Darts European Tour:Pfeilgrad ins Bulls-Eye

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Der German Darts Grand Prix feiert im Münchner Zenith eine stimmungsvolle Premiere.

Von Nico Horn

Einhundertundachzig!", schallt es durch die Halle. Die Fans reißen ihre Pappschilder mit der magischen Zahl in die Höhe, der ein oder andere Bierbecher fällt dabei von den Tischen. Von Karsamstag bis Ostermontag ist die Darts-Elite um Weltmeister Rob Cross zum German Darts Grand Prix im Münchner Zenith zusammengekommen, und insgesamt 18 000 Zuschauer sind da, die bei jedem perfekten Darts-Durchlauf (180) euphorisch jubeln und feiern. Nach zwei Jahren in Unterschleißheim (2015/16) ist es für sie die erste Gelegenheit, die Stars der Szene im Rahmen der PDC European Tour mal in der Landeshauptstadt zu erleben.

Wassermelonenleder

Das Turnier beginnt, wie solche internationalen Turniere oft beginnen: mit einem groß inszenierten Pressetermin. Irgendein Star darf (oder muss) etwas Typisches aus der Region des Gastgebers probieren. In München wird Peter Wright die Ehre zuteil - samt Frau schmeißt er sich weisungsgemäß in eine bayerische Tracht. Meist wirken solche Termine gestelzt, sind für die Protagonisten lästige Pflicht, nicht aber für Peter Wright, den Mann mit dem coolsten Irokesen-Haarschnitt auf der Tour.

Wright liebt diese Momente, er ist prädestiniert dafür. "Es ist überragend", sagt er - und meint das wirklich ernst: "Ich will unbedingt in Lederhosen spielen, leider ist das nicht erlaubt." Der 48-Jährige ist Schotte, er ist an seltsame Kleidung gewöhnt. Das Problem: Wright hat eine kurze Lederhose überreicht bekommen, bei Darts-Events sind aber nur knöchellange Hosen erlaubt - wahrscheinlich haben auch die Veranstalter nicht ernsthaft daran geglaubt, dass Wright seinen Trachten-Termin derart genießen würde. Nun ja, Regeln sind eben Regeln, auch auf der lässig-verrückten Darts-Tour.

Irokese im Halbdunkel: Peter Wright. (Foto: Johannes Simon)

Außerdem hat Wright ganz andere Probleme: Seine Dartpfeile sind noch nicht vom Premier-League-Spieltag aus Belfast eingetroffen. Er hat nun also eine Hose, die er nicht anziehen darf, und nicht die Pfeile, die er benötigt ("Meine Frau hat mir gesagt, ich soll diese Pfeile benutzen"). 15 Minuten vor dem ersten Spiel kommen die Pfeile dann doch, und Wright trifft bei der Wahl seines Beinkleids auch ohne Lederhose ins Bulls-Eye. Die stramm sitzende, hellblaue, mit Wassermelonen verzierte Hose ist ein Hingucker. An Krachlederne ist das Publikum hier ja gewöhnt. Vielleicht gibt es im nächsten Jahr eine Wassermelonen-Lederhose als Sonderanfertigung für Wright. Natürlich mit langen Beinen.

Der 19-Uhr-Knacks

Apropos Publikum: Das ist beim Darts natürlich entscheidend. "Die Stärke des Darts ist, dass die Fans sich als Teil des Ganzen fühlen", erläutert Elmar Paulke, Moderator der Show, die Begeisterung. Das Zenith ist mit seinen mehr als 90 Metern Länge für die Fans zwar ein fauler Kompromiss, aber das ist fast egal. Wer muss schon die Bühne sehen, wenn man auch in der letzten Reihe feiern kann? Wie man es vom Darts gewöhnt ist, jubeln die Fans ausgelassen und in bunten Kostümen. Besonders gefragt ist in München kein ausgefallener Kopfschmuck, sondern ein eher kleines Accessoire: eine blinkende Brille - die leider auch für Fans in den hinteren Reihen ohne Sehstärke ist. "Diese Spaßartikel gehören halt dazu", sagt Ramona vom Merchandise-Stand: "Vor allem, wenn ordentlich gepichelt wird, geht's richtig gut", fügt sie hinzu.

Wie viel tatsächlich "gepichelt" wird, bleibt offen, das Bier kann nur ganz versteckt im hintersten Eck oder außerhalb der Halle bezogen werden. Der Bierpreis von 5 Euro pro 0,4-Liter-Becher spricht eher gegen große Saufgelage, und an erhöhten Promillegehalt glaubt man zwischen den Bierbänken sowieso nur, als sich das Ergebnis des FC Bayern gegen den BVB herumspricht ("Wos? Na, du veroascht mi!"). Aber, so viel sei verraten: Zur zweiten Session des jeweiligen Tages (von 19 bis 23 Uhr) kehrt mancher Zuschauer etwas demoliert aus der Pause nach der Nachmittags-Session (bis 17 Uhr) zurück. Es ist täglich ein merkwürdiger Knacks, der pünktlich um 19 Uhr bei so manchem Fan einsetzt. Paulke empfiehlt sicherheitshalber, das Auto stehen zu lassen.

Vergöttertes Maskottchen

Elmar Paulkes Aura hat etwas Szenegott-Ähnliches. Kommt er auf die Bühne, begeistert er das Publikum fast so sehr wie die Topspieler. Das liegt an seiner über Jahre erarbeiteten Position in der deutschen Darts-Szene. Seit 2004 kommentiert er sämtliche Darts-Events des Weltverbandes PDC für deutsche Live-Produktionen. "Anfangs wurde ich ausgelacht: ,Das ist doch kein Sport', haben viele gesagt", erinnert sich Paulke, der zunächst selbst keine Ahnung von dieser Pfeilewerferei hatte: "Ich war damals froh, einen Experten an meiner Seite zu haben." Offensichtlich hat der diplomierte Sportwissenschaftler aber eine gute Wahl getroffen, seine Fernsehübertragungen lösten einen Darts-Hype in Deutschland aus. 2016 sahen erstmals mehr als zwei Millionen Deutsche das WM-Finale live. Nun ist Paulke so etwas wie das Maskottchen des deutschen Dartsports.

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(Foto: Johannes Simon)

Stars zum Anfassen: der Österreicher Mensur Suljovic,...

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(Foto: Johannes Simon)

...Weltmeister Rob Cross...

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(Foto: Johannes Simon)

...oder der Führende der Weltrangliste Michael van Gerwen (hier im Interview mit Elmar Paulke)...

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(Foto: Johannes Simon)

...begeistern die Fans...

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(Foto: Johannes Simon)

...im Münchner Zenith.

Immer, wenn es irgendetwas zu Darts gibt, muss er als Experte herhalten. Und auf der Europa Tour der PDC leitet er auch noch als sogenannter Master of Ceremonies (klingt doch irgendwie nach Vergötterung) durch die Events - so eben auch in München. Paulke genießt den eigenen Stellenwert. Wann ihn mal ein deutscher Dartspieler ablöst? "Gerne alsbald wie möglich." Teilweise trainiere die nationale Konkurrenz noch zu amateurhaft und auch ohne die mittlerweile unerlässlichen Mentalcoaches. Bald hilft Paulke womöglich selbst nach, nämlich mit einer Darts-Schule. Vielleicht kommt irgendwann ein deutscher Weltmeister aus der Elmar-Paulke-Akademie. Dann bauen sie ihm wahrscheinlich wirklich ein Denkmal.

Herr der Zahlen

Fetzo steht im Backstage-Bereich. Er lacht. Er hat jetzt Feierabend, was er allen erzählt, die ihn kennen - das ist hier quasi jeder. Als Fetzo seinen richtigen Namen, Christian Peter, verrät, ruft einer aus dem Hintergrund: "Ja, so kennt dich keiner!" Fetzo ist eben Fetzo. Der Oberschleißheimer ist ein nicht wegzudenkender Bestandteil der PDC European Tour, wenngleich er nicht immer dabei sein kann ("So viel Urlaub habe ich gar nicht"). Glücklicherweise sind sowohl sein Chef als auch sein Vorgesetzter Dartspieler, das mit dem Urlaub lässt sich also meist regeln.

Wie man zu einem Darts-Urgestein wird, wenn man selbst gar nicht professionell spielt? Indem man rechnet! Fetzo ist Schreiber, das heißt, er wartet auf die vom Schiedsrichter angesagte Punktzahl, rechnet im Kopf und notiert die Restpunktzahl des ihm zugeteilten Spielers. Ein Segen ist da die 180 (Maximalpunktzahl mit einer Aufnahme von drei Darts). Sie ist der Traum eines jeden darts-erprobten Kopfrechners, ganz im Gegensatz zu krummen Scores wie 137. Wobei: Fetzo versichert, er habe sich schon seit Ewigkeiten nicht mehr verrechnet. Eigentlich rechnet er gar nicht, er denkt mittlerweile in Zahlenschemata: "Ich kriege eine Zahl an den Kopf geschmissen und das Restergebnis ist da." So einfach geht das - immer vorausgesetzt, er bekommt Urlaub. Übrigens: Zu seinen Freunden zählt er Phil "The Power" Taylor, den erfolgreichsten Dartspieler der Geschichte. Einmal pro Jahr lädt er ihn und andere (ehemalige) Spieler im Sommer zum Grillen ein: "Dann gibt's ein Schwein."

Neue Alpen-Allianz

Dieser German Darts Grand Prix könnte ein Startschuss sein. Zum allerersten Mal erhält der Österreicher Mensur Suljovic als bisher einziger deutschsprachiger Weltklassespieler tatkräftige Unterstützung aus Deutschland. In Person von Max Hopp vielleicht sogar etwas zu tatkräftig: Der besiegt Suljovic nämlich im Viertelfinale mit 6:2. Suljovic freut sich trotzdem für seinen deutschen Freund: "Das ist doch das Schöne am Darts, die Österreicher und die Deutschen halten immer zusammen."

Bisher war es ja so, dass Suljovic alleine gegen die britisch-niederländische Vorherrschaft anspielen musste. Hopp, 21, hat es vor München noch nicht mal in die Nähe eines Viertelfinales geschafft. Nun also der sensationelle Sieg gegen Suljovic, der seine Niederlage aufgrund seiner schwachen Form allerdings schon kommen sah: "Bei so einem Turnier reichen zwei schlechte Minuten, und du bist raus", erklärt er in seinem charmanten Wiener Dialekt. Am Ende sind es gegen Hopp ein paar schlechte Minuten zu viel. Wobei das aus Sicht der Alpen-Allianz (geschenkt, dass Suljovic aus Wien und Hopp aus Idstein kommt) zwischen Österreich und Deutschland natürlich nicht Sinn der Sache sein darf, dass sie sich gegenseitig aus dem Turnier werfen. So gesehen ist es wohl sinnvoll, dass Suljovic, der formschwache Österreicher, Hopp, dem auf einer Euphoriewelle reitenden Deutschen, den Vorzug lässt. Denn in der Runde der letzten Acht warten auch im Zenith mal wieder die schier übermächtigen Briten - und ein Niederländer, der Weltranglistenerste Michael van Gerwen.

© SZ vom 03.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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