Fußball-Toto-Pokal:Wie '76 in Belgrad

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Bayernligist TSV Dachau zwingt 1860 München im Achtelfinale ins Elfmeterschießen. Wenigstens da zeigt sich der Drittligist fehlerlos und gewinnt 6:5 - Trainer Bierofka ist dennoch sauer.

Von Marie Schneider und Ralf Tögel, Dachau

An dieser Stelle sei an Walter Matthau erinnert, oder an den grandiosen Fernandel. Schauspieler, die kaum Worte benötigten, um sich mitzuteilen. Keiner konnte so griesgrämig schauen wie das amerikanische Knittergesicht Matthau. Der französische Kollege überzeugte als Don Camillo seine Schäfchen allein mit seiner Mimik vom sonntäglichen Kirchgang. Auch im Sport gibt es Menschen, denen die Gefühlslage ins Gesicht geschrieben steht. Daniel Bierofka ist so einer. Also stand der Fußballtrainer des TSV 1860 München im Kabinentrakt des Stadions an der Jahnstraße zu Dachau und durchbohrte sein Gegenüber mit stechendem Blick. Die Frage, ob er seine Offensivkräfte Timo Gebhart und Sascha Mölders früher hätte einwechseln sollen, beantwortete er mit seinen Augen - ehe er ein kurzes "Ja" nachschob. Seine bebende Gesichtsmuskulatur sagte etwas anderes, etwas in der Art: Wieso um alles in der Welt sind meine gestandenen Drittligaprofis nicht in der Lage, ein Häuflein Feierabendkicker aus der Bayernliga in der regulären Spielzeit des Totopokal-Achtelfinales vom Feld zu fegen?

Immerhin reichte es zum Viertelfinaleinzug, was "das Wichtigste ist", wie Bierofka sagte. In einem qualitativ hochwertigen Elfmeterschießen leistete sich der Dachauer Sebastian Brey den einzigen Fehlschuss, und selbst der war sehenswert: Wie Uli Hoeneß in der Nacht von Belgrad (EM-Finale 1976) drosch er den Ball über die Querlatte in den Dachauer Abendhimmel; die Löwen gewannen nach torlosen 90 Minuten vor 2489 Zuschauern das Elfmeterschießen 6:5. Eine Verlängerung ist im bayerischen Verbandspokal nicht vorgesehen.

Fast wäre es doch noch passiert: Der eingewechselte Timo Gebhart (Mitte) setzt sich gegen Dachaus Merlin Höckendorff (links) durch und überwindet mit der letzten Chance des Spiels 1865-Keeper Maximilian Mayer – trifft aber nur das Außennetz. Es blieb beim 0:0 nach regulärer Spielzeit. (Foto: Toni Heigl)

Die passende Begleitung zu Breys Fehlschuss hatte Dachaus Mario Maric geliefert, der Löwen-Keeper Marco Hiller verlud und seinen Strafstoß wie Antonin Panenka ins Tor lupfte - ebenfalls in besagtem EM-Finale von Belgrad zum Sieg Tschechiens über Hoeneß-Deutschland. Der Dachauer Spielertrainer Fabian Lamotte, der selbst als Profi für Sechzig gekickt hat, wusste natürlich, dass dem Fehlschützen "keinerlei Vorwurf" zu machen sei. Lamotte war stolz auf sein Team, wie er noch wissen ließ, vor allem auf die "gemeinsame Abwehrarbeit". Der zwei Klassen tiefer notierte Gastgeber habe gezeigt, dass mit kollektivem Engagement auch einem Drittligisten beizukommen sei. Nun erhofft sich der 36-Jährige weiteres Selbstvertrauen für die Bayernliga, es laufe ohnehin zufriedenstellend. Die jüngste 0:5-Klatsche in Kottern lässt sich so jedenfalls leichter verdauen.

Dachau überzeugte läuferisch und kämpferisch. Vor allem Alexander Weiss, Hüseyin Ceker und Maric stopften unermüdlich Löcher, die TSV-Defensive machte den Abend für die Löwen zu einem unangenehm anstrengenden. Dachau riegelte den Strafraum regelrecht ab und lauerte auf Konter, dabei machten Brey und vor allem Ryosuke Kikuchi eine gute Figur. Den einen oder anderen Gegenstoß hätte sich Lamotte zielstrebiger beendet gewünscht, letztlich war er aber rundum zufrieden.

Was beim Kollegen aus der Landeshauptstadt nicht der Fall war. Bierofka bemängelte die Chancenverwertung und vermisste die nötige Gier bei seinen Spielern, um den unterklassigen Gegner in die Schranken zu weisen. Einmal mehr fehlte den Löwen ein Vollstrecker. Neuzugang Prince Osei Owusu, Leihspieler von Arminia Bielefeld, durfte wegen fehlender Spielberechtigung noch nicht mitmachen. So verschwand mit fortschreitender Spieldauer der Zweiklassenunterschied zusehends, zumal Bierofka einigen Spielern aus der zweiten Reihe eine Chance gab. In Pokalspielen ist so eine Annäherung ja keine Seltenheit, erinnert sei an den Bundesligisten FC Augsburg, der kürzlich beim Regionalligisten Verl aus dem DFB-Pokal flog. Jeweils zu Beginn der Halbzeiten drückten die Löwen auf die schnelle Führung, setzten den Gegner mit aggressivem Pressing unter Druck, eroberten Bälle, kombinierten aber wenig zielstrebig um den Dachauer Abwehrriegel herum.

Sechzig war spielerisch klar besser, dominierte das Spiel und hatte gefühlt immer Ballbesitz, ließ aber alle Chancen ungenutzt liegen. In Halbzeit eins scheiterte Markus Ziereis mit einem Kopfball an 1865-Keeper Mayer, Noel Niemanns Nachschuss auf das leere Tor wurde vor der Linie abgewehrt. Nach dem Wechsel verfehlte Efkan Bekiroglu mit einem Flachschuss knapp das Tor, Leon Klassen scheiterte erst mit einem Kopfball, dann mit einem wuchtigen Schuss aus 20 Metern an Mayer. Die letzte und beste Chance schließlich vergab der spät eingewechselte Gebhart, der sich durchtankte, aber nur das Außennetz traf.

Zwischen Erleichterung und Ernüchterung: Sechzig-Stürmer Sascha Mölders feiert mit Kristian Böhnlein (v.l.) einen glücklichen Sieg, Dachaus Spieler trauern im Hintergrund der verpassten Sensation nach. (Foto: Toni Heigl)

Womit man bei jener Frage wäre, die Sechzig-Trainer Bierofka nonverbal beantwortete: War es ein Fehler, Gebhart eine Stunde und seinen gefährlichsten Stürmer Mölders gar 80 Minuten in der Dachauer Abendsonne auf der Bank sitzen zu lassen? Aus ästhetischen Gesichtspunkten sicher, denn das Spiel der Münchner war nicht gerade schön anzusehen, ein paar Torszenen mehr hätten nicht geschadet. Das Ergebnis passte ja wenigstens, und die Dachauer Zuschauer hatten viel Freude, mehr jedenfalls als an einem Kantersieg des Favoriten. Und Bierofka?

Lobte den Gegner und kündigte klärende Worte in Richtung Mannschaft an, intern natürlich. Dann sagte er noch: "Da muss ich jetzt durch."

© SZ vom 05.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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