Bouldern in München:Glasdach vor der Explosion

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"Vergleichbar mit einem Finale in China“: Der Kölner Jan Hojer lässt sich vom euphorischen Münchner Publikum nach oben tragen. (Foto: Getty Images)

Obwohl der Münchner Weltcup diesmal nicht das Finale ist, schwärmen die Athleten von der Stimmung. Die zehnte Auflage im Olympiastadion soll dennoch die letzte sein.

Von Elena Bruckner, München

Jan Hojer atmet tief durch, geht mit den Händen die Bewegungsabläufe durch, dann zieht er sich nach oben, stützt sich dabei mit den Füßen an der glatten Wand ab. Es ist die vierte und letzte Wand der Finalrunde im Boulderweltcup im Münchner Olympiastadion. Als er den großen Vorsprung zu fassen bekommt, baumeln seine Beine einige Augenblicke lang in der Luft, dann finden sie Halt. Die letzten Züge bis zum obersten Griff, dem Top, das Publikum wird lauter und lauter, dann ist er am Ziel. Der 27-jährige Kölner, der zuvor mit zwei der Boulder seine Probleme hatte - "beim ersten habe ich nicht die richtige Lösung gefunden, beim dritten hat es mit der Balance nicht geklappt" - hält sich mit einer Hand an der oberen Kante der Wand fest, ballt die andere zur Faust und lässt einen Jubelschrei los.

Als dann direkt nach ihm der Koreaner Jongwon Chon am letzten Boulder scheitert und einen Moment lang erschöpft und enttäuscht auf der Matte liegen bleibt, ist klar: Jan Hojer schafft es hinter dem Österreicher Jakob Schubert und dem Tschechen Adam Ondra auf den dritten Platz beim Münchner Boulderweltcup, der unter den Athleten als das Turnier mit der besten Atmosphäre gilt. "Die Stimmung bei der Quali hier ist vergleichbar mit vielleicht einem Finale in China", hatte Bundestrainer Urs Stocker wenige Stunden zuvor gesagt und hinzugefügt: "Vielleicht explodiert im Finale die Halle!"

Die "Halle" explodierte nicht, das Glasdach des Olympiastadions hielt den lautesten Jubelschreien stand - aber auch in seiner zehnten Auflage brachte der Münchner Boulderweltcup noch einige Premieren mit sich. Zum einen bildete er nicht wie sonst den Schlusspunkt des Weltcups, sondern die fünfte von insgesamt sechs Stationen. Zum anderen war in diesem Jahr dadurch, dass der Wettkampf an einem Samstag statt an einem Freitag startete, schon die Qualifikation so gut besucht wie sonst nur die Finalrunden.

Man könnte meinen, dass jeder, den das Bundesligafinale des FC Bayern eher weniger interessierte, sich am Samstagnachmittag im Olympiastadion versammelt hatte. Jedenfalls fiel der Jubel, als der Stadionsprecher das Ergebnis des Spieltags verkündete, um einiges verhaltener aus als der über die Leistungen, die die Männer und Frauen an den Kletterwänden zeigten. Die Zuschauer auf den Tribünen und vor den Wänden stöhnten auf, als der Österreicher Jan-Luca Posch kurz vor dem Top abrutschte, jubelten mit dem Belgier Loic Timmermans, als er erst eine, dann die zweite Hand an den obersten Griff brachte, und feuerten die Slowenin Katja Kadic an, als sie einen schweren Boulder nach zwei Fehlversuchen erneut anging und es schließlich zur Spitze schaffte.

Beim Deutschen Alpenverein weiß man, was man am Olympiastadion als Austragungsort der Münchner Ausgabe des Boulderweltcups hat. In der Saison, in der es für viele Athleten um die Olympiaqualifikation geht, sieht der Wettkampfkalender etwas anders aus als sonst. Die Weltmeisterschaft, die im japanischen Hachioji als Testlauf für die Sommerspiele stattfindet, verdrängt das Weltcupfinale aus dem August auf das zweite Juniwochenende. Da das Olympiastadion zu diesem Termin schon belegt war, entschied man sich, an dem Veranstaltungsort, mit dem man in den vergangenen Jahren so positive Erfahrungen gemacht hatte, festzuhalten und auf das Finale, das nun in Vail in den USA stattfindet, zu verzichten.

Trotz allem wird der zehnte Boulderweltcup im Olympiastadion voraussichtlich vorerst der letzte sein. Im kommenden Jahr zieht der Weltcup in die benachbarte Eishockeyhalle um. Dort sei die technische Infrastruktur besser - und es gibt mehr Sitzplätze für die Boulder-Fangemeinde, die bis dahin sicher nicht kleiner werden dürfte.

Auch wenn der vorgezogene Termin der Stimmung unter dem Glasdach keinen Abbruch tat, war das Teilnehmerfeld doch etwas weniger stark besetzt als in den Vorjahren. Bei den Frauen ließen unter anderem in der Britin Shauna Coxsey und der Schweizerin Petra Klingler mehrere Athletinnen aus den Top Ten des Weltcups dessen deutsche Station aus. Auch die Japaner, die in dieser Saison die Rangliste der Männer dominieren, reisten mit einem dezimierten Kader ohne den Weltcupführenden Tomoa Narasaki an.

So war das Männer-Halbfinale nach einer anspruchsvollen Qualifikationsrunde anstelle der üblichen japanischen Dominanz mit Vertretern aus Österreich, Russland und den Niederlanden internationaler besetzt als sonst. In Hojer und dem Erlanger Alexander Megos hatten die beiden deutschen Kletterer, die als aussichtsreichste Kandidaten für die Sommerspiele 2020 gelten, die Qualifikation überstanden. Aber während Hojer am frühen Sonntagnachmittag souverän ins Finale kletterte, waren es bei Megos Kleinigkeiten, die ihn den Einzug ins Finale kosteten. Einmal war es eine kleine Unkonzentriertheit, die ihn abrutschen ließ, das andere Mal schaffte er den Sprung nach oben zur Zone, bekam dann aber den nächsten Griff nicht zu fassen. "Das waren zwei unglaublich kleine Details, die dazu geführt haben, dass Alex jetzt auf Platz zehn und nicht im Finale ist", sagte Bundestrainer Stocker. Trotzdem sehe er sowohl Megos als auch Hojer auf einem guten Weg.

© SZ vom 20.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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