Behinderten-Wintersportler Georg Kreiter:"Stürzen lernt man mit der Zeit"

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Der Eglinger Monoskifahrer Georg Kreiter, 30, spricht über Rollstuhlfahrten zur Piste, seine verkorksten Olympischen Spiele von Sotschi, denen zwei WM-Titel folgten - und über den Moment im Jahr 2002, in dem sein zweites Leben begann

Interview von Sebastian Winter

Georg Kreiter war vor Weihachten im Pitztal unterwegs, es lief ganz gut für den 30-jährigen Monoskifahrer, er wurde dreimal deutscher Meister und Zweiter beim Super G im Europacup. Nun geht es wieder los mit Lehrgängen in der Schweiz und in Österreich, Mitte Januar mit der Weltcup-Saison. Kreiter ist seit 2002 von der Brust abwärts gelähmt, ein Motorradunfall. Er hat überlebt, arbeitet in Teilzeit als Mediengestalter in der Druckerei seines Bruder in Wolfratshausen - und auf der Piste. Zudem ist Georg Kreiter Dozent im Studiengang Sport-Marketing an der Bayerischen Akademie für Werbung und Marketing. Kreiter, zweimaliger Weltmeister, Paralympics-Teilnehmer, ist gerade zum Behindertsportler des Jahres gewählt worden. Sein Ziel klingt kompliziert und ist weit weg: Pyeongchang.

SZ: Herr Kreiter, hinter Ihnen liegt ein aufregendes Jahr, zwei WM-Titel, die Wahl zum Behindertensportler des Jahres. Hatten Sie wenigstens ruhige Feiertage?

Georg Kreiter: Ja, ich hatte frei, weil diesmal mit dem Nationalteam keine Trainings zwischen den Feiertagen angesetzt waren. Eine Auszeit schadet auch nicht, ein paar Tage, wo man das Familiäre zu Hause bei mir in Egling-Thanning mitnehmen kann. Meine Geschwister waren da, meine Mutter hat gekocht, sie lässt keinen anderen ran, was aber auch gut ist. Aber für mich war nicht nur Braten- und Lebkuchenessen angesagt, ich musste auch ein bisschen was tun, damit ich frisch bleibe.

Wie findet es Ihre Familie eigentlich, dass Sie Monoski fahren?

Sie sieht, dass mir der Sport wichtig ist und Spaß macht. Meine Eltern sind bestimmt auch stolz auf mich, auf das, was ich erreicht habe. Sicher haben die Mütter immer mehr Angst, wenn Wettkämpfe vor der Tür stehen, die ein bisschen gefährlicher sind, wie Speedrennen. Aber auch meine Mutter unterstützt mich. Meine Eltern waren auch in Sotschi dabei.

Wo Sie bei den Paralympics im Super-G und im Riesenslalom stürzten, im Slalom ausschieden und in der Abfahrt nur Rang acht belegten. Immer noch ein Albtraum?

Es nervt mich auch heute noch, das nagt an mir. Warum hat das so laufen müssen? Im Nachhinein war es aber vielleicht richtig. Sotschi war speziell, die Vorbereitung ist perfekt gelaufen, das Material war super. Danach habe ich mich gefragt: Warum machst du den ganzen Scheiß? Sehe das Ganze mal wieder lockerer, stelle den Leistungsdruck nicht so in den Vordergrund.

Was haben diese Gedanken bewirkt?

Ich habe das Training umgestellt, neue Sachen probiert. Wenn Sauwetter war, habe ich mich auch mal nicht aufs Handbike gesetzt, um Ausdauer zu trainieren. Es ist als Monoskifahrer wichtig, dass man etwas macht, aber es muss nicht immer genau nach Plan sein. Da habe ich einen guten Weg gefunden. Im Übrigen: Mich haben die Wochen in Sotschi total beeindruckt.

Trotz der sportlichen Enttäuschung?

Ja, allein der Umgang der Leute, die Atmosphäre, die Zuschauer, das war ein Ausnahmezustand, ein sensationelles Erlebnis. Ich werde die zwei Wochen in meinem Leben nicht vergessen und ich möchte sie auch nicht missen. Selbst die vielen Sicherheitskräfte waren etwas Besonderes, sie waren ja da, um einen zu schützen.

Im März sind Sie Doppelweltmeister geworden, Ende November mit Anna Schaffelhuber Deutschlands Behindertensportler des Jahres. Was bedeutet Ihnen mehr?

Der 30-jährige Kreiter ist erfolgreicher Monoskifahrer. (Foto: Marcus Hartmann)

Ganz klar der WM-Sieg. Ich fahre für Medaillen auf der Piste, für erfolgreiche Rennen, was ich selbst in der Hand habe. Trotzdem ist die Auszeichnung sehr wichtig für mich.

Ein großes Thema bei der Preisverleihung war die Abwesenheit der Leichtathleten, deren WM in Katar erst Ende Oktober stattfand, nach der Nominierungsfrist.

Es steht nicht in meiner Macht, den Verband an den Pranger zu stellen. Aber grundsätzlich ist es blöd, die Frist im September zu setzen, wenn man einen Sportler des Jahres wählt. Wünschenswert ist ohnehin, die Ehrung für Behinderte und Nichtbehinderte gemeinsam an einem Abend zu machen, wie es zum Beispiel in Österreich schon der Fall ist. Ich finde es schade für die Leichtathleten, die nächstes Jahr mit Rio ein großes Event haben. Deren Leistungen werden jetzt nicht respektiert. In Zukunft sollte man die Fristen weiter nach hinten legen. Viele Zeitungen haben das zum großen Thema gemacht. Für uns Geehrte war das auch nicht schön, das wertet die Veranstaltung etwas ab.

Sie sind im Winter fast jeden Tag auf der Piste. Wie funktioniert das eigentlich, als Rollstuhlfahrer, der von der Brust abwärts gelähmt ist, dorthin zu kommen?

Ich fahre mit dem Rollstuhl an die Piste hin, soweit es geht an den Rand. Mein Monoski-Gerät, das dann neben mir steht, wird in den Ski eingeschnallt, wie ein Skischuh in die Bindung. Dann quetsche ich mich in die Sitzschale, verstaue meine Beine unten in der Karbonschale, schnalle mich an Füßen und Oberschenkeln fest, danach kommt ein Deckel auf die Füße, damit sie geschützt sind, auch vor den Torstangen. An Bauch und Brust sind noch zwei Gurtsysteme, je nach Lähmungshöhe. Dann lässt man es laufen.

Und dann?

Muss man das Gewicht möglichst nach vorne verlagern für die Schwungeinleitung. Bei mir ist das noch ein größerer Faktor, weil ich bis zur Brust gelähmt bin und alles über Kopf, Nacken, Arme und Schulter steuere. Das ist nicht einfach, vor allem weil ich gerade ein neues Monoski-Gerät probiere. Das ist so, wie wenn ein Rennläufer einen neuen Schuh bekommt. Mit dem alten Modell habe ich meine Technik über Jahre antrainiert.

Was kostet denn so ein Monoski?

Circa 10 000 Euro. Ich brauche nicht jedes Jahr einen neuen, aber man muss sein Material immer verbessern. Diese Saison habe ich den Schritt gewagt. Am Anfang hat es gar nicht geklappt, aber es wird besser.

Müssen Sie das alles selbst bezahlen?

Ich werde über den Behindertensportverband gefördert, die Sporthilfe, ich bin da ganz gut abgedeckt. Aber beim Material muss ich viel selbst bezahlen, vor allem eben den Ski, dazu die Schale, in der ich drin sitze. Da gibt es keine Großhersteller, die eine ganze Nationalmannschaft ausstatten.

Sie sagen, Ihre Mutter hat manchmal Angst um Sie. Wie schnell werden Sie

Je nach Piste und Disziplin bis zu 130 Km/h. In Sotschi beim Super-G waren es so 95 Sachen, was auch schon reicht. Aber das Stürzen lernt man mit der Zeit. Im Training stürze ich relativ oft, da reizt man es immer mal wieder aus, seine Grenzen muss man ja kennen und auch an sie gehen. Und deshalb weiß man auch oft intuitiv, wo man die Arme hintut, wo man sie nicht hintut, dass man den Kopf ein bisschen einrollen muss. Das funktioniert eigentlich ganz gut, auch wenn es immer wieder vorkommt, dass ich mir etwas prelle oder den Nacken verdrehe, wenn ich mich überschlage. Was auch passiert.

Kämpfernatur: Georg Kreiter. (Foto: privat)

2002 hatten Sie als 18-Jähriger einen schweren Motorradunfall. Sie prallten in einem Waldstück gegen einen Baum. Haben Sie noch Erinnerungen daran?

An den Unfall nicht, aber ich kann mich noch gut an den Tag erinnern. Ein Sommertag, schönes Wetter, ich war Mittagessen und habe mich dann auf den Weg zum Fußball gemacht, mein erstes Spiel für den TSV Otterfing, B-Jugend, Kreisliga. Schmale Straße, ein Waldstück, da bin ich dann laut Polizeibericht aus ungeklärten Gründen vom Weg abgekommen und gegen einen Baum geprallt.

Wer hat Sie gefunden?

Eine Frau, sie hat mich noch mal besucht nach ein paar Jahren, mittlerweile habe ich aber keinen Kontakt mehr. Dann ging es mit dem Hubschrauber nach München-Harlaching. Ich lag sechs Tage im künstlichen Koma. Als ich aufgewacht bin, waren meine Eltern da, es ging mir gut, wohl der Medikamentencocktail. Später ging es mir nicht mehr gut. Ich hatte ja nicht nur die Verletzung am Rücken, die zur Querschnittlähmung führte. Bis auf meinen linken Arm und den Kopf hatte ich so ziemlich an allen Stellen Brüche, offene Frakturen, Quetschungen. Aber ich dachte: Ich lebe noch.

Sind Sie nicht in ein Loch gefallen?

Das hatte ich nie. Das hängt größtenteils mit meinem Umfeld zusammen, den Freunden, der Familie. Den Umgang nach einem solch gravierenden Unfall nicht zu ändern, das macht viel aus. Das Schlimmste zu der Zeit war, dass ich immer im Bett liegen musste. Nach fast vier Wochen bin ich nach Murnau verlegt worden, da durfte ich dann zum ersten Mal raus, zwar an einem Kran hängend, in einen Rollstuhl platziert, aber ich war happy. Bis sich der Kreislauf verabschiedet hat. Danach ging es immer nur bergauf. Ich habe meinen Optimismus nie verloren.

Wie funktioniert das?

Ich hatte in Murnau ja immer zu tun, da geht es gleich los mit Physiotherapie, dann Rollstuhltraining in verschiedenen Stufen. Das hat mich angespornt, zu sehen, was ich alles kann, nach dem Motto: "Jetzt komme ich gleich in die nächste Rollstuhl-Klasse." Mir macht Rollstuhlfahren heute noch Spaß, es ist für mich ein zweites Leben geworden. Einmal die Woche gab es Rollstuhl-Basketball, dann Tennis, Tischtennis, Handbiken. Der Monoski wurde am Rande mal gezeigt, aber das war alles zu weit weg, viel zu schwierig. Ich behielt ihn aber im Hinterkopf.

Nach fünf Monaten sind Sie dann in Murnau entlassen worden.

Ja, in der Zeit wurde mein Elternhaus rollstuhlgerecht umgebaut, damals musste ich auch ein halbes Jahr Pause von meiner Ausbildung zum Mediengestalter machen. Als ich dann im Dorf herumfuhr und merkte, dass da nichts abgesenkt ist, wenig zugänglich ist, da war das schon ein Rückschritt. Ich hätte auch gerne noch länger Fußball gespielt. Aber was Viele vielleicht denken, dieses Nicht-Laufen-Können, das ist gar nicht das Problem. Es ist einfach ein riesiger Unterschied im Querschnitt-Bereich, ob er komplett ist, ob er bis in den Halswirbelbereich geht, wo die Menschen gepflegt werden müssen, oder so wie bei mir.

Haben Sie sich helfen lassen, wenn Sie den Bordstein nicht hochgekommen sind?

Am Anfang war es ganz schlimm, es durfte mir keiner helfen, ich wollte alles selber machen. So lange, bis ich es konnte oder es mich umgehauen hat. Inzwischen bin ich da ein bisschen anders, wenn jemand da ist und mir bei einer Stufe hilft, dann lasse ich mir helfen. Das damals hat mich aber auch selbstständig werden lassen.

Spielt der Baum noch eine Rolle in Ihrem Leben?

Nicht wirklich. Ich war ziemlich genau ein Jahr nach dem Unfall das erste Mal dort. Das war gruselig, ein komisches Gefühl, weil noch medizinische Utensilien herumlagen, Verpackungen von Infusionen oder Ähnliches, ich weiß es nicht mehr, aber im Laub waren Sachen gelegen. Da dachte ich: Das war für dich. Aber inzwischen fahre ich dort ohne Probleme mit dem Handbike vorbei.

Wann ging es dann los mit dem Monoski?

2006 habe ich die Paralympics in Turin im Fernsehen gesehen - und zum ersten Mal Monoskifahren. Über Nachwuchskoordinatorin Gerda Pamler habe ich Lehrgänge besucht. 2008 war ich bei der bayerischen Meisterschaft Zweiter, 2009 durfte ich das erste Mal mit zum Europacup. Ich bin Letzter geworden. Egal, da habe ich mich für den Leistungssport entschieden - und mir kurz darauf das Schlüsselbein gebrochen. In der Halfpipe, das war eine Dummheit von mir.

Wieder Rehabilitation?

Wieder Murnau. Als Rollstuhlfahrer sich das Schlüsselbein zu brechen ist übel, da bist du für gewisse Zeit wieder ein Pflegefall. Aber es war dann bald Sommer, nicht so schlimm. 2010 fuhr ich dann den ersten Weltcup. Da war Sotschi schon fest im Blick.

Jetzt liegt der Fokus auf Pyeongchang.

Genau, diese Saison ist ja kein Großereignis, keine WM, Europameisterschaften gibt es bei uns nicht, deswegen probieren viele Athleten Neues aus, so wie ich den Ski. Nächstes Jahr ist in Tarvisio, Italien, WM, da sollte es funktionieren, da möchte ich meine Titel verteidigen. Falls ich merke, das hat keinen Sinn, steige ich wieder um auf den alten Ski.

Was kommt nach den Spielen 2018?

Das kann ich überhaupt nicht sagen, darüber zu spekulieren, macht jetzt kein Sinn.

Familie vielleicht?

Auf jeden Fall nicht vor Pyeongchang (lacht). Aber das steht auf meinem Lebensplan.

© SZ vom 02.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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