DEL:Rotköpfchen und der Wolfi

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Michael Wolf steht gegen Nürnberg vor seinem 500. DEL-Spiel. Die Lobgesänge zum Jubiläum sind ihm peinlich. Selbst schuld: Kein Spieler hat in den letzten Jahren das deutsche Eishockey so geprägt wie der Kapitän des EHC München

Von Johannes Schnitzler

Der Wassermann gilt unter den Tierkreiszeichen als Rampensau, als ein Lebewesen, das erst im Licht der Öffentlichkeit so richtig aufblüht. Ein Freigeist, der nichts so liebt wie seine Unabhängigkeit. Da kann man mal sehen. Wenn die Sterne die Wahrheit sprechen, dann ist nämlich Michael Wolf, geboren im Zeichen des Wassermann, ein wenig aus der Art geschlagen. Gewissermaßen die Jungfrau unter den Wassermännern. Der 33-Jährige gilt als Paradebeispiel für Treue, Bodenständigkeit und Pflichtbewusstsein.

Neun Jahre lang spielte Wolf für die Iserlohn Roosters in der Deutschen Eishockey Liga (DEL), für Eishockey-Verhältnisse mehr als eine Ewigkeit. Er war Kapitän der Sauerländer, er ist seit Jahren Kapitän der Nationalmannschaft, und als er vor dieser Saison zum EHC München wechselte, wurde er auch hier zum Kapitän ernannt. Zu den Aufgaben eines Kapitäns zählt auch die Repräsentation. Für Wolf ist dieser Teil seiner Arbeit freilich eher lästige Pflicht denn ein Vergnügen. Eine Pflicht, der er sich mit spürbarer Selbstüberwindung stellt: "Das ist irgendwie nicht meins."

Am Freitag (19.30 Uhr) gegen die Nürnberg Ice Tigers wird Michael Wolf sein 500. DEL-Spiel bestreiten, eine Marke, die vor ihm bereits eine Reihe von Spielern erreicht hat. Besonders daran ist, dass Wolf relativ spät dran ist - die ersten sechs Jahre als Profi spielte er unterklassig für seinen Heimatverein Füssen, für Bietigheim und Essen, ehe er sich 2005 den Schritt in die erste Liga zutraute (und das richtige Angebot kam). Noch ungewöhnlicher ist seine Bilanz seitdem: In 499 Spielen hat Wolf 239 Tore geschossen - mehr haben nur der Düsseldorfer Daniel Kreutzer (245 Tore in bislang 947 Spielen) und sein mittlerweile zurückgetretener ehemaliger Sturmpartner in Iserlohn, Robert Hock (248), erzielt.

Zu Hocks DEL-Rekord fehlen Wolf noch neun Tore, für ihn eigentlich ein Klacks: In seinen neun DEL-Spielzeiten erzielte er immer mindestens 17 Treffer. Eine andere Bestmarke hält er bereits: Kein Spieler hat mehr Torschüsse abgegeben als er. Genau 1638 Versuche sollen es gewesen sein, hat die Liga-Zentrale errechnet. Das bedeutet, dass etwa jeder siebte Schuss im Ziel war. Es bedeute, "dass ich wohl öfter schießen muss", sagt Wolf - in dieser Saison kommt er erst auf sechs Tore. "Aber ich kann damit leben, wenn ich mir die Tabelle anschaue." Die Tabelle führt den EHC München nach 24 von 52 Punktspielen auf dem ersten Platz. Das einzige, was Wolf fehlt, ist ein Titel. Da darf man doch mal drüber nachdenken, ob . . .

Manchmal fast unsichtbar und doch kaum zu übersehen: Michael Wolf (rechts), Kapitän des EHC München und der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft. (Foto: Andreas Gebert/dpa)

"Oh", sagt Wolf, "da schweben wir ja schon wieder." Sein Rat: "Schön auf dem Boden bleiben. Die Saison ist noch lang."

Wolf weiß, was alles schief gehen kann. In der Saison 2007/08 schoss er 46 Tore, so viele wie seit Dieter Hegen zu seligen Bundesligazeiten kein Deutscher mehr. Trotzdem ist er mit Iserlohn nie über das Viertelfinale hinausgekommen, meistens war für die Roosters schon vor den Playoffs Schluss. Die Olympischen Spiele in Sotschi verpasste er mit dem Nationalteam. Und einmal, als der Focus eine Geschichte über ihn machte ("Die Tormaschine"), da zeigte das Bild zum Text nicht ihn, sondern den Verteidiger Felix Petermann, seit dieser Saison sein Kollege in München. Statt beleidigt zu sein sagt Wolf: "Damit muss man im Eishockey leben. Unter dem Helm kann man die Leute auch schwer erkennen."

Petermann, 30, Allgäuer wie Wolf, hat bereits 581 Mal in der DEL gespielt. Trotzdem sagt er: "Kaum ein anderer Spieler hat das deutsche Eishockey so geprägt in den letzten zehn Jahren wie der Wolfi."

133 Länderspiele, 48 Tore, sechs WM-Teilnahmen, Olympische Spiele in Vancouver, so lautet Wolfs internationale Bilanz. Ob er nie an die NHL, die beste Liga der Welt gedacht hat? Am Ehrgeiz mangelte es sicher nicht. Petermann berichtet von gemeinsamen Mountainbiketouren, die regelmäßig in Wettrennen ausarten - Wolf verliert nicht gern. Petermann nennt ihn scherzhaft eine "Ehrgeizmaschine".

Es gibt einen Scouting-Bericht über Michael Wolf, einige Jahre alt, der die Fähigkeiten des Flügelstürmers als Schlittschuhläufer lobt, seinen Torinstinkt, seinen Schuss, seine Mannschaftsdienlichkeit. Er erwähnt allerdings auch, dass Wolf mit 1,78 Meter "a relatively small winger" sei, eher klein, und kommt zu dem so schlichten wie brutalen Ergebnis: "Lacks the size and strength required to interest a NHL team", kurz: uninteressant. "Ich hätt's probiert", sagt Wolf. "Aber das ist lang vorbei."

Um seine Person macht Wolf kein großes Aufhebens. Beim Deutschland Cup Anfang November musste er darauf hingewiesen werden, dass dies seine zehnte Teilnahme sei - Rekord, was sonst -, was ihm ein euphorisches "Ach ja?" entlockte: "Wusste ich gar nicht." Selbstverständlich schickte er hinterher, dass es ihm "eine Ehre" sei. Auch der Rummel um die 500 - der EHC hat zum Jubiläum extra ein Trikot mit der Zahl beflocken lassen - ist ihm peinlich.

Wenn Michael Wolf etwas unangenehm ist, wechselt er schon mal die Gesichtsfarbe. Auch nach so vielen Profijahren wird er dann noch rot. Interviews nach Spielen arbeitet er geduldig ab. Meist steht er dann, mit einer Hand auf den Schläger gestützt wie auf einen Wanderstab, vor dem Fragesteller, den Blick zu Boden gerichtet. Über sich selbst gibt der Allgäuer ungern Auskunft. Wenn er sagt, dieses 500. Spiel sei "schon ein besonderer Meilenstein für mich", klingt das wie auswendig gelernt. "Drei Punkte am Freitag wären mir lieber."

"Ein typischer Wolf", sagt Dennis Endras. Der Mannheimer Torhüter, MVP der Heim-WM 2010, verfällt wie die Teamkollegen aus der Nationalmannschaft und aus dem Verein in Lobeshymnen, wenn er über den Wolfi spricht. Endras sagt: "Er ist ein Vorbild für uns alle. Auch wenn er das nie hören will und wir ihn gern damit verschaukeln, blickt doch jeder zu ihm auf." Patrick Reimer von den Nürnberg Ice Tigers, mit 224 Treffern Wolfs großer Gegenspieler in der DEL, sagt: "Er ist nicht nur ein super Spieler, sondern auch ein absolutes Vorbild an Wille, Einsatz und Ehrgeiz." Und vielleicht ist das am ungewöhnlichsten an Michael Wolfs Karriere: dass alle, wirklich alle nur Gutes über ihn erzählen.

Und was sagt Wolf? Er lacht ein wenig verlegen und antwortet dann: "Die wissen doch: Wenn sie ein schlechtes Wort über mich sagen, rufe ich sie morgen an."

Und so wird Michael Wolf auch am Freitag versuchen, zu spielen wie in den 499 Spielen vorher: manchmal fast unsichtbar, aber immer zur Stelle. Wer ihn nicht gleich erkennen sollte: Er trägt die 500 auf dem Trikot. Und wahrscheinlich einen roten Kopf, weil ihm das alles so furchtbar peinlich ist. Zum Glück erkennt man den Kopf unter dem Helm nicht so gut.

© SZ vom 05.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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