RSV Steinhöring 1979 gegründet und seitdem als Trainerin von einem Erfolg zum nächsten begleitet. "Wenn ich mal Zeit habe, würde ich mich gerne hinsetzen und alle Titel zählen", sagt Wirth lachend. Mehr als 100 deutsche Meisterschaften plus mehrere Siege bei Europa- und Weltmeisterschaften haben sich im Laufe der Jahre angesammelt. Allerdings: Wirth hat keine Zeit. Wie seit Generationen steht sie sieben Tage die Woche mehrere Stunden lang in der Halle, um Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen die Feinheiten des Kunstradfahrens beizubringen. Ein Ende ist für sie nicht in Sicht: "Solange ich es gesundheitlich schaffe, mache ich weiter."

Und hoch das Rad: Der aktuelle Vierer des RSV (v.li. Ramona Ressel, Katharina Gülich, Ramona Strassner, Christine Posch) will WM-Gold. (Foto: Wilfried Schwarz/oh)

Ihr Antrieb ist neben den vielen Erfolgen vor allem die Arbeit mit jungen Menschen. "Mir gefällt das einfach", lautet die simple Antwort auf die Frage, warum Wirth auch nach 37 Jahren die Lust am Trainerjob noch nicht verloren hat. Ihr großes Ziel sei es, Jugendlichen einen Ort zu bieten, an dem sie sich wohlfühlen können. Das klappe offenbar ganz gut, "die Halle ist ständig voll", sagt Wirth. Insgesamt zählt der Radsportverein 48 aktive Mitglieder.

Wirth selbst saß mehr als 20 Jahre lang im Sattel. Nach einem Umzug nach Steinhöring trainierte die gebürtige Norddeutsche zunächst in Ebersberg. Als Steinhörnig eine Turnhalle bekam, beschloss sie, einen eigenen Verein zu gründen. Seitdem hat sie ihren Sport stetig vorangebracht, nicht nur in Steinhöring. Die Immobilienmaklerin gehört einem Förderverein an, der es sich zur Aufgabe macht, Hallenradsport weltweit zu entwickeln. Seit 13 Jahren reist sie regelmäßig in die Slowakei und nach Tschechien, um auch dort Teams im Kunstradfahren weiterzubilden. "Das ist ein bisschen Nachhilfeunterricht", erklärt sie, eine Art Entwicklungshilfe, damit diese Nationen zur Weltspitze aufschließen können.

Generationen von Kindern hat Irmtraut Wirth, 75, in Steinhöring Kunstradfahren beigebracht. Ans Aufhören denkt die Trainerin noch lange nicht. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Damit macht Wirth zwar die eigene Konkurrenz stark, doch gleichzeitig bringt sie die Sportart voran. Und ihr großer Wunsch wäre, dass diese mal olympisch wird. "Wir arbeiten viel daran", sagt sie, schiebt jedoch frustriert hinterher: "Ich bin eigentlich Optimist, aber in diesem Fall bin ich ein totaler Pessimist." Der Sportart fehlt Popularität. Bemühungen, dies zu ändern, gibt es einige. Wirth organisiert immer wieder Showfahrten, die gut ankommen. "Die Leute stehen vor Begeisterung fast auf den Tischen", sagt sie. Trotzdem kommt die Sportart nicht aus ihrer Nische heraus.

Immerhin: Bei der WM in Stuttgart erwartet sie eine volle Halle, anders als in Malaysia, wo viele Tribünen leer blieben. Aus Steinhöring reisen knapp 100 Fans an. Schon 2010 fand die WM im Schwabenländle statt, über drei Tage verteilt kamen 18 000 Zuschauer. "Es ist schon etwas ganz Besonderes, vor so einem Publikum zu fahren", weiß Wirth. "Auf der einen Seite ist es aufregend, auf der anderen genießt man das." Das gelte auch für sie als Trainerin.

Katharina Gülich und Ramona Strassner kennen die Atmosphäre in Stuttgart bereits, sie sicherten sich dort vor sechs Jahren mit dem Vierer des RSV Steinhöring Gold. Nun bilden sie mit Ramona Ressel und Christine Posch ein Team. Beide sind ebenfalls mit Weltmeistertiteln dekoriert, doch in dieser Formation tritt Steinhöring erstmals an. Die Sache wird also kein Selbstläufer. "Die Schweiz ist unser größter Konkurrent, die halten auch den Weltrekord", sagt Wirth. Vor kurzem stellte Steinhöring eine neue Bestmarke auf, doch die Schweizer knackten sie postwendend. Nun soll sich das Blatt wieder drehen, der Weltmeistertitel soll in Steinhöring bleiben. Ordentlich feiern lässt es sich auch ohne Autokorso.

© SZ vom 02.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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