Glosse "Linksaußen":Von der Selbst- und Nächstenliebe

Lesezeit: 2 min

Süß - und ganz ohne Zucker: Adventskalender-Häuserschmuck in Ebersberg. (Foto: Christian Endt)

Am Montag beginnt der Endspurt im Türchen-Öffnen - einer Disziplin, die manchen Eltern Jahr für Jahr mehr graue Haare wachsen lässt. Auf dem Markt gibt es fast alles - und der FC Bayern besticht mal wieder als Premiumanbieter.

Von Sebastian Winter

Haben Sie kleinere Kinder und, weil an diesem Montag der Endspurt mit dem 21. Türchen beginnt, auch so langsam die Schnauze voll? Jene, die denken, sie tun ihrem Nachwuchs etwas Gutes, geben sich ja immer wieder größtmögliche Mühe, den Kleinen niedliche Säckchen ans Treppengeländer zu hängen. Fein nummeriert, mit Leckereien oder anderen kleinen Überraschungen darin. 48 Säckchen waren es diesmal, der Deal: Abwechselnd bekommt jedes Kind mal Süßigkeit, mal zuckerfreie Überraschung. Dramen wie im vergangenen Jahr, wo es nur 24 Säckchen gab, sollten unbedingt vermieden werden.

Und jetzt? Hat ein Kind eine fiese Beule an der Stirn (Treppe beim morgendlichen Wettlauf runtergefallen), das andere will eh nur Süßes ("Immer diese sch... Socken"). Es hatte schon schlecht angefangen, weil die Eltern den ersten Advent aus Versehen mit dem 1. Dezember gleichsetzten und hoch und heilig versprachen: Am ersten Advent geht's los, simsalabim, Türchen öffne dich. Es blieb dann leider doch noch zwei Tage zu, die Laune war prächtig. Nächstes Jahr, versprochen, gibt's Schoko- oder Haribo-Kalender, Hauptsache einheitlich. Oder mal nix.

Die Industrie ist ja ohnehin gnadenlos gut aufgestellt, alleine die heimischen Anbieter verkaufen jedes Jahr 80 Millionen Kalender. Nicht alle sind unbedingt im Sinne von Gerhard Lang, der 1904 den gedruckten Adventskalender auf den Markt brachte (auch die Idee, Schokolade hineinzupacken, stammt von ihm). Längst sind die Hersteller auch auf den Corona-Zug aufgesprungen. So gibt es den Fitness-Adventskalender für zu Hause, mit Übungen zum Freirubbeln. Eine Minute Skipping am 4. Dezember, 20 Kniebeugen am 9. Dezember und so weiter. Und an Heiligabend dann nochmal 60 Sekunden Hampelmann. Das wird im wahrsten Wortsinn sportlich: An Heiligabend zwischen Last-Minute-Geschenkverpacken, Baum schmücken und Braten zubereiten ein paar Hampelmänner, viel Spaß! Aber der gute Wille zählt. Und außerdem alles handgefertigt, für läppische 9.95 Euro - preiswerter als jede Mitgliedschaft beim Discountstudio, die sowieso seit neun Monaten ruht.

Der Saucen-Kalender von Heinz wäre auch eine Idee, mit Cream Honey Mustard, Mayo, Curry-Ketchup und anderen Delikatessen. Ein wahrer Renner ist der Selbstliebe-Adventskalender: Genauso teuer wie der Fitnesskalender, aber mit lustigerem Inhalt. Beispiel, Türchen 10: "Rufe heute jemanden an, den du lange nicht gesehen hast." Haha, nicht der schlechteste Corona-Witz. Oder: "Lächle heute mindestens drei fremde Menschen an." Muss man halt nur vor 21 Uhr machen, am besten mit Grinsemaske.

Da ist doch die SpVgg Unterhaching zu loben, die ja sowieso grade ein Dezemberhoch hat nach dem Derby-Remis gegen den FC Bayern II. In ihrem Online-Angebot ist der ehrliche Oldschool-Kalender, eine Holzbox mit Schokotalern. Oder der Kalender der Eishockey-Cracks des EHC. Keine Mini-Red-Bull-Dosen, sondern 24 Schokostückchen, Kakaogehalt 35 Prozent, hinter der Münchner Skyline. Beides für 12,95 Euro.

Der größte Angeber ist aber mal wieder der FC Bayern. Vier Kalender zur Auswahl! Ein Premium-Produkt für Erwachsene, ein Kinderkalender, ein Bastelkalender, ein Schokokalender. Zwar nur 32 Prozent Kakao, aber dafür mit Autogrammkartenset. Mit dem frisch gebackenen Weltfußballer Robert Lewandowski. Wer am 25. Dezember schon mal für nächsten Advent bestellt, bekommt bestimmt Rabatt. Und vielleicht schmeckt die Schokolade in einem Jahr so ranzig, dass die Kinder nie mehr einen Adventskalender haben wollen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: