Haching, Bayern, 1860:"So ein Leben musst du echt wollen"

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Der große Traum vom Fußballprofi: Christoph Ehlich, Theo Rieg und Moritz Heigl über Arroganz, Tränen, die Bundeskanzlerin, fehlende Freizeit und Grenzüberschreitungen.

Interview von Stefan Brunner

Der Übergang in den Erwachsenenbereich ist für Jugendliche keine einfache Phase, für die 19-jährigen Christoph Ehlich, Moritz Heigl und Theo Rieg hält sie eine besondere Herausforderung bereit. Alle drei sind große Fußballtalente und stehen nun an der Schwelle zum Profibereich. Ehlich hat einen Vertrag bis 2020 für die erste Mannschaft des Drittligisten Unterhaching, macht parallel eine Ausbildung zum Kaufmann. Heigls Vertrag beim TSV 1860 läuft aus, noch ist nicht klar, ob die Löwen kommende Saison eine zweite Mannschaft aufbieten. Und Rieg, der wie Heigl das Abitur in der Tasche hat, muss noch eine Kreuzbandverletzung auskurieren. Ihm liegt aber ein unterschriftsreifer Vertrag des FC Bayern München vor, der neue U 23-Trainier Holger Seitz plant mit ihm. Drei hoffnungsvolle Hochleistungssportler im Niemandsland zwischen Amateur- und Profifußball, ein Gespräch mit Jungs, die keine Zeit haben, mit Freunden an der Isar zu grillen.

SZ: Wie fühlt es sich an, für Unterhaching, 1860 München oder Bayern zu spielen?

Moritz Heigl: Ich bin schon sehr stolz, dass ich die ganze Jugend bei 1860 durchlaufen habe. Die Ausbildung ist hoch angesehen.

Theo Rieg: Als ich aus Aalen in die U19 der Bayern kam, war ich einfach nur glücklich.

Christoph Ehlich: Wenn Freunde sagen: "Du bist jetzt beim Computerspiel Fifa dabei, ich spiele gerade mit dir" - dann geht ein Traum in Erfüllung. Als ich mit 15 Jahren bei 1860 rausgeflogen bin, konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich es danach mit Unterhaching einmal so weit bringe.

Warum wird man als 15-Jähriger aus einem Fußballverein geschmissen?

Ehlich: Am Ende der Saison gab es bei Sechzig ein Übernahmegespräch. Ich war ja schon so lang im Verein, habe immer gespielt und dachte: Klar übernehmen die dich. Doch dann hieß es nur: "Du bist zu klein."

Zu klein? In Zeiten von Messi?

Ehlich: Ich fand es einfach lächerlich. Schon für einen Stürmer gilt etwas anderes als für einen Verteidiger.

Rieg: Und selbst da variiert es stark. Innenverteidiger Sergio Ramos von Real ist 1,83 Meter. Wenn du heute als Innenverteidiger in der Jugend 1,83 bist, schaut mancher schon skeptisch. Ich glaube, dass jeder mit gewissen Fähigkeiten durchstarten kann.

Heigl: In der U 15 mussten wir oft gegen 1,90-Meter-Typen spielen. Die waren zu dieser Zeit richtig gut. Viele, die früher allen anderen körperlich überlegen waren, tauchen heute aber nicht mehr auf, wurden von den damals Kleinen eingeholt.

Gab es Tränen?

Ehlich: Ich war kurz davor. Draußen habe ich dann geweint.

Wie sensibel darf ein Fußballer sein?

Rieg: Im Fußball geht es schon darum, Stärke zu zeigen. Dabei ist jeder verwundbar und hat seine Schwächen.

Ehlich: Man möchte gern einfach nur als Fußballer bewertet werden.

Robert Simon, Chefscout im Nachwuchsleistungszentrum des TSV 1860 München, hat in einem Interview gesagt, auch Wert auf die Persönlichkeit zu legen.

Rieg: Man braucht auf jeden Fall Selbstbewusstsein und die Überzeugung, dass man es schaffen kann. Wenn ich zurückdenke, wie viele Menschen an meinem Weg gezweifelt haben.

Heigl: Man muss es ernsthaft durchziehen, sonst hat man keine Chance. Was viele dabei nicht sehen: Es ist nicht alles cool im Training. Bei Christian Wörns haben wir jede Woche Läufe gemacht. Sidesteps, Sprünge, Richtungswechsel, Sprints - alles so schnell wie möglich ausführen. Wir mussten teilweise über unsere Grenzen gehen.

Ehlich: Ich habe so einen Lauf gemacht. Da war ich die nächsten drei, vier Tage kaputt.

Heigl: Es macht nicht immer nur Spaß. Aber Fußball ist unsere Leidenschaft, unser Leben. Und am Wochenende, wenn wir spielen, sind wir glücklich.

Auch wenn sich die Freunde gleichzeitig zum Grillen an der Isar treffen?

Rieg: Weggehen können wir schon auch, aber halt eher in den Pausen im Sommer und im Winter. Dafür erleben wir so viele andere Sachen. In diesem Jahr DFB-Pokal gegen Dortmund, Youth League (Champions League der U19, d. Red.) gegen Real Madrid, Spitzenspiel in der Bundesliga gegen Hoffenheim. Du stehst dann auf dem Platz und siehst, dass es sich lohnt.

Heigl: Wirkliche Freizeit hat man aber keine mehr. Man trainiert, lernt, isst, schläft; viel mehr geht nicht.

Rieg: So ein Leben musst du echt wollen.

Bleibt Zeit für eine Freundin?

Ehlich: Das ist schon schwer. Ich muss jeden Tag um fünf Uhr aufstehen, und bin dann meistens bis acht, neun Uhr abends weg. Bei einem Samstagsspiel hast du vielleicht mal den Sonntag Zeit für sie.

Heigl: Es geht aber. Ich sehe meine Freundin jeden Tag.

„Man trainiert, lernt, isst, schläft“: Christoph Ehlich, Theo Rieg und Moritz Heigl (v.l.) vor dem Gespräch im SZ-Foyer. (Foto: Stephan Rumpf)

Rieg: Bei mir ist das noch einmal etwas anderes, da ich ja im Internat wohne, mit 30 anderen. Man darf nur die Familie mit reinbringen, selbst bei Tanten und Cousinen wird schon mal genauer nachgeschaut.

Ist die Trennung von der Familie schwer?

Rieg: Das ist der große Knackpunkt, da muss jeder durch. Das erste halbe Jahr habe ich mir oft gedacht, dass ich gern auch zu Hause sein würde.

Auch mal daran gedacht, das Fußball- Karriere-Projekt wieder zu kippen?

Rieg: Ja, so eine Phase gab es. Aber am Ende weiß man, dass man für den Traum vom Profifußballer auch Opfer bringen muss.

Als Sie sich jetzt das Kreuzband gerissen haben, war das so ein Moment?

Rieg: Das war sicher eine der schwersten Phasen, die ich in meinem Leben hatte. Mit einer Aktion ist man plötzlich sechs Monate draußen. Du spinnst Szenarien durch: Was ist, wenn dein Knie nicht mehr wird?

Heigl: Wir haben einen Sportpsychologen, zu dem wir jederzeit gehen können. Er kommt zweimal pro Woche. Auch wenn ich das bisher nicht wahrnehme: Es tut gut zu wissen, dass ich zu ihm gehen könnte.

Rieg: Wir haben auch einen Sportpsychologen. Ich spreche regelmäßig mit ihm, ein- bis dreimal im Monat. Auch dann, wenn es gut läuft. Es geht um vieles, um Privates, und um die Zeit vor und nach dem Spiel.

Wann hat es Ihnen geholfen?

Rieg: Ich habe mir früher, auch schon in der Nacht vor einem Spiel, sehr viele Gedanken gemacht. Mit seiner Hilfe habe ich eine Routine gefunden, die mir bei Anpfiff das Gefühl gibt, die meiste Kraft zu haben.

Ehlich: Bei uns kann man bei Problemen auch gut mit den Jugendtrainern sprechen. Das habe ich jetzt erst gemacht. Es ging um meine Zukunft.

Karriereplanung im Club?

Heigl: Bei uns gibt es öfter Vorträge von der Vereinigung der Vertragsfußballspieler, der Spielergewerkschaft. Die besprechen dann mit uns, wie man sich absichern kann, wenn man mal viel Geld verdient. Oder wie man von der Berufsgenossenschaft Geld zurückbekommt, wenn man aufgrund des Fußballs Folgeschäden hat.

Empfiehlt Ihnen der Club einen Schulabschluss?

Rieg: Beim FC Bayern wird im Internat großer Wert darauf gelegt. Allen, die noch unter 18 und schon mit der Schule fertig sind, werden Praktika oder Ausbildungsplätze angeboten. Einige machen sogar Abitur. Wenn man sich dafür entscheidet, dann bekommt man Unterstützung, zum Beispiel Lehrer, die nach dem Abendessen und am Sonntag Nachhilfe geben. Schule war für mich auch ein Ausgleich, nicht nur immer Fußball, Fußball, Fußball.

Ehlich: Bisher habe ich vom Fußball aber mehr gelernt als von der Schule.

Heigl: Bei Sechzig hat keiner zu uns gesagt, dass wir jetzt unbedingt Abitur machen sollen. Aber man merkt, dass Trainer und der Nachwuchsleiter es nicht cool finden, wenn man nichts macht. Als wir kleiner waren, gaben wir sogar unsere Zeugnisse ab. Waren die mal richtig schlecht, mussten wir betreut lernen, anstatt zu trainieren.

Ehlich: Mir zum Beispiel hat der Verein angeboten, parallel die Ausbildung zum Bürokaufmann zu machen.

Wie wichtig ist ein Plan B?

Heigl: Es ist wichtig, dass wir auch noch etwas anderes auf dem Kasten haben. Timo Heinze hat ein gutes Buch geschrieben: "Nachspielzeit - eine unvollendete Fußballkarriere". Er war Jugendnationalspieler und Kapitän der Bayern-Amateure, ein richtig guter Fußballer. Dann hat er sich so stark verletzt, dass er nicht mehr auf entsprechendem Niveau spielen konnte.

Rieg: Du weißt halt nie, was kommt. Es kann so schnell etwas passieren.

Heigl: Es ist auch wichtig, dass man sich ausdrücken kann. Kindern ein Vorbild ist. Weiß, wie die Bundeskanzlerin heißt und sich ein bisschen in der Welt auskennt. Viele Fußballer machen ein Fernstudium. Auch mein Ziel ist, noch zu studieren.

Rieg: Man kann aber auch ohne Schulabschluss ein super Fußballer sein. Liverpools Mohamed Salah hat, wie ich gelesen habe, die Schule früh beendet. Es kommt weniger auf die Schulbildung an, als darauf, welchen Charakter man hat.

Fußballweltmeister Thomas Häßler oder Ailton, deutscher Meister und Bundesliga-Torschützenkönig, waren im Dschungelcamp. Da lief wohl was schief?

Rieg: Es ist wichtig, wie man in der Zeit, in der es einem gut geht, mit seinem Geld umgeht. Welche Menschen man um sich hat.

Welche Rolle spielen die Agenturen und Berater, an die Sie sich gebunden haben?

Ehlich: Jeden Montag treffen wir uns bei meiner Agentur im Büro. Wir reden darüber, was während der Woche passiert ist. Auch nach dem Spiel telefonieren wir, bestimmen die Ziele fürs nächste Spiel.

Rieg: Sie erledigen für mich das Geschäftliche, führen die Vertragsverhandlungen. Da wollen wir Spieler auch gar nicht dabei sein. Für mich sind sie sehr wichtig, auch menschlich. Sie helfen, sind sehr ehrlich, kritisieren.

Wann kritisieren sie denn?

Rieg: Einmal zum Beispiel, als es richtig gut lief. Es gibt einen Punkt, an dem du als Spieler das Träumen anfängst und den Bezug zur aktuellen Situation zu verlieren drohst. Da haben die mich wieder heruntergeholt und mich daran erinnert, worauf es ankommt.

Ehlich: Wenn es gerade besonders gut läuft, dann sagen sie dir, du bist auf dem richtigen Weg. Aber mach nicht den Überflieger, bleib, wie du bist.

Gibt es viel Arroganz im Spitzenfußball?

Ehlich: Bei uns ist keiner besonders abgehoben. Alle sind sehr bodenständig.

Rieg: Ich würde nicht sagen, dass bei uns jemand besonders arrogant ist, aber es gibt viele, die ein gesundes Selbstbewusstsein haben. Das ist allerdings wichtig.

Bayern-Präsident Uli Hoeneß sagte, Ziel des Klubs sei, Profis aus dem eigenen Nachwuchs zu entwickeln, es gibt das neue Leistungszentrum, ein Ansporn?

Rieg: Das klingt gut und ist eine zusätzliche Motivation. Aber wir jungen Spieler müssen letztlich selbst dafür sorgen, dass wir hochkommen. Bayern will uns die Möglichkeiten geben - wir müssen sie nutzen.

Gibt es Kontakt zu den Bayernprofis?

Rieg: Kimmich schaut öfter mal bei unseren Spielen vorbei. Robben und Neuer sehe ich dafür, wenn ich bei den Profis trainiere. Mit welchem Engagement und welcher Konzentration sie auch außerhalb des Platzes an sich arbeiten, da kann man nur staunen. Sie sind Vorbilder.

Heute Jugend, morgen Erwachsene, ein riesiger Schritt?

Ehlich: Ja, das ist ein großer Unterschied.

Heigl: Wir haben in dieser Saison zwei Bayernligen gleichzeitig gespielt, mit der U19 und der U21. Das kommt einem manchmal so vor, als wäre man in einer anderen Sportart, wenn man gegen Erwachsene spielt. In der Jugend versuchen die meisten Clubs, auf Ballbesitz zu spielen, schwierige Situationen mit Kurzpassspiel und technisch anspruchsvoll zu lösen.

Und wie lösen es die Männer-Teams?

Heigl: Mit Grätschen und Rumgebolze. Es geht nicht immer mit technisch schönen Lösungen, wie man es in der Jugend pflegt. Die Herren spielen viel körperlicher.

Und damit weniger freudvoll?

Heigl: Nein, es ist nur anders, macht deswegen aber nicht weniger Spaß.

Ehlich: Aber man merkt schon, dass die Gegenspieler anders drauf sind, gegen einen so jungen Spieler, da wird auch beleidigt: "Du brauchst gar nicht versuchen, hier vorbeizulaufen. Dann hau ich dich um!"

Heigl: Die Erfahrung habe ich in den U 21-Spielen gemacht. Da sind viele gestandene Männer dabei, die schon lang in der Liga spielen. Als junger Spieler muss man sich schon viel anhören und gefallen lassen, wie: "Jetzt geben wir noch mal Gas. Von den kleinen Scheißern lassen wir uns das nicht gefallen!"

Rieg: Meine Erfahrung ist, dass die Älteren vor allem dann patzig werden, wenn sie es mit Leistung nicht schaffen.

Steckt man solche Anfeindungen und Beleidigungen so einfach weg?

Ehlich: Das puscht einen sogar!

© SZ vom 04.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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