Kunstrad:Gute Aussicht in Johor Bahru

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Steinhörings Vierer hofft bei WM in Malaysia auf Gold

Von Andreas Liebmann, Steinhöring/Oberschleißheim

Um die Qualität einer sportlichen Leistung zu beurteilen, ist Dieter Bohlen womöglich nicht allererste Wahl. Interessant war es dennoch, als vor einigen Tagen ein Brüderpaar in der Show "Das Supertalent" auftauchte und die Fernsehscheinwerfer zu dieser Gelegenheit eine sportliche Nische streiften. Felix und Florian Blümmel aus Ludwigshafen hatten eine umjubelte Kunstrad-Kür gezeigt, sie waren 2009 und 2010 jeweils WM-Zweite für den RCV Böhl-Iggelheim, und Jury-Chef Bohlen, der Derartiges offenbar noch nie gesehen hatte, schwärmte: "Mit dem Zeug könntet ihr wirklich in jeder Las-Vegas-Show auftreten. Das sieht echt international klasse aus, was ihr da macht!"

Nun, die beiden fuhren eben Kunstrad. Mit mehr Schminke und Glamour als in Sporthallen üblich, aber demselben akrobatischen Repertoire. Wie auch Stefanie Dietrich und Robert Schmidt vom RSV Schleißheim das tun, oder Katharina Gülich, Christine Posch, Ramona Ressel und Michaela Schweiger vom RSV Steinhöring. Sie alle sind zurzeit in Johor Bahru, an der Südspitze Malaysias, sie starten an diesem Wochenende bei den Weltmeisterschaften. Gülich hat dort gute Chancen, mit ihrem Kunstrad-Vierer aus dem Landkreis Ebersberg ihren fünften Weltmeistertitel zu gewinnen. Ob sie optimistisch sei? Klar, muss man sein, sagte sie nach dem ersten Training dort. Bis zu ihrem Start am Samstagmorgen ist auch noch etwas Zeit.

Die Steinhöringer haben Routine in solchen Expeditionen, Katharina Gülich und Christina Posch etwa traten vor vier Jahren schon im japanischen Kagoshima an. Bei Stefanie Dietrich und Robert Schmidt ist das anders. Erstmals in der Geschichte des Vereins ist der RSV Schleißheim bei einer WM vertreten, favorisiert ist ihr Duo nicht; die beiden hatten sich das zweite deutsche Ticket hinter den aktuellen Weltmeistern André und Benedikt Buchner vom RSV Klein-Winternheim gesichert, in ihrem ersten Jahr bei den Erwachsenen hatten sie sich überraschend in einem Qualifikationsdreikampf gegen deutsche Spitzenfahrer durchgesetzt - trotz eines Sturzes bei den deutschen Meisterschaften.

Am späten Montagabend Ortszeit kamen sie an, auch die Steinhöringerinnen, die tags darauf die Arena besichtigten, die den eingängigen Namen Perbandaran Pasir Gudang Indoor Stadium trägt und einige Tausend Zuschauer fasst. Sie packten die großen Pakete wieder aus, in denen sie ihre Ausrüstung auf die Reise geschickt hatten, bauten die Räder zusammen - und bestiegen ein Taxi, um ein Shopping-Center aufzusuchen. "Wir haben ordentlich eingekauft", berichtete Gülich. Viele kleine Gassen gebe es, aber auch ziemlich hohe Häuser in der Hauptstadt des Bundesstaates Johor, in der Ferne könne man Singapur sehen, das nur wenige Kilometer entfernt liegt, die Aussicht aus dem Hotelzimmer sei gut - es liegt im 15. Stock. Besonders der chaotische Linksverkehr hat die jungen Frauen aus der 4000-Einwohner-Gemeinde Steinhöring beeindruckt.

Aber der Bund Deutscher Radfahrer hat das Quartett nicht als Touristen mitgenommen, das ist auch nicht der Anspruch der Steinhöringerinnen. Der Verein ist es gewohnt, nationale und internationale Titel zu holen. Der langjährigen Erfolgstrainerin Irmtraut Wirth gelingt es trotz wechselnder Besetzungen immer wieder, vor allem weibliche Formationen an die Spitze zu führen. Schon 2001 und 2002 war Steinhörings Kunstrad-Vierer Weltmeister, zwischen 2010 und 2013 dann viermal in Serie, 2010 noch mit Sonja Mauermayer, Ramona Strassner und Ruth-Maria Weiand, ein Jahr später kam Posch dazu, 2013 Anna Sporer. Im Jahr 2014 ließ der RSV eine WM aus, der Wechsel auf Ramona Ressel und Michaela Schweiger musste gemeistert werden. Nun sind sie wieder Favoriten. Am Mittwoch war erstes Training, Kennenlernen des Bodens, der elementar, oft auch überraschend ist. Gülichs Eindruck: "Ganz gut, wir werden uns daran gewöhnen."

Allerdings dürfte es keine klare Angelegenheit werden, auch die Schweiz hat gute Chancen. Im Kunstradfahren werden Küren mit einer bestimmten Punktzahl eingereicht, die sich aus dem Schwierigkeitsgrad ermisst; für jedes missratene Element und jeden Wackler gibt es Abzüge. Ein Sturz kann alle Träume platzen lassen. Es ist schnell passiert, dass mal zwei Lenker aneinandergeraten. Und die Schweizer Kür weist nahezu dieselbe Punktzahl auf. Wobei sich Gülichs Zuversicht auch auf die Generalprobe stützt: Beim Nationencup vor eineinhalb Wochen mit Deutschland, Österreich und der Schweiz gewann das deutsche Team, die Schweizerinnen hatten zwar eine höhere Punktzahl eingereicht, nach einem Sturz blieben jedoch zwei Punkte weniger als Steinhöring.

Übersichtlich wird die Konkurrenz allemal. In dieser Nischendisziplin treten nie allzu viele Nationen an, und immer wenn es mal etwas weiter weggeht, wird es kleinen Verbänden rasch zu teuer, weiß Gülich. Weshalb überhaupt nur vier Vierer am Start sind. Eine Medaille sollte also im Bereich des Möglichen sein. Und falls es mit dem Titel nicht klappt, bliebe ja immer noch Las Vegas.

© SZ vom 19.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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