Boulder-Weltcup:Top

Lesezeit: 3 min

Im Olympiastadion unterstreicht München seinen Ruf als Deutsch­lands Kletterhauptstadt. Die Lokalmatadore beflügelt das nicht.

Von Raphael Weiss, München

Jan Hojers ganzer Körper vibrierte vor Anstrengung. Schon beim Einstieg in den letzten Boulder des Tages begannen seine Muskeln zu zittern. Zwei Tage Wettkampf im Münchner Olympiastadion hatte er hinter sich, zwölf Mal war er in diese vier Meter hohen Wände mit den Plastikgriffen und bis zu 40 Grad Überhang geklettert. Jetzt musste er sich noch eine hochkämpfen, um den Weltcupsieg zu holen. Vor drei Jahren war er in München vor dem letzten Boulder in der selben Situation - damals versagten die Nerven.

Bleibt locker hängen: Shauna Coxsey ist Gesamtweltcupsiegerin. (Foto: Johannes Simon)

Und auch diesmal schien es für einen kurzen Moment wieder so, als würde es nicht klappen. Hojers Start wirkte schon umständlich und als in der Mitte der Wand plötzlich seine Finger vom Griff rutschten, drohte er für einen Moment abzustürzen. Aber irgendwie gelang es ihm, sich noch einmal abzufangen. Unter den lauten Schreien des Münchner Publikums arbeitete Hojer sich Stück für Stück nach oben, bis er sich völlig ausgepumpt die vorgeschriebenen drei Sekunden am letzten Griff, den Kopf vor Erschöpfung und Erleichterung gegen seinen Arm gelehnt, festhielt. "Der Boulder sah schon bei der Besichtigung so aus, als würde er mir Probleme machen", sagte Hojer nach dem Wettkampf. "Aber da komm ich hier raus, alle schreien meinen Namen. Unglaublich. Mit 5000 Leuten im Rücken hab ich es irgendwie geschafft."

München machte seinem Ruf als internationale Kletterhauptstadt alle Ehre. Mit 292 gemeldeten Athleten war es der größte Weltcup in der Geschichte des Sportkletterns. An beiden Wettkampftagen waren insgesamt 10 000 Zuschauer in das Olympiastadion gekommen, wo unter dem Dach der Nordkurve die Kletterwände aufgebaut waren. Die vielen breiten Schultern in der Menge, am Freitag bei 32 Grad noch unbekleidet zu sehen, am Samstag in Multifunktionsjacken verpackt, ließen auf ein fachkundiges Publikum schließen. Jeder Athlet wurde angefeuert, jedes Top - wie das Erklimmen des höchsten Punktes genannt wird - gefeiert.

Jan Hojer ist der erfolgreichste Wettkampfkletterer in Deutschland. (Foto: Maja Hitij/Getty)

Für die Münchner Athleten lief der Weltcup, auch mit der Unterstützung des Heimpublikums, enttäuschend. Am Freitag schaffte keiner von ihnen der Sprung ins Halbfinale. Monika Retschy, 25, hatte sich besonders viel vorgenommen. Es war ihr letzter internationaler Wettkampf. Platz 15 in der Qualifikation bedeutete das Aus in der Vorrunde. "Wenn man in dieser Hitze so viel kämpfen muss und es trotz des Wahnsinns-Publikums nicht schafft, ist es schade", sagte Retschy nach dem Wettkampf und fügte mit einem Lächeln hinzu: "Es war so schön, hier zu klettern."

Die Slowenin Janja Garbret holte den Weltcup-Sieg von München bei den Damen. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Auch für die 16-jährige Romy Fuchs endete der Weltcup vorzeitig. "Die Boulder waren ziemlich cool, aber ich war leider nicht so gut", sagte die Münchnerin. Die Vorbereitung auf die Jugend-WM in Innsbruck hatte ein gutes Abschneiden beim Weltcup erschwert: Am Donnerstag, einen Tag vor dem Wettkampf, stand bei Fuchs noch hartes Ausdauertraining auf dem Programm.

Die Qualifikationsrunde der Frauen wurde am Freitagabend aufgrund des Unwetters unterbrochen und erst nach Mitternacht beendet. Am Samstag holte sich die erst 18-jährige Newcomerin Janja Garnbret den Tagessieg. Auch sie musste nur noch den letzten Boulder toppen, um zu gewinnen: "Ich habe am ganzen Körper gezittert, vor Aufregung und Anstrengung. Zum Glück habe ich mich zusammengerissen", sagte Garnbret hinterher, die zum ersten mal in ihrer Karriere in München an den Start ging und sich von der Atmosphäre beeindruckt zeigte. "Es war großartig, wenn du in der Wand bist und dann die ganzen Leute hörst - wow", sagte Garnbret mit einem breiten Lachen, während ihre Zahnspange im Licht der Scheinwerfer funkelte. Der Südkoreaner Jongwon Chon gewann, wie erwartet, den Gesamtweltcup. Bei den Frauen stand die Britin Shauna Coxsey schon vor Beginn des Wettkampfes als Siegerin fest.

Athleten, Veranstalter und Zuschauer boten sich gegenseitig eine großartige Kulisse. (Foto: Johannes Simon)

Hojer holte sich neben dem Tagessieg auch die beiden Europameistertitel im Bouldern (vor Landsmann Alexander Megos) und in der Kombination aus Lead, Speed und Bouldern, dem sogenannten Olympic Combined. Viel Zeit zum Feiern hat der 25-jährige Kölner indes nicht. Schon am kommenden Wochenende muss er beim nächsten Weltcup antreten, doch diesen Tag wollte er sich dadurch nicht verderben lassen: "Für jeden Sieg muss man ein, zwei Bier trinken. Ich hab heute drei Wettkämpfe gewonnen, also wird es heute ein längerer Abend."

© SZ vom 21.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: