Boxabend von 1860 München:Ultras am Ring

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Es wird laut: Howik Barsegjan ist das Aushängeschild der Abteilung. (Foto: Claus Schunk)

Boxabteilung des TSV 1860 gewinnt Prestigekampf gegen eine London-Auswahl

Von Christian Bernhard, München

"Jungs, macht euch bereit für die Geschenke!" Einige Betreuer drücken zehn zum Teil höchst aufgeregten Boxern kleine, in Plastikhüllen verpackte Figuren in die Hand. Die Boxer schauen sie kurz an, blicken dann aber wieder aufgeregt durch den Kabinengang in die Städtische Halle an der Säbener Straße, in deren Mitte ein Boxring thront. Die Präsente in ihren Händen sind die einzigen, die an diesem Samstagabend verteilt werden. Die Boxabteilung des TSV 1860 München hat eine Auswahl von Top-Boxern aus London zum Vergleichskampf eingeladen, zustande kam der Kontakt, als der TSV vor Jahren kurzfristig bei einem Turnier in London einsprang. Organisator Ali Cukur und die Londoner Verantwortlichen kennen sich aus aktiven Zeiten, die Engländer sind nach 2014 zum zweiten Mal in München.

Cukur, Brille, blaues Hemd, dunkler Anzug, hat ein ruhiges, aber bestimmtes Auftreten, seine Statur verrät: Auch er hat einmal geboxt. Sehr gut sogar, er war Fünfter bei den Amateur-Weltmeisterschaften. Cukur, der auch als Anti-Gewalt-Trainer tätig ist, ist schon seit 1997 Abteilungsleiter der TSV-Boxer, Trainer noch viel länger. Und er ist immer für einen lockeren Spruch gut. "Das hier ist meine rechte Hand", sagt er und stellt seinen Assistenten vor. "Manchmal auch meine linke." TSV-Präsident Gerhard Mayrhofer, der einen Tag vor dem Schicksalsspiel der Profifußballer gegen Nürnberg den kompletten Kampfabend verfolgt, wird Cukur später als "extrem wichtig" für den TSV bezeichnen. Cukur sei "aus der Münchner Sportkultur nicht wegzudenken", überhaupt spielten die Boxer eine "große Rolle im Verein", bei dem manchmal vergessen werde, "dass wir ein großer Sportverein sind und nicht nur aus den Profi-Fußballern bestehen".

Sina Golpira, 16 Jahre jung, Zweiter der deutschen Meisterschaften 2014, ist der jüngste Kämpfer des Abends. Verstohlen blickt er durch den Kabinengang, eine Kette baumelt auf seinem Brustkorb. Golpira grinst schelmisch, während er die Londoner Gäste, die sich gerade zu einem Gruppenfoto im Ring einfinden, beobachtet. Die Engländer tragen rote Trikots. Ideal: Einen Roten boxt ein Blauer immer noch am liebsten. In Reihe eins, direkt am Ring: erhöhtes Stöckelschuh-Aufkommen.

Minuten später steht Golpira erneut im Gang, diesmal voll konzentriert. Er wird den Kampfabend eröffnen, sein Trainer redet auf ihn ein, gibt ihm letzte Tipps. Im Ring wartet Callum Myles, ein Jahr älter und eineinhalb Kilogramm schwerer, eingelaufen zur Rocky-Filmmusik. Plötzlich schaut Golpira leicht erschrocken auf. "Sechzig, Sechzig", schallt es von der Tribüne - mehrere Ultras-Gruppierungen der Löwen machen den ganzen Abend über Stimmung. Der Gong ertönt. Wie zwei junge Stiere stürzen die zwei Jüngsten los, boxen wild aufeinander ein. "Komm Sina, du bist schneller", ruft sein älterer Bruder Kian, der später in den Ring steigen wird. In der zweiten Runde schalten beide einen Gang zurück, sie wirken müde. Golpira gewinnt den Kampf nach drei Runden nach Punkten, von der Tribüne schallen erneut "Sechzig, Sechzig"-Rufe Richtung Ring.

Am lautesten wird es, als Howik Barsegjan einläuft. Der 24-Jährige ist das Aushängeschild der TSV-Boxer, vor wenigen Monaten debütierte er in der deutschen Nationalmannschaft. Perfekt zum Takt der "Fluch der Karibik"-Technoklänge hüpft und tänzelt er Richtung Ring, nach der ersten Runde schiebt er den Drehhocker lässig mit dem Fuß wieder aus seiner Ecke. Er hockt sich in der Pause nicht hin. Ein Zeichen an den Gegner Charlie Harrison, Englands Nummer acht in seiner Gewichtsklasse? Barsegjan ist wendig, elegant dreht er sich aus mehreren Angriffswellen Harrisons, ohne getroffen zu werden. Er gewinnt klar nach Punkten. Die letzten vier Kämpfe. Ali Cukur schlüpft nun aus seiner Organisatorenrolle und wird wieder zum Abteilungsleiter und Trainer, ruft ein Kommando nach dem anderen in den Ring. Sein Neffe Emre Cukur und Gabriel Pempel verlieren trotzdem, London gleicht aus. Vor den letzten zwei Kämpfen steht es 4:4, perfekt für den Spannungsbogen und den Organisator Cukur - weniger gut für das Nervenkostüm des Trainers Cukur.

23.29 Uhr. Der letzte Kampf ist aus, der TSV hat den Vergleich doch noch mit 6:4 für sich entschieden. Noch während "We are the Champions" aus den Boxen ertönt, geht das Licht an; die zwei jüngsten Londoner Boxer machen noch schnell ein Foto mit dem Nummerngirl. Cukur ist zufrieden, er hoffe, dass dieser Abend zur Tradition wird, erklärt er. Kommendes Jahr möchte er Teams aus Madrid oder Barcelona nach München lotsen, schließlich sei die Stimmung nirgendwo in Deutschland so gut wie bei diesem Event - weder bei deutschen Meisterschaften, noch in der Bundesliga, findet er. Es sind Abende wie diese, die seinen großen Traum am Leben halten: im TSV ein Box-Bundesligateam zu gründen.

© SZ vom 19.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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