Fußball, 3. Liga:Angstgegner Corona

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Historisch leer: Türkgücüs Sercan Sararer bei einem Eckball im Oktober beim Spiel gegen Wehen im Olympiastadion. (Foto: Thomas F. Starke/Getty Images)

Das Derby Türkgücü gegen Haching fällt aus. Beide Vereine kämpfen mit den Folgen der Pandemie.

Von Christoph Leischwitz, München

Bei Türkgücü München haben sie sich schon ein wenig an die Lokalität gewöhnt. Trainer Alexander Schmidt betont ja immer, dass es leider ziemlich egal sei, wo man spiele: Wenn die Ränge leer bleiben, drückt das auf die Atmosphäre, auch im ehrwürdigen Olympiastadion. Ursprünglich hatten sie geplant, ihre Anhänger in die Südkurve zu stellen. Doch dort war zu den bisherigen drei Heimspielen immer nur eine einsame Fahne ausgelegt gewesen, vor der Gegengerade hing eine der Ultras. Und am Samstag nicht einmal das. Die Nachricht erreichte die beiden Mannschaften erst am späten Freitagabend: Ein Corona-Fall im Funktionsteam von Gastgeber Türkgücü hatte das Gesundheitsamt auf den Plan gerufen: Quarantäne für Mannschaft und Trainer. Der betroffenen Person soll es gut gehen.

So blieb in den eigentlich sehr hektischen englischen Wochen plötzlich doch noch für administrative Aufgaben. Eine davon hat in gewisser Weise auch mit den leeren Rängen zu tun. Die dritte Liga ist nicht nur wegen der vielen coronabedingten Verschiebungen zum Sorgenkind geworden. Die Vereine plagen, kollektiv gesehen, auch viel größere finanzielle Probleme als jene in den beiden Spielklassen darüber. Denn sie sind viel stärker auf Zuschauereinnahmen angewiesen, die bekanntlich ausbleiben.

Deshalb sind viele froh, dass im Herbst staatliche Hilfe floss. Diese speist sich aus dem Bundesfördertopf "Coronahilfen Profisport", der im Juli vom Bundestag beschlossen wurde und bis zu 200 Millionen Euro ausschütten kann. Um eine Hilfe zu bekommen, waren aber viele Voraussetzungen zu beachten. So durften die Drittliga-Klubs während der Pandemie beispielsweise nicht schon einen KfW-Kredit beantragt haben. Außerdem müssen die Vereine zusichern, keine betriebsbedingten Kündigungen vorzunehmen.

Für den Antrag muss der Fußballverein oder seine ausgegliederte GmbH die Einnahmen aus dem Ticketverkauf aus dem Zeitraum April bis Dezember 2019 mit demselben Zeitraum von 2020 vergleichen. Die Auszahlung ist auf 800 000 Euro gedeckelt.

Auch Türkgücü hat diese Hilfszahlung in Anspruch genommen - aber gelohnt hat sich das kaum. "Wir haben einen sehr niedrigen fünfstelligen Betrag erhalten", sagt Türkgücü-Geschäftsführer Max Kothny. Das reiche nicht ansatzweise, "um das blaue Auge zu heilen, das wir uns mit Corona eingefangen haben". Der Grund: Türkgücü spielte im Bemessungszeitraum in der Regionalliga, auf dem Gelände des SV Heimstetten, im Schnitt vor rund 450 zahlenden Zuschauern.

Allen Unkenrufen zum Trotz, wonach Türkgücü in der dritten Liga womöglich auch nicht viele Heim-Zuschauer gehabt hätte: Es wären sicher deutlich mehr gewesen. Zum ersten Heimspiel im Olympiastadion gegen Wehen Wiesbaden waren laut Vereinsangaben deutlich mehr als 1000 Tickets verkauft, ehe Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) kurzfristig auf Basis des Inzidenzwerts ein Besucherverbot verhängte - das Olympiastadion zieht eben mehr Zuschauer an als ein Spiel in Kirchheim.

Türkgücü stellt generell die Frage, ob die Hilfszahlungen für einen Aufsteiger aus dem Amateur- in den Profifußball in dieser Form überhaupt sinnvoll sind. So habe man sich mit anderen Aufsteigern wie Lübeck und Verl zu einer Interessengemeinschaft zusammengefunden. Sie plädiert dafür, Planzahlen angeben zu dürfen, um dem wahren Einnahmenverlust näher zu kommen. Zwar haben mehrere Drittligisten dem Vernehmen nach keine Möglichkeit, eine Förderung zu erhalten, so auch der TSV 1860 München, dennoch erscheint es unwahrscheinlich, dass die Aufsteiger zusätzlich vergütet werden. Wichtig ist die Thematik für die betroffenen Klubs trotzdem: Für das Jahr 2021 sind nämlich auch wieder Hilfszahlungen geplant, wenn die Ränge weiter leer bleiben sollten.

Manfred Schwabl wiederum ist froh und dankbar, dass die SpVgg Unterhaching im Oktober die staatliche Hilfe bewilligt bekommen hat. Laut Präsident ist trotz der mauen Zuschauerzahlen ein ordentlicher sechsstelliger Betrag geflossen, der nun für das operative Geschäft eingesetzt werde. Schwabls Meinung ist auch zum Thema TV-Gelder gefragt, gerade in Verbindung mit der allgemeinen Förderung der Drittligisten, die nicht nur seiner Meinung nach viel zu kurz kommt - und in der Pandemiezeit tatsächlich zu existentiellen Ängsten in den Vereinen beiträgt.

Doch natürlich fand es auch der 54-Jährige sehr schade, dass das Spiel gegen Türkgücü ausgefallen war. "Ich war am Freitag schon mal im Olympiastadion", erzählt er. "Brutal, was da alles für Erinnerungen hochgekommen sind". Welche denn? Ein 1:1-Derby-Unentschieden zum Beispiel, als Spieler von 1860 München gegen den FC Bayern vor 24 Jahren, in dem Lothar Matthäus einen Elfmeter verschoss. 69 000 Zuschauer waren damals im Stadion, ausverkauft, logisch.

Die SpVgg Unterhaching wiederum hat zum letzten Mal vor genau 20 Jahren und zehn Tagen im Olympiastadion gespielt (2:0 gegen 1860 gewonnen, 29 600 Zuschauer). Jetzt muss der Verein möglicherweise ein paar Wochen länger auf die Rückkehr warten, der Nachholtermin steht noch nicht fest. Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass die Partie dann ganz schnöde im Grünwalder Stadion ausgetragen wird.

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