Fußball-Projekt:Aus Staub und Stolz

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Ein kleiner Fußballverein in einem trostlosen Township nahe Johannesburg versucht Jugendlichen eine neue Perspektive zu geben. Seit einigen Jahren erhält er dabei Unterstützung aus München.

Von Andreas Liebmann

Das Abenteuer vor dem Abenteuer begann mit einer klemmenden Beifahrertür. Dass sie sich nicht öffnen ließ, war weniger erstaunlich, als dass das zugehörige Gefährt, ein uralter Golf, ernsthaft noch bewegt werden sollte. Doch sein stolzer Besitzer hängte die Tür mit einem routinierten Handgriff aus, ließ seinen Fahrgast, dessen Frau auf der Rückbank saß, einsteigen und hängte die Tür wieder ein. Heute lacht Bernhard Slawinski darüber. Damals war ihm mulmig. Zumal es ja nicht an diesem rostigen Gefährt lag, dass ihn wohlmeinende Menschen gewarnt hatten vor dieser Fahrt, die nun vor ihnen lag; dass sie ihn und seine Frau für verrückt erklärt hatten, oder besser: für lebensmüde. Ihr Ziel war Tsakane, ein Township nahe Johannesburg, Südafrika. In einer der gefährlichsten Regionen der Welt.

Es ist heute schwierig zu sagen, was den Münchner vor gut vier Jahren in diese Lage brachte. Seine Gabe, mit anderen ins Gespräch zu kommen, sicher. Auch sein Glaube an das Gute im Menschen. Letztlich hatte ihn auch seine Leidenschaft für Fußball in dieses Auto geführt. Der Münchner Bernhard Slawinski, 52, verkauft Toner für Drucker und Kopierer, deshalb hat er oft in Südafrika zu tun. Seit fünf Jahren ist er beim Bayerischen Fußball-Verband der Kreisvorsitzende für München, er hatte zuvor, als der Amateurfußball der Landeshauptstadt wegen Gewaltvorfällen in den Schlagzeilen stand, das Präventionsprojekt "Fairplay München" gegründet. Daraus entwickelte sich ein derart intensives Engagement, dass man fast von einem zweiten Leben sprechen kann, das er seither neben seinem eigentlichen führt. "Ich war über Nacht Funktionär geworden und wusste gar nicht, wie mir geschieht", sagt Slawinski heute. Und nun brach wieder etwas über ihn herein, das er so nie geplant hatte und das sein Leben verändern würde. Aber das ahnte er noch nicht.

Den Mann, der nun hinter dem Lenkrad saß, hatte er einige Monate zuvor kennen gelernt. Donald Gqabi, 35. Mr. President, so ist das seinem Briefkopf zu entnehmen. Gqabi arbeitet an der Bar jenes Hotels, in dem Slawinski damals wohnte, im Fernsehen lief afrikanischer Fußball, darüber kamen die beiden ins Gespräch. Slawinski erfuhr, dass der Kellner einen Fußballklub in einem Township gegründet hatte, um Heranwachsende von der Straße wegzubringen, von der Kriminalität. Um ihnen eine Motivation zu geben in ihrem oft trostlosen, von Armut und hoher Arbeitslosigkeit geprägten Alltag. Sogar einen Businessplan zeigte er. Spontan versprach Slawinski, beim nächsten Mal einen Satz Trikots mitzubringen. Er hielt Wort, und nun hatte ihm Gqabi erzählt, dass sich die jungen Fußballer bei ihm bedanken wollten in ihrer Location - das Wort Township verwenden sie nicht. Slawinski und seine Frau Manuela schlugen alle Warnungen in den Wind und ließen sich dorthin chauffieren.

Ihre Trikots kommen aus Heimstetten, die Ausgehanzüge aus Haidhausen

Was das Ehepaar dann erlebte, erzählt Slawinski, habe sie überwältigt: "Wir waren von der Herzlichkeit überrascht." Es sei für sie gesungen und getanzt worden, es gab Umarmungen. "Meiner Frau standen die Tränen in den Augen. In diesem Moment war mir klar, dass das mit einer einmaligen Trikotspende nicht getan ist."

Etwa 30 000 Menschen leben in Tsakane. Für die Idee, dort den Simunye FC zu gründen, sei Donald Gqabi bestimmt belächelt worden, doch inzwischen hat der Verein Mannschaften in allen Jugendjahrgängen. Und Slawinski gilt als eine Art Mäzen. Dabei gibt er nicht viel. Doch sein Projekt hat vielen Münchner Klubs gefallen. Als er kürzlich via Facebook fragte, ob jemand Torwarthandschuhe spenden könne, bekam er obendrein ganze Trikotsätze, etwa vom SV Heimstetten, der gerade den Ausrüster gewechselt hatte, oder Ausgehanzüge von der SpVgg Haidhausen. "Es ist unglaublich", sagt Slawinski, "die Jungs sind überglücklich." Inzwischen habe er eher das Problem, wie all das, was bislang nicht in seine Reisekoffer passte, aus seinem Keller bis nach Tsakane gelangen soll.

Es geht aber nicht nur um Materielles. Slawinski versucht mit Knowhow zu helfen. Er zeigt, wie man eine Vereinsstruktur hinbekommt. Nachhaltigkeit. Einnahmen. Damit nicht Gqabi und zwei Helfer alles alleine stemmen müssen. Gqabi etwa ernähre mit 200 Euro im Monat seine Familie samt zweier Töchter und stecke noch einen Teil seines Geldes in dieses Projekt.

Slawinski verlangt für seine Hilfe Gegenleistungen, erzählt er. Zu Beginn hatte er etwa gefordert, das vermüllte, staubige Stück Land zu säubern, auf dem gespielt wird. Als die Jungs damit begannen, seien Nachbarn aus ihren Shacks, den Blechhütten, gekommen und hätten ebenfalls begonnen aufzuräumen. Inzwischen seien alle stolz darauf, den saubersten Platz weit und breit zu haben. Und aktuell habe er die Spieler aufgefordert, sich sozial zu engagieren, etwas für alte Leute in der Nachbarschaft zu tun. "Man muss etwas gegen Lethargie unternehmen", findet Slawinski.

Inzwischen traut er sich sogar alleine ins Township. "Ich bin der einzige Weiße, den ich dort je gesehen habe", sagt er. Empfehlen könne er das niemandem, er vertraue da sehr auf seine langjährigen Erfahrungen in diesem Land und achte genau auf alle gängigen Vorsichtsmaßnahmen, um nicht etwa mit dem Auto gestoppt und überfallen zu werden. Er weiß genau, wohin er fahren muss, um halbwegs sicher und unter Freunden zu sein. Denn längst nicht alle in Tsakane kennen den "Crazy German", als den sie ihn vermutlich sehen.

Aber es werden mehr. Irgendwie war es Gqabi vor Monaten gelungen, für sich und ihn ein einstündiges, landesweit zu hörendes Radiointerview zu bekommen. Danach trieb der dortige Kreisvorsitzende zwei Metalltore für den Simunye FC auf, die seither die alten Holzgerüste ersetzen. Ohne Netze, aber immerhin. Und die U20 des Vereins ist von den Orlando Pirates zu einem großen Turnier eingeladen worden, von einem der bekanntesten Klubs Südafrikas. Taktisch haben die Teams aus Tsakane noch nicht viel drauf, alles werde individuell gelöst, mit Leidenschaft und Ausdauer. "Sie rennen, bis ihnen die Lunge rausfliegt", sagt Slawinski. In zwei Trainingseinheiten habe er mal versucht, ihnen Taktik zu vermitteln, doch das sei "bis zum nächsten Spiel vergessen gewesen". Trotzdem könne er nicht ausschließen, dass der Simunye FC etwa einen deutschen Bezirksligisten "einfach kaputtrennen" würde. Simunye übrigens ist ein Wort aus der Sprache der Xhosa, einer der elf offiziellen Landessprachen. Auch die Zulu verwenden es. Es bedeutet: "Wir sind alle eins".

Am vergangenen Samstag war der große Tag, das Turnier bei den Pirates. Sie hatten die Einladung ohne Zögern angenommen, ohne zu bedenken, woher sie die Startgebühr nehmen sollten. Sich als kleiner Township-Verein mit 31 Klubs aus dem ganzen Land zu messen, war eine einmalige Sache. Also sprang Slawinski ein.

Die sportlichen Chancen, das wusste er, waren realistisch betrachtet gleich null: Für viele war es der erste Einsatz auf Rasen, sie hatten nicht mal geeignete Schuhe. Doch sie haben es nicht so mit Realismus, also redeten sie trotzdem vom Turniersieg. "Stolz", "Selbstwertgefühl", diese Worte verwendet Slawinski in seinen Schilderungen oft. Die Eltern im Township waren bislang nicht bereit, so etwas wie einen Mitgliedsbeitrag für ihre Kinder an den Simunye FC zu entrichten. "Sie sehen den Sinn noch nicht. Das ändert sich in dem Moment, in dem vielleicht einer der Jungen entdeckt wird." Davon träumten sie alle, deshalb seien sie so heiß auf dieses Turnier gewesen. Dort wimmle es von Scouts. Slawinski wird aufpassen, dass die Spieler nicht an unseriöse Berater geraten. "Nicht dass sie in die Ukraine oder sonst wohin verschifft werden, wo sie dann unter noch menschenunwürdigeren Bedingungen leben müssen." Es kam dann zum unvermeidlichen Vorrunden-Aus. Eine knappe Niederlage, ein Remis, ein 0:9 gegen die Pirates. Sie seien trotzdem glücklich heimgereist, glaubt Slawinski. Er weiß, dass viele ihrer Träume platzen werden. "Aber wir haben sie dann zumindest davon abgehalten, Unsinn zu machen." In Südafrika träume man gerne Großes, erzählt er, "andererseits sind sie so viele Niederlagen gewohnt, dass sie nicht wie wir in ein Loch fallen, wenn mal ein Traum platzt. Sie nehmen dann einfach den nächsten." Vielleicht, ergänzt er, "sind sie damit manchmal glücklicher als wir".

© SZ vom 23.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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