Fußball:Sieger-Mentor

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Heiko Herrlich und seiner U17 ist etwas gelungen, was zuletzt nicht typisch für die Nachwuchsabteilung des FC Bayern war: Sie haben Erfolg

Von Benedikt Warmbrunn

Auch an diesem Samstagvormittag wird Heiko Herrlich wieder die Kabine betreten, er wird seine Spieler beobachten, schauen, wie oft sie auf die Toilette gehen, hören, wie laut sie untereinander reden, ob sie scherzen, und wenn seine Spieler oft auf die Toilette gehen und kaum miteinander reden, dann weiß Heiko Herrlich, dass er nicht mehr viel sagen muss. Dann weiß er, dass sie nervös sind. Endlich wieder.

An diesem Samstag (11 Uhr, Säbener Straße 51) empfängt die U17 des FC Bayern den TSV 1860, Derby, das letzte Spiel des Jahres, der Tabellenführer gegen den Tabellenneunten. Ein guter Grund also, um nervös zu sein. Oder?

Heiko Herrlich gestikuliert jetzt in einem Besprechungszimmer des FC Bayern wild durch die Luft, er spricht über Siegermentalität (Du musst siegen!), über die Steffen-Freund-Mentalität (Du musst dienen!). Und über die Mentalität der Nervosität. Herrlichs Hände klopfen auf den Tisch, er sagt: "Nimm das an! Nimm das an, dieses Geschenk der Nervosität!"

Seit eineinhalb Jahren betreut Heiko Herrlich, 43, die U17 des FC Bayern, in dieser Saison hat er einen talentierten Jahrgang, sogar drei deutsche U-Nationalspieler sind darunter. Herrlich und seinen Talenten ist etwas gelungen, was in den vergangenen Jahren nicht typisch für die Nachwuchsabteilung des FC Bayern war: Sie haben Erfolg.

Natürlich, es schaffen immer wieder Spieler des FC Bayern den Sprung in die erste Mannschaft. Die Generation um Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger. Thomas Müller und Holger Badstuber. David Alaba. Pierre-Emile Hojbjerg. Zuletzt Gianluca Gaudino. Doch da sind auch Anzeichen für Unzufriedenheit.

Erstens: die Ergebnisse. In den vergangenen Jahren gewannen die Nachwuchsmannschaften des Vereins keinen wichtigen Titel. Zweitens: die Talente. Für manche ist schon der Sprung in die U23 zu hoch. Drittens: die Struktur. In den vergangenen Jahren wurden einige Trainer gewechselt, teils wegen anderer Angebote, teils auch auf Wunsch des Vereins. Außerdem spricht Sportvorstand Matthias Sammer - zwar seit mehr als zwei Jahren - davon, dass er sich die Jugend genauer anschauen werde. Im Sommer wurde Michael Reschke als Technischer Direktor verpflichtet, auch, um sich um die Jugend zu kümmern. Und im Januar wird Uli Hoeneß, der ehemalige Präsident, als Freigänger auf eigenen Wunsch in der Jugendabteilung arbeiten.

Falls die Nachwuchsspieler Herrlich mal nicht zuhören, kann er auch mal laut werden. (Foto: Johannes Simon)

Die Tabellenführung von Heiko Herrlich und seiner U17 ist in dieser Zeit der Anti-Trend, vielleicht auch ein Zeichen für den Trend, dass sich so manches gebessert hat in der Abteilung.

Die Mannschaft spielt keinen überragenden Fußball, die meisten Spiele waren knapp, aber dass die U17 dann doch viele Spiele gewonnen hat, das erklärt Herrlich auch damit: Dass die Spieler meistens vor dem Anpfiff nervös waren. Dass sie mental bereit waren für die Aufgabe.

Herrlich, der ehemalige Bundesliga-Stürmer, ist zum FC Bayern über seinen ehemaligen Dortmunder Mitspieler Sammer gekommen; als dieser Sportdirektor beim Deutschen Fußball-Bund war, war Herrlich U17-Nationaltrainer; Toni Kroos war sein Kapitän, André Schürrle debütierte unter ihm, beinahe auch Christoph Kramer, dann aber verletzte der sich. Wie ähnlich Sammer und Herrlich denken, zeigt sich nicht nur an ihrer Vorliebe für Gliederungen und Aufzählungen. Oder an der Vorliebe für die Siegermentalität. Oder der Vorliebe für die Steffen-Freund-Mentalität, die genauso gut Heiko-Herrlich- oder Matthias-Sammer-Mentalität heißen könnte. Die Ähnlichkeit zeigt sich vor allem daran, dass Herrlich nicht nur ein guter Trainer ist. Sondern auch ein guter Mahner. Er sagt: "Einige der Jungs sind auf dem Sprung, ein lebendiges Statussymbol zu werden. Darauf muss man sie vorbereiten. Dass da plötzlich auch ein Umfeld ist, dass da gerne dabei ist. Da müssen sie merken, wer es wirklich ernst mit ihnen meint." So ernst wie er zum Beispiel, Heiko Herrlich.

Er selbst, sagt Herrlich, sei als 17-Jähriger schwierig gewesen, ein bisschen rebellisch, ein bisschen aufmüpfig, spätpubertär eben. Und im Fußball habe er sich dann ausgetobt. Aber die meisten Trainer hätten nicht gesehen, wie wichtig für ihn der Fußball als Ventil gewesen sei. Heute gestaltet er das Training daher so, wie es dem jungen Heiko Herrlich gefallen hätte. "Ich gebe den Spielern viele Freiheiten, aber ich bin knallhart, wenn etwas nicht in die Richtung läuft, die ich mir vorstelle." Wenn es zu unruhig in der Kabine wird, wenn die Nervosität fehlt: Dann wird er auch mal laut.

Trainer. Ansprechpartner. Mahner. Prediger: Wenn Heiko Herrlich spricht, lauschen die U-17-Spieler des FC Bayern dem Ex-Nationalspieler andächtig. (Foto: Johannes Simon)

Der junge Heiko Herrlich war auch einer, der an sich zweifelte. Der dem Vereinspräsidenten nicht glaubte, als der ihm eine Bundesligakarriere voraussagte. Der verunsichert von einem Junioren-Länderspiel zurückkam, weil er als einziger Feldspieler nicht eingewechselt wurde. Erlebnisse, die er nie vergessen hat. Die ihn angetrieben haben (Siegermentalität! Dienermentalität! Nervosität!). Er entwickelte so eine Haltung, die er heute bei manchen jungen Spielern vermisst. Und die er ihnen als Trainer beibringen will. "Was häufig in dem Alter ist: Dass die Jungs keine selbstkritische Haltung haben. Dass sie sich nicht so richtig hinterfragen können."

Bevor er zum FC Bayern kam, hatte Herrlich auch die Zweitliga-Profis des VfL Bochum sowie den Drittligisten SpVgg Unterhaching trainiert; dort hörte er auf, weil er zurück zum DFB wollte (dann aber hörte dort Sammer auf, und Herrlich machte ein Jahr lang Pause, ein Jahr, in dem er seine Leidenschaft für das Motorradfahren entdeckte). Dass er nun wieder eine Jugendmannschaft trainiert, sieht Herrlich nicht als Rückschritt. "Im Jugendbereich", sagt er, "bist du wirklich Trainer." Und um ganz Trainer zu sein, ist er auch: Mahner, Pädagoge, Psychologe.

Er muss aber vorsichtig, er muss vorbereitet sein. Denn wenn er all dies weiter so erfolgreich macht, dann ist er auf dem besten Weg, am Ende noch ein lebendiges Statussymbol zu werden.

© SZ vom 13.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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