Basketballer im Rausch:Andere Tonart

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Höhenvorteil: Topscorer K. C. Rivers (li.) und seine Kollegen hatten gegen Crailsheim wieder Spielfreude. (Foto: Imago)

Der lockere Sieg gegen Crailsheim hellt die zuletzt arg strapazierte Stimmung des FC Bayern weiter auf. Sie sehen das überstandene Tief als Reifeprozess - auch für ihren zuletzt angespannten Cheftrainer

Von Matthias Schmid, München

Svetislav Pesic sieht sich gerne in der Rolle des Elder Statesman der Basketball-Bundesliga. Vor allem für seine jüngeren Trainerkollegen hat der 66-jährige Chefcoach des FC Bayern stets ein offenes Ohr. Zu einem, der fast alle im Basketball zu vergebenen Titel errungen hat (nur den Olympiasieg nicht), schauen sie gern auf und holen sich den einen oder anderen Ratschlag. Doch diesmal war es Pesic, der das Gespräch mit Ingo Enskat, 43, suchte. Es schien fast so, als hätte er sich den ganzen Abend darauf gefreut.

Schon als die beiden am Sonntagabend nach der Pressekonferenz das Podium verließen, begann Pesic mit seinen Ausführungen. "Du spielst immer nur so gut, wie es der Gegner zulässt", sagte er zu Enskat, der gerade die höchste Niederlage seiner Amtszeit hatte hinnehmen müssen und sich lieber an Ort und Stelle vergraben hätte. 59:106 verloren die Crailsheim Merlins die Partie beim Meister von 2014. Fast 50 Punkte Unterschied, das kommt in der Basketball-Bundesliga so selten vor wie Saharasand in Oberbayern, vermutlich seltener; schon nach 20 Minuten führten die Bayern mit 22 Punkten. "Ich hätte mir gewünscht, dass meine Spieler kämpfen und nicht gleich die Köpfe hängen lassen", hatte Enskat bei der Pressekonferenz gesagt.

Er hätte nach deren Ende wohl lieber die Stille vorgezogen als einen Austausch mit seinem Gegenüber. Enskat ließ sich das aber nicht anmerken, er nickte immer wieder artig, als Pesic draußen im Foyer weiterredete und nach ein paar Minuten mit der Frage endete: "Wer motiviert eigentlich den Trainer?" Um seinen Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen, breitete Pesic seine Arme aus, wie ein Balljunge, der keine weiteren Bälle anzubieten hat.

Enskat lächelte gequält, diese Frage stellte er sich vermutlich selbst. Doch Pesic klang nicht resigniert, überhaupt nicht verbittert, er war bestens gelaunt nach einem Auftritt, der nicht nur seiner eigenen Stimmung guttat, sondern das zuletzt nach fünf Pflichtspielniederlagen arg strapazierte Binnenklima der gesamten Mannschaft weiter aufhellte. Wie schnelllebig der Profisport im Allgemeinen und im Besonderen der Basketball ist, haben die Zuschauer in der Halle erleben können. Die Münchner Profis flogen gegen Crailsheim so kunstvoll und spektakulär durch die Lüfte, als wollten sie sich für einen Gastauftritt bei der Showgruppe "Harlem Globetrotters" bewerben. Alles sah so leicht und mühelos aus, dass Pesic hinterher versichern musste, dass es sich um ein "offizielles Spiel" gehandelt habe. Crailsheim war für die Bayern nach deren überraschendem Sieg in der Euroleague bei Khimki Moskau, der sie dem Achtelfinale wieder näher brachte, der richtige Gegner, um sich an sich selbst zu berauschen und das Selbstvertrauen weiter zu vermehren. "Die Spieler haben mit guter Laune auch in der Defensive gespielt", stellte Pesic vergnügt fest.

Noch vor einer Woche schien die Bayern-Welt in sich zusammenzufallen. Pesic wirkte angespannt, ratlos, in den Ansprachen während der Spiele schrie er seine Spieler regelmäßig mit schrillen Stakkato-Ansagen an und verunsicherte sie so noch mehr. Der Sieg in Moskau, einem der besten Klubs Europas, hat auch ihn selbst beruhigt, er findet wieder die richtige Dosierung zwischen motivierender Lautstärke und konstruktiv vorgetragener Kritik. "Das war auch für ihn ein Lernprozess", sagte FCB-Kapitän Bryce Taylor: "Er brauchte ein wenig, um die richtige Tonart zu finden, weil wir einige neue Spieler haben. Aber wir müssen auch das Vertrauen zurückzahlen, das er in uns setzt."

Für den US-Amerikaner war allerdings weniger der Erfolg in Moskau für den Stimmungswandel verantwortlich, als vielmehr der glückliche Sieg in Bremerhaven. "Wir haben dadurch wieder das Gefühl für den Sieg zurückbekommen", erzählte Taylor nach dem dritten Erfolg nacheinander. Nur Siege bringen die Motivation zurück und machen die tägliche Arbeit leichter. Auch die des Trainers.

Die wiedergewonnene Spielfreude seines Teams, aus dem K. C. Rivers mit 16 Punkten herausragte, war auch Svetislav Pesic nicht entgangen. Aber allein mit guter Laune könne er vor dem nächsten Euroleague-Spiel am Freitag in Straßburg nichts anfangen, gestand er in seiner knorrigen Art. "Spaß gehört in die Sommerzeit zum Streetball." Es gehe nicht darum, dass seine Spieler vergnügt zur Arbeit kommen, "nur die Zuschauer dürfen Spaß haben, meine Spieler müssen hart arbeiten." Sein Kollege Ingo Enskat nickte.

© SZ vom 01.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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