Kendo:Holzschwert am Nagel

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Als Europameisterin geht die Münchnerin Lissa Meinberg in vorzeitigen Ruhestand - mit 26. Treu bleiben will sie ihrem Sport dennoch.

Von Oliver Götz, München

Vor Kurzem bekam Lissa Meinberg mal wieder eine Medaille verliehen. Nur musste sie diesmal gar nichts dafür tun, außer still dasitzen, ein bisschen Small Talk machen und zur rechten Zeit die Bühne in Münchens Altem Rathaus betreten. Dort ehrte die Stadt ihre erfolgreichsten Sportlerinnen und Sportler des vergangenen Jahres. Darunter Meinberg, Einzeleuropameisterin in der japanischen Kampfsportart Kendo. "Die EM-Medaille beutetet mir natürlich ein bisschen mehr", antwortete sie am Abend auf die Frage, was nun die schönere Auszeichnung sei. Und fügte schmunzelnd an: "Da gab es auch noch einen Pokal dazu."

Am 26. Mai in Belgrad war das. Es ist also schon ein Weilchen her. Die Erinnerungen an ihren größten sportlichen Triumph sind aber noch frisch, als wäre das Turnier erst gestern gewesen. Nach "Emotion pur" habe es sich angefühlt, "als die ganze Mannschaft dastand und eine La Ola gemacht hat, durch die ich durchgegangen bin", erzählt sie. Es war der Moment, in dem Meinberg überhaupt erst realisierte, dass sie gerade Europameisterin geworden war. "Ich war sehr ruhig und fokussiert. Das war am Ende auch der Schlüssel, dass ich mich immer nur auf den jeweiligen Kampf konzentriert habe." Da kann es vorkommen, dass man kurz vergisst, nach einem Sieg im letzten Duell ja auch gleichzeitig die Gesamterste zu sein.

Nicht, dass Meinberg es nicht gewohnt wäre, auf dem Treppchen zu stehen. Mit der Mannschaft war sie schon Europameisterin und einmal Dritte bei der WM. Aber bei internationalen Meisterschaften auch im Einzel ganz vorn zu landen, das sei jetzt das erste Mal gewesen. Darauf hat die Münchnerin lange genug hingearbeitet. Mit acht Jahren hatte sie zum ersten Mal eines der markanten Holzschwerter in der Hand, mit denen im Kendo gekämpft wird. "Meine Mutter und mein jüngerer Bruder hatten da schon mit der Sportart begonnen, dann kam eines zum anderen und ich bin hängen geblieben", erinnert sich die heute 26-Jährige. Lissa Meinbergs Mutter ist Japanerin. Dort gilt Kendo als Nationalsport. "Jeder Polizist macht in Japan Judo oder Kendo", weiß Lissa Meinberg.

Die Wurzeln des Kendos liegen in den Kampfkünsten der Samurai – nicht zuletzt die Arbeitskleidung der Akteure zeigt das deutlich. (Foto: Yegor Aleyev/imago)

Kendo, das frei ins Deutsche übersetzt so viel bedeutet wie "der Weg des Schwertes", geht in seinen Ursprüngen auf die Kampfkunst der Samurai zurück. In den Duellen werden unter anderem eine Art japanischer Hosenrock, ein traditioneller Trainingsanzug und ein bisweilen martialisch anmutender Kopfschutz getragen. Einen Kampf gewinnt, wer zuerst zwei Treffer erzielt hat oder einen in der vorgeschrieben Kampfzeit. Die variiert je nach Turnier zwischen drei und fünf Minuten.

Ob es einen Punkt gibt, sprich der Treffer zählt, entscheiden drei Schiedsrichter im Mehrheitsprinzip. "Im Gegensatz zum Fechten ist es beim Kendo nicht entscheidend, ob du triffst, sondern wie du triffst", erklärt Meinberg. Mit der richtigen Schwertfläche zum Beispiel. Und eine der vier vorgeschriebenen Stellen am Körper des Gegners: Kopf, Kehle, Unterarm und Rumpf. Dazu muss "eine Intention zu treffen" erkennbar sein. "Und man muss die Situation unter Kontrolle haben."

In Belgrad hat das bei den Frauen keine so gut hinbekommen wie Lissa Meinberg. Ihr erster EM-Einzeltitel wird aber sogleich ihr letzter sein. Mitte des vergangenen Jahres, also kurz nach ihrem Titelgewinn, beendete sie ihre bis dato zehnjährige Nationalmannschaftskarriere. "Kendo ist einfach sehr zeitintensiv, wenn man es ordentlich machen will." In den Hochzeiten absolvierte sie zwei bis drei Trainingseinheiten pro Woche. Dazu kamen jedes zweite oder dritte Wochenende ein Kadertraining oder Turniere. Das lässt sich jetzt mit dem Jobeinstieg nicht mehr vereinbaren." Bauingenieurwesen hat Meinberg studiert und arbeitet jetzt als Produktmanagerin bei einem Münchner Startup.

Lissa Meinberg, hier bei der Sportlerehrung der Stadt München, hat schon als Achtjährige mit diesem Sport begonnen. (Foto: Florian Peljak)

Sich ganz aus ihrem Sport zurückziehen, das kommt für die Münchnerin nicht infrage. "Nein, niemals würde ich damit aufhören", versichert sie. Für den Kendo München e.V. will sie auch in Zukunft zu Wettkämpfen fahren, zumindest sobald das wieder möglich ist. "Bei den deutschen Meisterschaften trete ich weiter an." Und Ziele hat sie auch noch: "Beim Kendo hört das Lernen nie auf, das ist ja überhaupt das Schöne und Spannende an Kampfsportarten." Ihr kurzfristiges Bestreben sei es nun, den nächsten Dan-Grad zu erreichen, den fünften. Acht gibt es insgesamt. Mittel- bis langfristig will sie dann auch selbst Training geben und "neue Leute für den Sport begeistern". Es sei diese besondere Philosophie, die Kendo so faszinierend mache, "dass du Respekt deinem Gegner gegenüber hast, dich in Geduld übst, trainierst, ruhig zu bleiben". Da nehme man auch "viel fürs Leben mit". Durch den Kampfsport sei sie "im Alltag wesentlich stressresistenter geworden".

Erst im Januar war Lissa Meinberg wieder in Japan, zum Familienbesuch, wie eigentlich jedes Jahr. Vor drei Jahrzehnten war ihre Mutter als Germanistik-Studentin nach Deutschland gekommen, Lissa Meinberg hat viele Freunde und Verwandte in Japan. Alles sei dort vollplakatiert gewesen mit Olympia, erzählt sie, im Fernsehen waren die Spiele bereits das alles beherrschende Thema. Deshalb könne sie schon nachvollziehen, dass man sich schwer damit getan habe, die Spiele zu verschieben oder gar abzusagen. Zumal das Virus in den Köpfen der Bevölkerung offenbar noch gar keine so dominante Rolle einnehme wie in Europa, im täglichen Leben spiele das noch kaum eine Rolle. Das sei zumindest ihr Eindruck aus den Gesprächen mit Freunden und Verwandten, was natürlich nur eine sehr eingeschränkte Sicht sei. Sie ist nun sehr froh, dass bei den Organisatoren ein Umdenken stattgefunden hat. "Wenigstens die Politiker müssen ja wahrnehmen, was in der Welt abgeht", sagt sie, "und das Gemeinwohl ist wichtiger als ein Turnier." Sie ist froh, dass nun eine Verschiebung und keine Absage verkündet wurde, "dann bekommt Japan noch die Aufmerksamkeit, die es sich verdient hat".

Kendo ist nicht olympisch, doch es gab durchaus eine Debatte darüber, ob es nicht längst Zeit wäre, das zu ändern. Tokio wäre der perfekte Anlass gewesen. "Es gibt die eine Front, die das unterstützt, die Kendo noch bekannter machen will", erklärt Meinberg. "Andere haben Angst davor, dass die Regeln umgestaltet werden, damit es für den Fernsehzuschauer leichter zu verstehen ist. Ähnlich, wie es beim Fechten oder im Judo passiert ist." Meinberg teilt diese Bedenken. Es würde schon "sehr, sehr viel verloren gehen", urteilt sie. Aber sie würde auch dann nicht mehr für Deutschland um eine Medaille kämpfen, wenn Kendo olympisch wäre. Sie hat ja auch schon genug. "20 oder so", sagt sie. "Ich habe sie noch nie genau gezählt."

© SZ vom 26.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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