Erster gegen Letzter:Verrückt und zugenäht

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Daniel Leugner hat gut lachen: Sein Schuss zum späten 4:3 für Pullach macht alle Bemühungen des BCF Wolfratshausen zunichte. (Foto: Claus Schunk)

Der BCF Wolfratshausen gleicht nach einem 0:3 in Unterzahl noch aus, belohnt sich aber nicht. Weil der SV Pullach, der sich etwas früh zurücklehnt, doch noch trifft.

Von Christian Bernhard, Pullach

Marco Stier ist ein Vertreter der emotionalen Trainersorte, laute und gestenreiche Auftritte an der Seitenlinie gehören zu seinem Standardrepertoire. Am Samstagnachmittag saß der Coach des BCF Wolfratshausen aber auffallend lange ruhig, ja fast regungslos auf einer Bierbank, die direkt neben der BCF-Auswechselbank in Pullach postiert war. Stier beobachtete alles ganz genau, zeigte aber fast keine Regung. 15 Minuten lang ging das Halbzeit-übergreifend so, dann wurde er wieder zum emotionalen, feurigen Stier.

Zu diesem Zeitpunkt stand es am Samstagnachmittag aus Wolfratshauser Sicht 0:3, eine denkbar ungünstige Konstellation aus Sicht des Tabellenletzten, der ja beim Tabellenführer und aktuellen Meister, dem SV Pullach, spielte - und das auch noch in numerischer Unterlegenheit, da Verteidiger Mustafa Kantar bereits vor der Pause mit Rot vom Platz geflogen war.

Zur Pause zieht sich Stier auf seine Bierbank zurück. "Das ist jetzt eure Geschichte", sagt er

Doch der BCF ist kein handelsüblicher Tabellenletzter. 16 Minuten vor Schluss stand es verdientermaßen 3:3, und der BCF war trotz Unterzahl sogar dem 4:3 nahe. "Meine Jungs machen mich verrückt", sagte Stier auf der Bank, "jede Woche." So auch diesmal: Am Ende stand der BCF aber wieder mit leeren Händen da, 3:5 hieß es nach 90 mehr als turbulenten Minuten. "Die Jungs haben Moral, wir kommen immer wieder zurück. Aber wir belohnen uns nicht", sagte Stier. Er konnte und wollte eine gewisse Ratlosigkeit nicht verbergen. "Jede Woche spielen wir gut, verlieren aber. Ich stoße an meine Grenzen, wie man die Spiele für sich gewinnt."

Vor dem Anpfiff hätten die Vorzeichen nicht unterschiedlicher sein können: An der Gistlstraße traf die Mannschaft, die zuletzt sechs Heimsiege in Serie gefeiert hatte, auf jene, die nur eines ihrer vergangenen sechs Spiele gewonnen hatte. Auf dem Platz war das nicht zu erkennen. "Ich glaube nicht, dass man heute den Unterschied zwischen dem ersten und letzten Platz gesehen hat", sagte Stier zu recht. Wolfratshausen lief die Pullacher Aufbauspieler in der ersten Halbzeit mutig an und war von Beginn an bissiger als der Meister. Bis auf eine gefährliche Aktion von Marian Knecht (27.) sprang in der Offensive zwar nicht viel heraus, doch auch die Pullacher kamen kaum zu guten Torchancen. Das änderte sich gegen Ende der ersten Hälfte: Erst brachte Pullachs Andreas Roth das Kunststück fertig, mit zwei Freistößen drei Pfostentreffer zu markieren (37. und 39.), dann besorgte Torjäger Lukas Dotzler mit einem Doppelschlag (42., 44.) die schmeichelhafte 2:0-Pausenführung. Vor dem Elfmeter zum 1:0 hatte Kantar die rote Karte gesehen, da er Max Zander im Moment des Abschlusses festgehalten hatte.

Stiers Halbzeitansprache fiel sehr kurz aus, bereits sieben Minuten vor Wiederanpfiff saß er erneut auf seiner Bierbank. "Jungs, es gibt zwei Varianten", hatte er seinen Spielern in der Kabine mit auf den Weg gegeben. "Entweder wir lassen uns abschießen, oder ihr reißt euch jetzt zusammen und bildet eine Eigendynamik. Das ist jetzt eure Geschichte. Ich werde auch nicht auswechseln, das macht ihr alleine."

Die BCF-Spieler entschieden sich für die zweite Variante. Trotz des unmittelbaren 0:3 durch Michael Hutterer, der einen schnellen, direkten Angriff mit einem tollen Tor veredelte (47.), kamen die Gäste zurück: Knecht auf Zuspiel von Angelo Hauk (52.), Hauk per Kopf nach einer Ecke (58.) und Jona Lehr nach Vorarbeit von Hauk (74.) machten aus einem 0:3 ein 3:3. "Männer, wir gewinnen das Ding noch", rief Stier aufs Feld - und dieser Fall hätte tatsächlich eintreten können. Doch Adam Puta nutzte zwei gute Chancen nicht (80., 84.). Und so kam das, was zur Situation eines Tabellenletzten passt: Der eingewechselte Daniel Leugner zog aus über 30 Metern ab, und der Ball schlug links unten im BCF-Tor ein (87.). In der Nachspielzeit machte der ebenfalls eingewechselte Almir Hasanovic mit dem 5:3 alles klar. "Eigentlich müssen wir 4:3 gewinnen, verlieren aber 3:5", sagte Stier, "es ist jede Woche das gleiche, wir belohnen uns nicht mit Punkten."

"Jeder schaltet fünf, sechs Prozent zurück", erklärt Schmöller. "Elf mal sechs ist ein bisschen zu viel."

Pullachs Trainer Frank Schmöller gab sich nach dem dritten Sieg in Serie, bei dem mindestens sechs Tore gefallen waren, betont zurückhaltend. Das habe er alles schon einmal erlebt und mitgemacht, sagte er, wichtig seien die drei Punkte. Klar hätte seine Mannschaft es nach dem 3:0 in Überzahl besser spielen müssen, aber es liege eben in der menschlichen Natur, dass man sich bei einer 3:0-Führung etwas zurücklehne. "Jeder schaltet fünf, sechs Prozent zurück, und wenn das elf Mann machen, kann man es sich ausrechnen: Elf mal sechs ist ein bisschen zu viel." Viel länger wollte sich Schmöller mit dem turbulenten Spiel nicht aufhalten. "Wir schließen jetzt mal das Kapitel und unterhalten uns nicht drüber, weil wir es vielleicht auch einfach mal aus den Köpfen rauskriegen müssen", sagte er und spielte damit auf das 4:2 gegen Hankofen in der Vorwoche an, das ähnlich verlaufen war. Am Montag steht beim SV Pullach der mannschaftliche Ausflug auf die Wiesn an, "da werden wir es uns mal gut gehen lassen", sagte Schmöller. Stier wünscht sich nichts anderes.

© SZ vom 25.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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