Fabian Olbert:75-Sekunden-Saison

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Sein Rekordsprint über 100 Meter endet für den Münchner mit einem Schlüsselbeinbruch.

Von Andreas Liebmann, München

Am Ende wollte er es dann doch unbedingt. Man kann es noch im Video sehen, wie Fabian Olbert die Brust nach vorne wirft, um als Erster die Ziellinie zu überqueren. Obwohl es nur ein Vorlauf war. Aber wenn man das mitnehmen kann, einen aktuellen deutschen Meister wie Michael Pohl vom Sprintteam Wetzlar hinter sich zu lassen, dann macht man das natürlich. Nun liegt der Teenager in einem Regensburger Krankenhaus und sagt einen Tag nach seiner Operation, dass er "noch etwas niedergeschlagen" sei. Es bleibt offen, ob er damit seine Enttäuschung oder die Nachwirkungen des Eingriffs meint.

Es sei nicht mal ein besonders guter Lauf gewesen, urteilt Olbert, er hat sich die Bilder schon angesehen. Die ersten 60 Meter kann er besser. Eigentlich sei er ja auch gar nicht wichtig gewesen. Ein Vorlauf bei der Gala in Regensburg. Nach hundert Metern hatte er den Sieg, doch unmittelbar nach der Ziellinie kam er ins Straucheln. Hatte zu viel Vorlage, um sich abzufangen. Überschlug sich. Einmal. Zweimal. Blieb auf der Bahn sitzen. Seine Zeit wurde angezeigt, 10,38 Sekunden. Er hatte damit einen neuen bayerischen U-20-Rekord aufgestellt, er war eine Hundertstelsekunde schneller gelaufen als vor 14 Jahren Christian Blum, der später mehrmals deutscher Hallenmeister war, der Silber holte bei den Hallen-Europameisterschaften 2015 - und dem Olbert erst im Januar den Hallenrekord über 60 Meter abgenommen hatte.

Als die Konkurrenten allmählich vom Austrudeln zurückkamen, gratulierten sie dem 19-Jährigen, halfen ihm auf. Der Augsburger Universiade-Teilnehmer Aleksandar Askovic, der zeitgleich mit Pohl Dritter war in 10,40 Sekunden, säuberte Olberts Shirt. Der Österreicher Maximilian Münzker klopfte ihm anerkennend auf die rechte Schulter - die Olbert kurz darauf immer intensiver zu befühlen begann. "Ich habe schon gemerkt, dass ich überall voller Schürfwunden bin, es war ja doch ein ganz schöner Sturz", erzählt er, "aber ich war so voller Adrenalin, dass ich nichts gespürt habe." Beim Betasten fiel ihm dann allerdings auf, dass an der rechten Schulter etwas "weit heraussteht". Das Schlüsselbein war gebrochen. Für Fabian Olbert war die Saison in diesem Augenblick vorbei.

Eigentlich hätte er im Endlauf in Regensburg noch deutlich mehr zeigen wollen, er wisse ja, was er im Training drauf habe. "Deshalb ist das jetzt noch viel erdrückender, weil ich mein Potenzial gar nicht mal voll ausgeschöpft habe", sagt er. "Es war ja auch nicht so, dass ich mich extrem ins Ziel geworfen hätte für diesen Sieg." Eigentlich hätte er zwei Wochen später bei den deutschen Meisterschaften in Braunschweig starten sollen, sein eigentliches Saisonziel. Als Jugendlicher bei den Männern, wohlgemerkt, wie hier in Regensburg, das sei doch immer eine ganz andere Herausforderung für ihn als die Sprints gegen Gleichaltrige, bei denen er der Topfavorit ist. Und eigentlich, ja, hätte er auch diesen Landesrekord, den er zwar "ein nebensächliches Ziel" nennt, den er aber "auf alle Fälle mitnehmen wollte", bei einer dieser Gelegenheiten gerne noch viel deutlicher unterboten als nur um diese Hundertstel, auf dass er ein paar Jährchen länger in den Listen bestehen bleibe. Auch das geht jetzt nicht mehr. Im nächsten Jahr wird Olbert bereits in der Altersklasse U23 laufen.

Rantasten an die Tatsachen: „So voller Adrenalin“ war Fabian Olbert, dass er seinen Schlüsselbeinbruch zunächst gar nicht bemerkte. (Foto: Beautiful Sports/Imago)

Sechs Wochen schätzt er, werde er ausfallen. Der Bruch stellte sich als doch nicht so glatt und unkompliziert heraus wie anfangs diagnostiziert, auch ein Handgelenk ist angeknackst. "Kann passieren", sagt sein Trainer Michael Ehrenreich. Technisch hätte Olbert auf alle Fälle noch besser laufen können. Der bemüht sich nun, das Positive zu sehen. Es gebe weit schlimmere Verletzungen für Sprinter. So werde er wenigstens zur Vorbereitung auf die nächste Hallensaison wieder fit sein. Allerdings hätte er am Tag nach dem Sturz eine Prüfung gehabt, er studiert an der Technischen Universität in München Elektrotechnik. Am Mittwoch wäre die nächste Prüfung gewesen. "Da kann ich jetzt noch ein Semester mehrdranhängen", grummelt er.

So endet für Fabian Olbert von der LG Stadtwerke München nun eine Saison, die vielleicht noch etwas mehr Hochs und Tiefs bot als für viele andere. Er war ja nicht nur deutscher U-20-Hallenmeister geworden, selbstverständlich - sondern er hatte unter dem Dach auch bei den Erwachsenen brilliert und in Leipzig im Halbfinale Deutschlands Rekordsprinter Julian Reus bezwungen. Im Finale bekam er dann Wadenkrämpfe. Der Lockdown wegen der Corona-Pandemie traf ihn in dieser Phase besonders hart. Andreas Knauer, der Münchner Bundesstützpunktleiter, traf ihn zufällig in der Werner-von-Linde-Halle, als Olbert frustriert ein paar Sachen einpackte, um zu Hause trainieren zu können. "Er hat so tieftraurig gewirkt, dass ich selber mit den Tränen kämpfen musste", erzählte Knauer später. Olbert weiß noch gut, wie niedergeschlagen er war. "Nach den genialen Hallenergebnissen zu sehen, dass vielleicht der ganze Sommer ausfällt, und nicht zu wissen, wie es weitergeht" - auch dieses Gefühl sei "erdrückend" gewesen.

Die bayerischen Athleten mussten dann tatsächlich viele Wochen lang ohne Bahntraining und Krafträume auskommen, länger als die meisten ihrer Konkurrenten. So gesehen ist es dann doch ganz gut gelaufen, trotz allem. Olbert hat die Perspektivkadernorm geschafft, was ihm ein gewisses Maß an Förderung und Sicherheit garantiert, obwohl sich seine Sommersaison auf vier Wettkämpfe reduziert hat, auf sieben Läufe, wenn man so will auf addierte 74,45 Sekunden. Und er hat nach Reus in der Halle nun Pohl im Freien bezwungen. Diese Aussicht habe ihn in Regensburg "vielleicht doch etwas übermütig werden lassen", sagt er. Andererseits gebe es sicher nicht viele, die in der U20 von sich behaupten könnten, zwei deutsche Meister geschlagen zu haben, einen ehemaligen und einen aktuellen. "Ich bin ja noch jung", tröstet sich Olbert. Grinst. Und sagt: "Nächstes Jahr kann ich dann ja zeigen, wo der Hammer hängt."

© SZ vom 30.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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